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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Buntes / Gedichte / Literarische Besprechungen
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119

Mutes.

Volksglaube und Naturforschung. Der berühmte Naturfor-
scher Bernhard Cotta macht über den Conflict dieser beiden Mächte
folgende launige Bemerkungen. In grauer Vorzeit, sagt er, war
überall Leben in der Natur. In jedem Baume, in jeder Quelle,
in jedem Berge wohnte ein Geist, bald eine liebliche Nymphe oder
eine heitere Dryade, bald ein neckischer Rübezahl oder ein heimtücki-
scher Kobold. Nichts Schönes und nichts Häßliches gab es auf der
Erde ohne sein besonderes geistiges Leben, bis der Mensch erschaffen
ward. Lange Zeit noch lebte und verkehrte er mit allen diesen hei-
teren und finsteren Gnomen und Dämonen bald feindlich, bald freund-
lich. Aber nach und nach ward er neidisch und unduldsam gegen
jeden andern Geist, als seinen eigenen. Mit boshaftem Nachdenken
Vertrieb er ihn aus Baum und Quelle, aus Halm und Thautropfen.
Kaum ließ er die Engel in Ruhe, die den fernen Sternenhimmel
bewohnen.
Die Erdgeister flüchteten sich vor seinem Scharfsinn aus einem
Schlupfwinkel in den andern; ihre sonnigen Wohnplätze hatten sie
schnell genug verlassen müssen, und wenn grausige Verzweiflung einige
von ihnen in die verschiedenartigsten Hausmöbel getrieben hatte, in
der Meinung, in so unästhetischer Behausung werde sie ein verstän-
diger und sinniger Mensch am wenigsten suchen und finden — was
hat es ihnen geholfen? Sie sind dennoch auch in unseren Tagen da
entveckt Warden. Uud wenn auch manche zarte Hand und mancher
rücksichtsvolle Freund sie in Schutz nimmt, ihren Umgang liebevoll
pflegt, ihre bescheidenen Wünsche erfüllt, ihrem vierfüßigen hölzernen
Geisterpalaste eine neue blaue Decke besorgt, was hilft all' diese gütige
Protection! Ein großer Geisterbanner spricht von „ungenauer Beob-
achtung" und dieses Zauberwort verscheucht wiederum selbst aus den
Tischen die unsichtbaren Wesen.
An die Stelle des poetischen Geisterlebens der Natur setzt der
eifersüchtige Mensch, überall seine eigenen Gedanken und Erfindun-
gen. Er spricht von Schwerkraft, von Wasserstoff, Sauerstoff und
Stickstoff, von Licht, Wärme und Elektricität, wo die armen Kleinen
jederzeit so emsig bemüht waren, ihm zu dieuen — ja Undank ist
zu aller Zeit der Lohn der Welt gewesen, seit es Menschen gibt; wie
ganz anders war das doch sonst, vor Adam und Eva!
Als noch laue Lüfte den eisigen Nordpol umwehten, da gab eS
kein schöneres Land für die Wald- und Wiesengeister, als das zwi-
schen dem asiatischen Flusse Obi und dem sibirischen, der Lena. Eine
weite, fruchtbare Ebene, hochstämmiger Wald wechselte mit lauschigem
Buschwerk, mit üppigen Wiesen und sumpfigen Rohrdickichten. Sil-
berne Bäche und breite Ströme schlängelten sich gemächlich durch die
grüne Landschaft dahin. Der Sonne Strahl beleuchtete noch keine
blanke Waffe und noch kein astronomisches Rohr war in frevelhafter
Wißbegier gegen ihr Antlitz gerichtet, um darauf dunkle Flecken oder
lichte Feuermale zu erkennen. Aber wenn sie niedersank hinter dem
fernen Gebirge, welches zwei Welttheile scheidet, dann erwachte hei-
teres Leben überall. Aus jedem Dickicht, aus jedem Busche, aus
jedem Rohr kamen die Elfen hervor, große und kleine von jeder
Art. Der schönste Rasen, vom Monde beleuchtet, war ihr Sammel-
platz; Grüße wechselnd und heitere Gedanken, schwebten sie bunt
durcheinander, bis die Sphären ertönten in vom Menschenohr nie
gehörter Musik; da ordneten sich die Paare, es begann der nächtliche
Tanz der Elfen. Jahrtausende lang hatte jeder Helle Mondstrahl
im heutigen Lande der Jenesseier und Samojeden solche Feste be-
leuchtet, Da kam einst ein eisig kalter Luftstrom aus den arktischen
Meeren herangebraust. Die zarten Wesen, vom heitern Tanze er-
hitzt, erlagen plötzlich, erlagen alle dem feindlichen Elemente. An
die Stelle des lieblichen Elfenlebens trat überall der fahle Tod.

