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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Pichler, Luise: Der Hagestolz
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Der Hagestolz.
Eine A ! l t a g s g e s eb i ch t e
von
Luise Pichler.

Im Städtchen G. hatte sich ein junger Jurist niedergelassen,
um die Stelle eines alten Advocaten auszusüllen, der sich von
den Geschäften zurückzog.
Das Ereigniß war wichtig genug, um den Kaffeegesellschaf-
ten der Frauen und den Abendversammlungen der Herren beim
Viere auf eine Zeit lang zu sprechen zu geben, denn die Anwesen-
heit eines weitern jungen Mannes war nicht nur für die geselli-
gen Verhältnisse des Städtchens eine erwähnenswerthe Berei-
cherung — sondern eröffnete auch Aussichten von ernsterer Art;
sie gewährte den Honoratiorentöchtern des Städtchens eine wei-
tere Möglichkeit, sich einst mit dem Myrthenkranze zu schmücken,
wozu, wenn nicht die Eine und vie Andere Verwandte an aus-
wärtigen Orten besaß, bei denen sich unter irgend einem Vor-
wande ein zeitweiliger Aufenthalt nehmen ließ — sehr wenig Ge-
legenheit vorhanden war.
Doctor Helmberg's Persönlichkeit war anch geeignet, all' die
Aufmerksamkeit zu rechtfertigen, die ihm zugewandt wurde. Ge-
stalt, Talente und feine Bildung neben tadellosem Charakter
machten ihn zu einer, für das Landstädtchen fast zu glänzenden,
Erscheinung; die Hälfte dieser Vorzüge, noch gehoben durch sein
nicht unbedeutendes Vermögen, wäre genügend gewesen, ihm die
höchste Stellung an seinem bescheidenen, neuen Wohnorte zu
sichern. Die Aufregung und Spannung steigerte sich im rich-
tigen Verhältniß zu dem Außerordentlichen seiner Erscheinung.
Landpartien und Gartengesellschaften waren seit langen Jahren
nicht so häufig veranstaltet worden, wie in diesem Sommer, und
die schöne Jugend des Städtchens bildete ein Blumenbeet, aus
dem der Ankömmling nur wählen durfte. Und er stand auch
vor demselben ganz mit der bedächtlichen Miene eines Nelken-
liebhabers, der sorgfältig und strenge prüft, ehe er über den ächten
Werth der Blumen sich entscheidet. Doch die Liebe überwältigte
die vorsichtige Zurückhaltung und brachte die Wahl unver-
sehens zu Ende. Nach verhältnißmäßig kurzer Bekanntschaft Ver-
lobte er sich mit der hübschen und muntern, doch sehr jungen
Tochter einer Oberamtmannswittwe, die im Städtchen lebte. -
So sehr auch die Liebenswürdigkeit der Erkorenen seine Wahl
zu rechtfertigen schien, so würde Helmberg sich doch niemals einer
solchen Nebereilung schuldig gemacht haben, wenn nicht eine
Herbstgesellschaft gewesen wäre, die ein Kaufmann des Städt-
chens, Besitzer dreier Töchter und eines Weinsbergs — freilich
nicht in dieser Erwartung — veranstaltete. Schon längst hatte
in Helmberg's Herzen die aufkeimende Steigung für Bertha ge-
gen seine gewohnte Vorsicht gestritten; heute nun hatten Gesang
und Spiel, Wein und lustiger Pulverlärm eine Erregung in ihm
hervorgebracht, in der es ihm ein unabweisliches Bedürfniß ward,
einmal die selbstgesteckten Grenzen seines ordnungsmäßigen Da-
seins zu überschreiten. Er hätte sich mit dem Oberamtsactuar

schlagen können, seinem Rivalen in der gesellschaftlichen Stel-
lung, oder aber sich verloben — er wählte das Letztere, da er
Bertha's Begleiter war, als man bei Fackelglanz und Sternen-
licht die Damen nach Hause führte.
Am andern Morgen, als der Doctor nach buntem Traumge-
wirre erwachte, war die erste Erinnerung, die wieder vor seine
Seele trat, die des neuen Bräutigamstandes. Seine Gefühle aber
verhielten sich zu der Aufregung des vorigen Abends, wie das
nüchterne Tageslicht zum sprühenden Raketenfeuer. Er bereute
nicht —> er liebte ja Bertha! —> sie war hübsch — vielleicht auch
ein wenig eitel — Eitelkeit zog oft ein Gefolge von verhängniß-
vollen Fehlern nach sich! — sie war ferner gutmüthig und kind-
lich — dieß vielleicht nur zu sehr; sie konnte unmöglich schon die
nöthige Erfahrung über die Führung eines Hauswesens haben!
man durfte die Hochzeit daher nicht beeilen >— endlich war sie von
offenem, heiterem Wesen —> möglicherweise etwas zum Leichtsinn
geneigt; die Leitung eines besonnenen Mannes war für sie noth-
wendig! — All' deßwegen aber war ein Verlöbniß ein sehr ernstes
Vorhaben, das mit mehr Vorsicht und Besonnenheit, als das
Leben je forderte, begangen werden sollte!
Mit gewohnterBedächtlichkeit hatte er während dieser Betrach-
tungen den schwarzen Frack angezogen und die goldenen Hemd-
knöpfchen eingeschoben; er nahm Hut und Handschuhe, als die
Uhr eine Stunde vor Mittag zeigte, denn, nachdem er das Ja-
wort des Mädchens in etwas unförmlicher, übereilter Weise er-
hascht,. verlangte die gute Sitte, daß er Einwilligung und
Segen der Mutter um so förmlicher nachholte, je weniger an
deren Bereitwilligkeit, sie zu ertheilen, irgend zu zweifeln war.
In den folgenden Tagen ging Doctor Helmberg, die hübsche,
lächelnde und erröthende Bertha am Arme, durch die Straßen
des Städtchens, um in sämmtlichen Honoratiorenhäusern Braut-
visiten zu machen. Obgleich man sich von der Ueberraschung kaum
hatte erholen können, ward das Brautpaar doch weniger unfreund-
lich empfangen, als nach dem Stande der Dinge zu erwarten
stand — der unbefangenen, kindlich gutmüthigen Bertha konnte
man nicht ernstlich zürnen — selbst nicht dafür, daß sie die beste
„Partie" im Städtchen davon getragen hatte. Bertha war lie-
benswürdig, das gaben selbst ihre Freundinnen zu; ihr Bräuti-
gam hatte noch weniger Grund, es sich zu bestreiten; er liebte sie;
aber seine Liebe hatte den gefährlichsten Nebenbuhler — die
Selbstsucht! Helmberg war der einzige Sohn seiner Eltern ge-
wesen, deßhalb von Kindheit auf an die ungetheilteste Aufmerk-
samkeit gewöhnt; kein Geschwister hatte ihn frühe in der Nach-
giebigkeit geübt; keines in die Sorge und Zärtlichkeit der Eltern
mit ihm sich getheilt. Sein kleines „Ich" war der Mittelpunkt
gewesen, um ven er das ganze Elternhaus sich bewegen sah;—
es wäre unnatürlich zugegangen, wenn er gleichgültiger von dem-
 
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