ERNST HONIGBERGER
WASSERTRÄGERIN (1926)
keit, diese unbegrenzte Weite in den engen Rah-
men eines Bildes zusammenzuraffen, ergab sich mir
nicht. Und wie von Sehnsucht beschworen er-
lehienen vor meinen suchenden Augen wieder die
großen, grünen und die kleineren dunklen Masien,
und hier erkannte ich sie: die Berge meiner Hei-
mat. — Wenige Tage nur vor meiner Abreise fand
ich zufällig ein Dorf: tief liegen die einzelnen Häus-
chen zwischen hohen Dünen. Diese erinnerten
wenigstens an Berge: hier fand ich Formelemente,
die meinem Schaffen, meinem Wesen entsprachen.
Und das Blickfeld war begrenzt, ich konnte den
Rahmen „füllen“. —
Die Unterschiede der Sehweise beschränken sich
selbstverständlich nicht bloß auf die Landschaft, sie
1
treten in der Figurenmalerei gleichermaßen in Er-
scheinung. Hier wird der eine stets die Relief-
wirkung, der andere Raumtiefe erstreben.
Nicht nur die formale, auch die fahrige An-
schauung ist unterschiedlich. Der Gebirgsmensch
wird mehr zum (naturalistischen oder erfundenen)
„Lokalton“ und zu reiner, ungebrochener Farbe,
der Flachlandsmensch aber zur gebrochenen, nu-
ancierten Valeurmalerei neigen.
So bedeutend auch der Einfluß von Veranlagung,
Charakter, Rasse usw. aufs künstlerische Schaffen
sein mögen — für unsere malerisch-formale Auf-
fassung sind unbedingt die aus dem Natureindruck
der Kindheitstage resultierenden, im Unterbewußt-
sein gesammelten Formbindungen ausschlaggebend.