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Kunst der Zeit: Zeitschrift für Kunst und Literatur — 2.1928

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Nr. 7
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Meyer, Alfred Richard: Der Kater von Ascona
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https://doi.org/10.11588/diglit.67647#0066

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DER KATER VON ASCONA
VON
ALFRED RICHARD MEYER

chelt ward und leider ein Stückchen


(1925)
. In den Reisetage-
büchern dieses Som-
mers vom Lago Mag-
giore, aus Locarno
und Ascona habe ich
auch eines ganz ge-
wißen Katers ge-
dacht, der jetzt auf
der Terraße einer
kleinen Oßeria zu
Ascona, bei dem er-
slen privat zurück-
gezogenen Zusam-
mensein zwischen
Dr. Luther und Bri-
and die besondere
Aufmerksamkeit des
deutschen Reichs-
kanzlers erregte, von
jenem auf dem Tisch
gesetzt und geßrei-
Fleisch nicht mehr er-

hielt, weil angeblich keins mehr im Hause war.

Und nun nehme ich dieses arme verhetzte, verhungerte
Tierchen und mich feuilletonißisch nicht in dem Sinne
wichtig, daß ich sage: dasselbe weiche Fell, das ich damals
slreichelte, hat nun auch Dr. Luther geßreichelt, sondern
meine Gedanken gehen viel weiter: vielleicht hat dies kleine
Tierchen überhaupt zuerst die nette Stimmung zwischen den
beiden Herren zußandegebracht, mit seinem posßerlichen
Spiel und seinem Schnurren die politisch erregten Gemüter
etwas besänftigt und milder, ja kindlicher gemacht. Und
unwillkürlich muß ich mich einer ganz anderen Katze ent-
sinnen, vieler Katzen und Kater, die wider Willen in einer
Szene, nach einer erregten „Szene“ eine Rolle spielten, in-
dem nämlich plötzlich der eine Part nach der erfolgten
lauten Auseinandersetzung bemerkte, wie der andere, viel-
leicht nur um ßch selbst zu beruhigen, die zufällig vorüber-
schnurrende Katze slreichelte, worauf es dann dem erslen
mit einem Schlag friedlicher im Sinn wurde und er sich
sagte: Wenn der andere ausgerechnet jetzt, in dieser gefähr-
lich explosiven Situation, jenes kleine ärmliche Tier da
ßreichelt, muß er doch im Grunde seines Herzens ein ganz
guter Mensch sein. Ich glaube: faß ein jeder Mensch hat
einmal in seinem Leben das gesehen und erlebt und auch
also denken müßen. Und es iß gar nicht ausgeschloßen, daß
Herr Briand auch diese Geße der Güte bei seinem deutschen
Gegenpart bemerkte und zur gleichen Schlußfolgerung kam.
Es wäre doch immerhin wahrscheinlich. Und der kleine
Kater, dem seine Herrin bisher jede beßere Daseinsberechti-
gung absprach, kommt zweitens nun, wenn die Konferenz
mit einem halbwegs günßigen Resultat endet, seinerseits.
ohne eine Ahnung davon zu haben, in die Weltgeschichte,
erhält ein Ehrengrab oder wird gar ausgeßopft und im
Haager Friedenspalaß seligen Angedenkens für alle Zeiten
aufgeßellt. Er geht in die Schullesebücher ein wie die Gänse,

die einß im Rom das Kapitol retteten durch ihr frühzeitiges
Geschnatter, leider aber nicht ausgeßopft wurden, oder wie
das ausgeßopfte Pferd im Schloß zu Ansbach, das in sieg-
reicher Schlacht unter einem Ansbacher Markgrafen erschoßen
ward, oder wie die ausgeßopfte Katze des Dogen Francesco
Morosini, genannt 11 Peloponneßaco, noch heute in Venedig
im Civico Museo Correr zu sehen, die ihrem hohen Herrn
einß das Leben rettete und ihn auf all seinen kriegerischen
Galeerenfahrten begleitete. Vielleicht aber nimmt die
Oßeria-Wirtin das Tierchen nicht halbwegs so wichtig und
hat für es auch weiterhin kein Stückchen Fleisch im Hause,
sagt ßch, daß es am Berghang genug feiße Feldmäuse zu
fangen gibt, und schreibt unter Nr. 653 bei der Inventur-
Aufnahme des Grundßiicksverkaufs einen lebenden namen-
losen schwarzen Kater auf — lediglich der genauen Voll-
ßändigkeit halber. Es hat ja in der Weltgeschichte schon
immer große Ungerechtigkeiten gegeben, deren man leider
erß zu spät inne wird.
Hinsichtlich des kleinen Katers von Ascona habe ich
meinesteils, was den großen Ruhm angeht, hier meine
Schuldigkeit getan. Ich sehe ihn noch neugierig mit grünen
Augen um die Ecke lugen, wenn ßch am Sonntag abend hier
in seiner Oßeria die Asconeser Jugend zum Tanze zu-
sammenfand, der hier mit ganz besonders „keßer Sohle“
geschoben wird. Der Tanz diplomatischer Worte zwischen
den Herren Luther und Briand sehlen ihm weit ungefähr-
licher zu sein. Da konnte man ßch schon schnurrend hin-
einmischen. Man hatte wenigßens für ihn Freundlichkeit
und ein sanftes Streicheln übrig, wenn auch kein Stückchen
Fleisch für ihn abfiel . . .
Ob in Ascona und ganz Locarno für Deutschland dito
auch kein Stückchen Fleisch abfallen wird? Soweit wollen
wir lieber nicht mit Fragen symbolisch in die ungewiße Zu-
kunft langen .. .
(1927)
In diesen Juni-Tagen lese ich zufällig im „Berliner Lokal-
Anzeiger“ wieder etwas von dem Kater von Ascona. Ach,
sein Schicksal iß ein ganz anderes geworden! Man hat den
Kater für teures Geld als hißorische Erinnerung verkauft!
An einen Amerikaner, der tiefßes Stillschweigen ob des
heimlichen Kaufes versprechen mußte. Der Kater war doch
gewißermaßen der Wirtin wichtigßer Broterwerb, weil jeder
Fremde, der nach Ascona kam, das Tierchen gern sehen
wollte. Erß in New York dürfe der Amerikaner sich seines
Besitzes rühmen. Und da er es dann wirklich also mit
ganzem Stolze tat, ßellte es sich allmählich heraus, daß gar
sehr viel andere Amerikaner, die denselben Sommer in
Ascona gewesen waren und ßch selbßverßändlich auch die
berühmte Oßeria ansahen, den gleichen Kater gekauft
hatten, der doch immer wieder ein anderer war, dennoch mit
welthißorischem Nimbus behaftet und daneben so etwas wie
ein Stück Haus-Indußrie. Ein gewißer Paulus hat uns dies
Märchen erzählt, das vielleicht gar keines iß — wie jenes
andere auch — für Deutschland . .. reden wir lieber nicht
davon.

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