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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Pichler, Luise: Der Hagestolz
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0086

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selben gedacht hatte, als die Anderen thaten. Das Wohlbefinden
seines Selbst war die große Rücksicht, die alle seine Handlungen
leitete —> die ächte Liebe aber besteht im Anfgeben seines Selbsts
gegen ein Anderes, und ein Opfer zu bringen ist ihr süßer, als
selbst eines zu empfangen; bei Hclmberg war's anders; wenn er
liebte, dachte er zunächst nicht daran, den geliebten Gegenstand
glücklich zu machen, sondern selbst es zu werden. Daher
seine mißtrauische Vorsicht, die um so mehr sich geltend machte,
je öfter er sich sagte, daß er liebe, folglich parteiisch und blind zu
Gunsten der Geliebten — sich selbst zum Schaden sein werde.
Da war unter Anderem, bald nach Vollzug seiner Ver-
lobung, eine Schlittenpartie nach einer benachbarten Stadt ver-
abredet worden, worin eine, der Oberamtmännin befreundete
Familie wohnte. Als der Plan besprochen ward, hüpfte Bertha
das Zimmer entlang, klatfchte vor Freuden in die Hände und
küßte Mutter und Bräutigam; ihre unschuldige Freude hätte
einem Jahre lang am Podagra laborirenden Hypochondristen ein
Lächeln abgewinnen können — über Helmberg's Gesicht aber flog
ein Schatten hin. Vergnügungssüchtig! Ein schlimmes Symptom !
— Er erinnerte sich einigerBeispiele, wo die Vergnügungssuchtder
Frauen nicht nur den häuslichen Frieden gefährdet, den Wohl-
stand untergraben, sondern auch die Erziehung der Kinder ver-
dorben, überhaupt jedes Unglück in's Haus gebracht hatte.
Am andern Morgen, auf die Minute zu der verabredeten Zeit,
fuhr der Bräutigam mit dem Schlitten am Hause an. Er ging
hinauf, die Damen abzuholen. Bertha rief ihm vom Nebenzimmer
zu um eine kleine Geduld; sie hatte noch etwas an ihrer Toilette
zu verändern, wollte aber sogleich fertig sein. Dem Bräutigam
entfuhr ein Seufzer des Unmuths; die Eigenschaft, niemals fer-
tig werden zu können, zieht an einer Hausfrau so viel Verdrieß-
lichkeit nach sich!—Die Minuten dehnten sich ihm zu Viertel-
stunden aus, und mit ziemlich unfreundlichem Gesicht empfing er
Bertha, die, mit der lächelnden Miene, im himmelblauen Kleid
und weißen Atlashut dem klaren, sonnigen Wintertage selbst ähn-
lich, in's Zimmer hüpfte. „Aber Bertha! das himmelblaue Kleid!
Wie leicht kann es beim Aus- und Einsteigen durch den Schnee
verdorben werden; Du hättest dein älteres braunes nehmen sol-
len!" ließ sich die verwittwete Oberamtmännin im gewohnten,
grämlichen Tone vernehmen. „Ach, Mutter, du bist auch gar zu
ängstlich! Ich hätte an der Fahrt nur das halbe Vergnügen,
wenn ich nicht mein neues Kleid tragen dürfte!" erwiederte Bertha.
„Eitel!" dachte Helmberg, indem er mit wahrhaft justizräth-
lichem Ernste der Frau Schwiegermutter den Arm reichte; »eitel
>— und ungehorsam! Sie widerspricht der Mutter!" Schweigend
hob er die Damen in den Schlitten, setzte sich znrecht und trieb
die Pferde an. Es war ein herrlicher Tag für eine Schlitten-
partie; die Bahn spiegelglatt, und doch die Luft bei aller Frische
nicht rauh; der Himmel tiefblau über dem funkelnden Schnee-
felde, und die Sonne, wenn sie auch nicht sonderlich warm zu
machen vermochte, so freundlich strahlend, daß man, wenn nicht
von Außen, doch im Herzen darüber warm werden mußte.
Bertha schwebte auch wirklich in einem wahren Freudentau-
mel; für sie waren heute der Erde Lasten und Leiden nicht weiter
vorhanden, und leicht, wie der Schlitten hinflog über die glän-
zende Fläche, so fühlte auch sie sich, den Vögelein gleich, die sonst
in den blauen Lüften sich wiegten.

