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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 3.1854

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Sancta Irena
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https://doi.org/10.11588/diglit.45119#0203

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wenn man zur Zeit der Dämmerung an dein See vorüberkommt,
oftmals aus der Tiefe desselben ein menschliches Haupt sich erhe-
ben sieht, das sein triefendes Lockenhaar schüttelt und gierige
Blicke nach dem Palaste sendet; und daß, sobald die ersten Son-
nenstrahlen sich erheben und die Säulen und das Gold der Mi-
narets berühren, das Haupt ein Seufzen ausstoße und in sein
kühles Beet versinke. Man behauptet, daß dieß stets zur selben
Stunde sich ereignet, wo das vom Rumpfe getrennte Haupt Mez-
raün's in den See fiel.
— Diese Sage ist schrecklich, sagte Helene schaudernd.
Amaury beging ein großes Verbrechen und ohne Zweifel ist sein
schneller und seltsamer Tod eine gerechte Strafe Gottes.
— Ah, Madame, ich würde die That Mezrcum's begreifen,
sagte Zorzalemi mit einem leidenschaftlichen Blicke auf Helene,
wenn die schönste Fürstin der Welt einige Zeit seinen Palast be-
wohnt haben würde.
Die Dämmerung war schon hereingebrochen, so daß Zorza-
lemi das Erröthen Helenen's nicht bemerken konnte. Sie fragte
jetzt mit zitternder Stimme, indem ste auf die Springquelle zeigte:
— Und hat auch dieses Wunderwerk seine Legende?
— Es ist das Lieblingswerk Mezrcüm's, erwiederte Angelo;
man sagt, daß an dem Tage seiner Ermordung das Wasser auf-
hörte, zu quellen, und daß rauchendes Blut diese buntfarbigen
Fische und Pflanzen besudelte. Dasselbe Phänomen wiederholt
sich stets, sobald ein Besitzer der Domaine ein Verbrechen begeht
und der Springquell versiegt dann auf hundert Jahre.
Zorzalemi schwieg. Der Abend breitete seinen sternbesäeten
Azurschleicr über den Hügel aus.
Der Berg warf eine gigantische Lichtsäule, phantastische Schat-
ten in das Thal.
Die fernen Töne des Orchesters drangen nicht bis in dieses
grüne Kabinet; man vernahm nur das leise Murmeln der Quelle
und das lebhaftere Athmen der zwei Liebenden.
Mehrmals jedoch schien sich das Laubwerk der Mhrthe leicht
zu bewegen. War es der frischere Hauch des Abendwindes, oder
vielleicht, wie sich die classische Phantasie des Senators Ermalao
vorstellte, ein ländlicher Halbgott, der in dieses geheimnisvolle
Gebüsch kam, um vie Nymphen der Heidenzeit zu suchen.
Die Laubwand lag durch die Dunkelheit im Schatten, plötz-
lich sah Zorzalemi eine menschliche Gestalt gleichsam daraus her-
vortreten und langsam auf ihn zuschreiten. Selbst der muthigste
Mensch ist nicht frei von Schwäche, der junge Venezianer fühlte
einen Augenblick seine Zunge gelähmt. Doch erkannte er bald
den neuen Ankömmling.
— Seid gegrüßt, sagte er, Signor Amaury von Lusignan.
Ich bedaure, daß das Fest Euch kein höheres Vergnügen gewährt,
als die Ruhe und Einsamkeit.
Der Angeredete war ein Mann von hoher Gestalt und dunk-
ler Gesichtsfarbe, schwarz gekleidet, und sein Aeußeres entsprach
vollkommen dem Bilde, das Zorzalemi von dem Herrn von Tyr
entworfen hatte. Nachdem er die Prinzessin begrüßt hatte, er-
wiederte er dem jungen Edlen:
— Entschuldigt mich, Herr Angelo; allein ich weiß nicht,
weßhalb mich Eure Feste stets mit höherer Trauer erfüllen, je

glänzender und fröhlicher sie sind. Ihr begreift das nicht, Ihr,
allein ich, der schon alt ist und Trauer um einen vierjährigen
Kreuzzug trägt, ich wähne den Türken seine Kanonen gießen, seine
Ketten schmieden zu hören — diese Kanonen werden einst wüthen
gegen unsere Kinder aus Nicosia, diese Ketten ihre Arme zerflei-
schen — und dieß wird geschehen, ehe Ihr todt seid, Angelo; ehe
Euch, Madame, die Schönheit verläßt. Was uns Beide betrifft,
Signor Ermalao, so werden wir, Dank dem Himmel, schon längst
ruhen in unserm Grabe von Stein.
— Wie, Signor? rief die Prinzessin erschreckt, so steht uns
ein gewaltsamer Tod oder die Sklaverei bevor?
— Ich gäbe mein Leben darum, wenn ich Euch dadurch von diesem
Loose befreien könnte, Madame! Alleindas Schicksal muß sich erfül-
len. Schon werfen die Türken von Cilicien einen gierigen Blick
nach diesem unglücklichen Königreiche; sie werden zahlreich wiedie
Sandkörner am Meere heranrücken; die Lusignan, wenn deren noch
am Leben sind, werden auf den Wällen oder in den Bagni P von
Constantinopel sterben;—dieselben Lusignan, die von Venedig
beraubt wurden, werden ihr Leben einsetzen, um ihm eine unge-
rechte Eroberung vercheidigen zu helfen; die Werke der Kunst
werden zerstört werden und der Palast von Santa Irena, der mit
Recht die Bewunderung der Welt erregt, wird gleich so manchen
Kirchen und Schlössern von den Muselmannen in Trümmern ge-
worfen werden. Dann ist die Insel nur noch ein Haufen von
Knochen und Schutt...
Nach diesen Worten entfernte sich Herr von Lusignan, indem
er fortwährend noch leise mit sich selbst sprach. Die Größe seiner
Familie ließ das Herz dieses abgemagerten, zerbrechlichen Greises
oft fieberisch schlagen und veranlaßte ihn zu Prophezeiungen, die
sich häufig erfüllten.
Mit dieser war es der Fall. Als sich die Türken im Jahre
1570 der Insel bemächtigten, wurde der größte Theil der Ein-
wohner getödtet oder in die Sklaverei geführt.
Auch in das Jdalia-Thal drang ihr wildes Siegesgeschrei —
vergebens vertheidigte Zorzalemi mit einer wackern Schaar den
Eingang, die Türken drangen siegend durch und verfolgten mor-
dend die Kämpfenden. Sie drangen in die innersten Gemächer
und achteten nicht auf den Sammelruf ihrer Gefährten, die außen
Anstalten zur Vernichtung des Gebäudes trafen.
Schon war Zorzalemi unter den Streichen der Türken gefal-
len zur Seite seiner Gattin, auf deren noch immer schöner Ge-
stalt die gierigen Blicke der Muselmannen hafteten, als einer auf
sie zusprang rind sie umfaßte. Allein er trug seine Beute nur bis
zur Pforte, da flog der Palast krachend in die Luft und begrub
die Mörder und die Gemordeten unter einem weiten Haufen von
Schutt. . .
Die Küste von Santa Irena ist jetzt nur noch ein nackter Fels,
auf dem die Ringelschlange sich im Sonnenlichte kräuselt und die
einzelnen Bruchstücke von goldglänzender und farbenschimmcrnder
Masse, die die halb verhungernden Bauern da und dort zusam-
menlesen, sind die einzigen Neberreste des schönsten Palastes der
Welt. - - -

*) Bagno ist ein Sklavenhaus in Constantinopel.
 
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