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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Köhler, Aline: Das Mädchen von Lenow
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Münzer, Reginald: Eine Pfingstfahrt auf dem Genfer See
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0132

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mein Vater im Grabe ruht, Niemand spricht ein Wort aufrichtiger
Liebe zu mir, ausgenommen mein Entsen; doch er ist alt, Gott
wird ihn von der Erde bald abrufen, dann habe ich kein Wesen
mehr, das Theil an mir nimmt! Fühlt ein Unglücklicher nicht
doppelt seine Verlassenheit, nicht doppelt die Kränkungen der
Menschen? Wird er nicht täglich bitterer gegen sein Schicksal,
wenn nicht ein liebendes Herz ihn tröstet? Ellen, ich liebe Dich,
werde die Meine! Du schweigst? -Ach, Dein Schweigen, die Eis-
kalte Deiner Hand sagt mir, daß ich Dir Nichts bin/'
„Reimar, verkenne mich nicht," fiel das Mädchen ein, „ich
liebe Dich, Du weißt nicht, wie tief—, wie innig —>!"
„Und doch warst Du so stolz und wiesest mich kalt zurück!"
„Reimar, wenn die Pflicht spricht, muß das Herz schweigen,
und jetzt, wenn Dir meine Liebe heilig ist, vergiß, daß ich sie Dir
gestand, Gott hat unsere Lebenswege durch den Unterschied des
Standes getrennt, .... laß uns scheiden!"
„Ellen! Trennen! Was sührt Dich zu dem Gedanken, Du bist
mein! Ich kannte Dich schon längst aus den Erzählungen mei-
nes Lehrers, ehe Du es geahnt. Wenn ich von Seelengualen
gefoltert voll Mißtrauen die Menschen verfluchte, führte er mir
als lebendig redende Zeugen menschlichen Edelmuthes Dich und
Deinen verstorbenen Vater auf; ich fühlte mich zu Dir hingezogen,
mein Lehrer rieth mir, Dich selbst zu prüfen. So kam ick> hierher,
das Andere weißt Du, und nun willst Du, ich soll mich von Dir
trennen? Nein, Ellen, fordere -Alles von mir, nur dieß nicht!"
„Du weißt von Deinem Lehrer, daß mein Vater ein deutscher
Maler war, der eigentlich -Arnold von Fliessingen hieß. Auf einer
Reise nach England lernte er meine Mutter, die Tochter des stolzen
Grafen von Serry kennen. Ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit
fesselte bald sein Herz; schon beim ersten Zusammentreffen mit
ihm fühlte meine Mutter eilte tiefere Neigung für ihn. Weder
die Bitten noch die Drohungen ihres Vaters vermochten ihre
Liebe zu erschüttern und sie von ihrer Verbindung mit ihm zurück-
zuhalten. Von ihren Eltern wegen Ungehorsams verstoßen, führte
sie den Entschluß, mit meinem Vater von England zu fliehen,
aus; Beide fanden nach langem Umherirren durch die Vermitt-
lung Deines Lehrers in Lenow einen Zufluchtsort, wo sie vor der
Rache des Grafen von Serry gesichert waren. Mein Vater verließ

die ehrenvolle Bahn der Kunst, um als Landmann in der Ver-
borgenheit ungestört mit seiner Gattin leben zu können. Ach, seilt
Glück war bald verweht! Meine Mutter, von den Qualen, welche
ihr die Verachtung ihrer Familie bereitete, gefoltert, im Reich-
thum auferzogen, und jetzt oft das Nöthigste entbehrend, ver-
mochte nicht, sich an ihr dürftiges Leben zu gewöhnen und starb
neun Jahre nach ihrer Flucht. Sie meinte in ihren letzten Lebens-
jahren, ihre Liebe sei ein Wahn gewesen und bereuete schmerzlich
ihre Verbindung. Mein armer Vater litt Unsägliches, und hätte
ihm nicht in dieser Zeit sein treuer Jugendfreund, der Pfarrherr
Entsen, mit Trost und Hülfe beigestanden, ich glaube, der Tod
hätte ihn bald weggerafft. Ach, wie oft hat er mich ermahnt, mich
zu prüfen, ehe ich mich für das Leben bände, wie oft mich gewarnt,
niemals einen Gatten von höherem Stande zu wählen. Reimar,
manche Liebe ist nur ein unglückseliger Wahn! Sieh', ich bin nur
ein schlichtes Mädchen, du mußt eine Gattin besitzen, welche an
Stand und Bildung Dir gleich ist. In den Kreisen der Gesell-
schaft, denen tagtäglich die höchste Geistesbildung zu Theil wird,
wirst Du bald eine edle Seele finden..."
„O, Ellen," erwiederte Reimar bitter, „Deine Worte sind
Hohn; in diesen Zirkeln finde ich keine Seele, die mich zu be-
glücken vermag! ..." Und er erging sich in einer lebendigen
Schilderung der Hohlheit und Herzlosigkeit der Salonmenschen!
„Laß uns unsere Liebe prüfen!" flehte Ellen; „ist sie kein
Wahn, so wird sie nur noch inniger werden, wenn der Strom der
Zeit über sie hinweg rauscht; laß uns drei Jahre getrennt leben.
Findest Du in dieser Zeit kein Wesen, das Dir ebenbürtig ist,
und das Du mehr lieben kannst als mich, so bin ich Dein, Dein
auf ewig."
„Es sei!" erwiederte Reimar!
Noch an selbigem Abend wanderte ein einsamer Wanderer
über die Höhen von Lenow in die weite Ferne. Es war Graf Rei-
mar von der Treuenburg.
Meine Liebe, murmelte er im Gehen, wird die Zeit nicht ver-
löschen, die ihre-—? Nein, einer Untreue ist Ellen nicht fähig,
aber das Schicksal — wird es uns günstig sein — ?
(Ende der ersten Abteilung; die zweite folgt im nächsten Heft.)


Eiire Pfingstfahrt auf dem Genfer See.
Von
Reginald Münß'er.

Eilt golden strahlender Pfingstmorgen —> kein Lüftchen —>
der See glatt wie ein Spiegelglas und blau wie Himmelsbläue,
— kein Wölkchen, nur die schwarze, dem Schlote des zur Abfahrt
bereit liegenden „Adlers" sich entwindende Rauchsäule, die von
der Sonne niedergehalten wurde, schwebte über der Stadt Cal-
vins. Der große Quai, die Bergues-Brücke und die Rousseau-
Insel waren dicht mit Zuschauern bedeckt, die der Abfahrt des

Dampfers mit zuschauen wollten. Alles war im Festtagsgewande;
Pflastertreter und Commis präsentirten die neuesten Sommer-
trachten ; ihre Kleider waren noch warm von der Hand des Schnei-
ders und dem letzten Stoße des Bügeleisens; die Damenwelt
zeigte die bunteste Farbenpracht; wo sie vorüberzog, wallte Einem
ein Dunstkreis der frischesten von Wind und Sonnenhitze noch
nicht verwehten Parfümerien entgegen; auch der Letzte hatte sich
 
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