Was aber Helmberg betraf, so empfand, er wenig von den
Annehmlichkeiten der Fahrt; die Entdeckungen, die er an diesem
Morgen über Bertha's weitere Eigenschaften machte, waren so
verhängnißvoll in all' ihren Folgerungen, daß er mit Grübeln
nicht zu Ende kommen konnte. Unpünktlich, eitel, ungehorsam!
Diese Betrachtungen mußten einen Schatten über den klarsten
Himmel, über das strahlendste Gefilde ziehen! Darüber aber ver-
gaß Helmberg auch ganz, daß es nur sein Auge war, für das sich
Bertha heute mit argloser Eitelkeit geschmückt; er übersah ganz
die Geduld, mit der sie der Mutter Klagen an sich vorübergehen
ließ, die den mürrischsten Mißmuth darüber äußerte, daß der
Januarmorgen nicht die Temperatur eines schönen Maientages
hatte; die Sorgfalt, mit der sie unermüdet darauf achtete, daß die
grämliche Frau vom Kopfe bis zum Fuße wohl eingehüllt blieb,
und womit sie, wenn ein Teppich sich verschob, die eigenen Hände
dem warmen Versteck des Mantels entzog, um die Bequemlich-
keit der Mutter zu bewahren; — die liebevolle Aufmersamkeit
endlich, womit sie, seine unfreundliche Laune übersehend, fort-
während an den Bräutigam sich wandte; ihn wegen seines un-
bequemeren Sitzes bedauerte, und unzähligemal fragte, ob er
uicht etwa friere? So langten sie endlich in der Stadt an, wo
sie mit Herzlichkeit empfangen wurden; Bertha hatte gehofft, daß
die Wärme des Zimmers und Mahles auch die frostige Stimmung
ihres Bräutigams wieder aufthauen werde — doch Helmberg, der
seiue Launen nie unterdrücken gelernt hatte, war einmal ver-
stimmt, und blieb deßhalb einsylbig und zurückhaltend. Dage-
gen war der Sohn des Hauses, Bertha's Kindheitsgespiele, zu-
gegen, ein heiterer, harmlos zuthunlicher, junger Mensch; er
freute sich gar sehr, Bertha wieder zu sehen, und hatte, da Helm-
berg sich nicht die geringste Mühe gab, ihre Aufmerksamkeit ab-
zulenken, ihre Unterhaltung bald ausschließend an sich gezogen.
Helmberg's Miene ward immer ernster, immer feierlicher, je lauter
sich die kindliche Heiterkeit der Beiden kund gab, und als Bertha
vollends in der fröhlichen Hast ihrer Bewegung ein Glas Wasser bei
Tisch um stieß, machte sein Unmuth sich durch einen unwilligen Aus-
ruf Luft. Es war ihm auch nichts so zuwider, als Ungeschicklich-
keit an Frauen; wie schön, wie würdig nahm sich dagegen eiue
ruhige, anständige Haltung ans! — Der Tag war ihm nun völ-
lig verdorben: kokett und unbesonnen! — Die schöne Versöhn-
lichkeit freilich, mit der Bertha seine mürrische Laune, und seine
für sie vor Fremden so beschämende Zurechtweisung ihres Un-
geschicks hinnahm, und zu verzeihen geneigt war — die holde
Demuth, mit der sie nach der Heimkunft ihm zum Abschied sagte:
,-,Du warst heute nicht zufrieden mit mir! Wenn ich etwas nicht
recht gemacht habe, so sage mir's nur und zürne nicht länger!" —
Vie schätzte er nicht — es war ja nur ihre Pflicht so! In ähn-
licher Weise ging es täglich fort; je mißtrauischer Helmberg's
Blick ward, um so mehr Fehler entdeckte er an Bertha. Das
arme Kind litt unsäglich, und hätte dennoch den Gedanken an
eine Trennung nicht selbst gefaßt, denn sie liebte ja Helmberg,
und war an der Seite einer kränklichen Mutter m der Verträg-
lichkeit geübt worden.
Helmberg selbst that endlich diesen Schritt; er glaubte, sei-
nem Glück, der Ruhe seiner Zukunft das Opfer seiner Liebe schul-
dig. 'Bertha ergab sich darein; sie zürnte ihm nicht einmal; sie
gab sich selbst die Schuld unv sagte sich, daß ein Mann von
 
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