Auch die dichten Wälder, die üppigen Wiesen fingen nun an zu wel-
ken, zu kümmern, zu schwinden und einer traurigen Einöde Platz zu
machen. Das war kein Wunder, nachdem sie ihre belebenden Seelen
verloren hatten.
So ist es geschehen vor vielen Jahrtausenden im Lande Sibirien.
Darauf kam der Mensch; die ganze Erde für sein erklärend, nahm
er auch von jenen rauhen und öden Steppen Besitz. Ein ganz an-
deres Leben trat an die Stelle des frühern der Elfen. Nicht mehr
von Thautropfen uud Sonnenstäubchen nähren sich die Bewohner
jener Steppen, nicht mehr der Musik der Sphären lauschen sie,
nicht mehr scheuen sie, pelzumwickelt, den eisigen Nordwind. Aber
nichts entgeht ihrer umsichtigen Habgier; kein Thier des Landes, kein
Vogel in der Luft, kein Fisch im Wasser ist sicher vor ihrem Ge-
schoß. Ja endlich haben sie sogar habgierig den Boden durchwühlt
und das herrliche weiße Gebein der zahllosen Elsen, die der kalte
Lufthauch tödtete, das graben sie aus und senden es weithin nach
Westen, wo man es hochschätzt und in Ehren hält, gleich den Zäh-
nen der tropischen Stephanien.
Aber nicht einmal die Gebeine der verbannten Geisterwelt läßt
der forschende Mensch in Ruhe; er duldet sie nicht, er uegirt sie, er
behauptet, was man aus jenen Ländern als Elfenbein ausführt, das
sei kein Gebein der zarten Elfen, das seien die gewaltigen Stoßzähne
von riesigen Stephanien, von plumpen Mammuths, die einst, lange
vor dem Menschen, jene Steppen bewohnt, deren Gebeine aber zurück-
geblieben, nachdem eine Aenderung des Klima's ihr eigenes Da-
sein unmöglich gemacht habe.
Geht es doch den Teuselsfingern nicht Lesser, die man so häufig
in Norddeutschland findet. Jeder Bauer weiß, daß der Teufel, als
er die große Felsmauer bei Blankenburg am Harz zu bauen unter-
nahm, sich schnell viele hundert Hände mit vielen tausend Fingern an-
schaffte; als aber der Hahn krähte, ehe er fertig war, da schleuderte er
in großem Zorn von seinem Lieblingsberge, dem Brocken, aus die un-
nützen Finger weit von sich über das Land. Dort werden sie nun
noch jetzt gar häufig gesunden; die Geologen behaupten indessen, das
seien keine wirklichen Teufelsfinger, sondern die Balancirknochen eines
sepienartigen Thieres, welches die Meere in der Jura- und Kreide-
zeit bewohnte. Ja, sie behaupten sogar, diese Belemniten seien viel
älter als der Teufel; denn ehe es Menschen gegeben, sei doch auch
wohl der Teufel unnütz gewesen.
Die Thaubildung.'J Wenn die Sonne nach einem warmen
Tage am umwölkten Himmel hinabgesunken ist, befruchten sich
Wiesen und Wald mit erquickendem Thau, das wiederkehrende Ge-
stirn des Tages spiegelt und bricht seine Strahlen in unzähligen
Tröpfchen und trocknet nur allmählig das befeuchtete Erdreich. Die
Bildung dieses von unsichtbarer Hand ausgestreuten Regens blieb ein
Räthsel, bis Wells sie aus den einfachen Gesetzen der Strahlung
erklärte. Erde und Steine, und in höherem Grad noch organische
Gebilde, die Zweige, Halme uud Blätter der Pflanzen strahlen die
Wärme auf das Reichlichste aus. An heiteren Abenden und in wol-
kenfreien Nächten sinkt daher ihre Temperatur rasch, um so schneller,
je geringer ihre Masse und der Wärmevorrath ist, welchen sie darin
aufgespeichert haben, je freier und jeder ausgleichenden Gegenstrah-
lung bar sie dastehen. Die unmittelbar sie umkleidende Lufthülle
kühlt sich unter den Thaupuukt ab, und was sie an Feuchtigkeit nicht
länger zu tragen vermag, setzt sich aus die Oberfläche der erkalteten
Körper nieder. War deren Temperatur unter den Gefrierpunkt ge-
*) Bergt, das treffliche Buch: Die Physik der Erde und der Atmosphäre,
populär dargestellt von Fr. Zaminer. Stuttgart, Frauckh.
 
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