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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Ihne, Ernst: Die Stoffwelt der neuesten Malerei, [1]: Studien im Pariser "Salon" von 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0018

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gebilde des Abendhimmels wunderliche Gestalten, Land-
schaften, Burgen und Schlösser hineindichtet.

Das Betiteln solcher ideenloser Bilder ist eine Kon-
cession, welche der Künstler glaubt dem Publiknm machen zu
müssen, und fast nur anerkannte Größen werden es wagen
eine ausgestellte Aktfigur im Katalog einfach „Studie" zu ^
nennen. Nun ist zwar eine Figur, die gemalt worden ist,
um daran Arme, Beine oder Rumpf zu studiren, noch !
lange kein Kunstwerk, aber diese Studien sind die uner- !
läßlichen Vorarbeiten für die ideal-typische Malerei, die ^
in erster Linie aus ihnen hervorgeht.

Es muß uns auffallen, darf uns aber nicht befremden,
daß das Weib viel häufiger der Gegenstand dieser nach
dem Thpiscken suchenden Studien ist als der Mann.
Denn der Körper des Mannes, dessen Vorzüge in seiner
Normalität bestehen, hat unendlich an Bedeutung ver-
loren, er ist durch eine Umkehrung des ursprünglichen
Verhältnisses fast zu einem Anhängsel des Gehirns ge-
worden, und die Bedeutsamkeit des männlichen Gesichtes
liegt nur in seiner Jndividualität, d. h. in seiner Ab-
weichung vom Normalen. Dies wird noch klarer, wenn
wir uns erinnern, daß die einzigen modernen Männer-
typen in der Genremalerei zu finden sind, bei welcher der
Maler seinen Gegenstand in einer geistig unter ihm
liegenden Sphäre sucht. — Beim Weibe aber ist es an-
ders. Vor allem haben wir zu bedenken, daß es der
Mann ist, der sie malt, und daß dieser sie nur sehen kann
durch das Mittel der Geschlechtsbeziehungen im weitesten
Sinne des Worts. Die jetzt populären Emancipations-
projekte mögen das vielleicht Alles Lndern, bis jetzt aber
kenncn wir keinen andern Existenzgrund des Weibes als
ihr Geschlecht. Der Standpunkt für ihre Darstellung
verschiebt sich also nur wenig, je nach dem Naturell und
nach dem individuellen Belieben des Malers, und so
entstehen die verschiedenen weiblichen Typen in der Kunst.
Man denke nur beispielsweise an die lange konstant blei-
benden Weibertypen der großen Jtaliener.

Jch kann mir nun zu dem eben Gesagten kein besseres
Beispiel wünschen, als ein Bild von Baudouin, das
den meisten Besuchern des Salons aufgefallen sein muß:
Venus Lybica.

Es ist eine schwarze Aphrodite Anadyomene von un-
verkennbarem Negertypus, mit dicken Lippen und mit
krausem Haar, die, auf einem Delphine durch die schäu-
Mende Fluth dahinfahrend, einem neben ihr sitzenden,
ebenfalls lybischen Eros wohlgefällig zulächelt.

Es ist dies weniger ein Bild als eine gemalte Thesis,
ich wenigstens kann mir diese unappetitliche Venus nicht
anders motivirt denken. als dadurch, daß der Maler an
ihr die Subjektivität eines jeden Schönheitkanons hat
demonstriren wollen.

Ein solches subjektives Veuusbild trägt ein Jeder
von uns im Herzen, und man könnte nicht nur eine

lybische, eine semitische und eine arische Venus malen,
sondern mit demselben Rechte eine deutsche, eine englische
und eine französische.

Entsprechend den drei Entwicklungsstufen des Weibes,
hat nun die ideale Malerei drei Weibertypen geschaffen,
die mit leisen Variationen immer wiederkehren: Psyche,
Venus und Madonna Maria. Venus und Madonna sind
mit vollem Bewußtsein als Repräsentanten der betresfen-
den Typen dargestellt worden. Die Psychefabel aber
eignet sich wegen ihres modern philosophisirenden Charak-
ters zu allegorischen, so zu sagen hieroglyphischen Bildern.
Das allegorisch seichte Märchen des Apulejus möge als
Beispiel gelten und in neuester Zeit die Verse Heinrich
Heine's:

Achtzehnhundertjähr'ge Buße —

Und die Arme starb beinah'.

Psyche fastet und kasteit stch,

Weil sie Amor nackend sah.

Man muß also wohl unterscheiden zwischen diesen
spezifisch legendären Bildern, wie sie auch heute noch
sporadisch auftreten, und den wahren, ich möchte sagen un-
bewußten Psychedarstellungen.

Der ersteren Gattung gehört ein schlechtes Bild von
A. Glaize an, welches ich nur beispielsweise nenne. Es
zeigt uns Psyche, wie sie neben dem Lager stehend den
durch's Fenster davonfliegenden Amor beim Bein zu
haschen sucht. Ein Plafondbild von Mazerolle zeigt
eine Auffassung des Mythus, die an Boucher und Fra-
gonard und die übrigen Größen des 18. Jahrhunderts
in Fraukreich erinnert, von denen Götter und Heroen
dargestellt werden, wie sie in den Umgangsformen des
Hofes von Versailles mit einander verkehren. So auch
dieser Amor, der sich vor der über ihm in den Wolken
schwebenden Psyche auf ein Knie niedergelassen hat.

Eine wahre Psyche aber, ein jungfräulich liebliches
Antlitz ist das auf dem Bilde „NEtation" von Cot.
Es ist ein blondes Mädchen, das ein rothgebundenes

haben sich vom Buche erhoben und schauen fragend in's
Nichts.

Die Kinder, die so reflektirend in die Höhe schauen,
pflegt der dumme Lehrer anzuschnauzen: ob sie etwa
glaubten, daß das Gesuchte an der Wand geschrieben
stehe. Das Licht dringt von hinten in die Stube, und
gegen den dunkeln Hintergrund glaubt man in dem hellen
Streifen die Sonnenstäubchen spielen zu sehen. Das
Gesicht liegt im Schatten und das goldene Haar wird
vom Streiflicht berührt. Dies verbreitet eine Art von
Heiligenschein um dieses Mädchengesicht. — Und vor
Allem: was für magisch leuchtendeAugen! Es sind solche,
die man nicht vcrgißt. Eiue kritische Dame sagte: „Oui,
e'est beuu ki I'on suoriüs tout nux ^eux." Das ist
wahr, uud deßhalb ist sie ganz Seele, ganz Psyche.
 
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