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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Ihne, Ernst: Die Stoffwelt der neuesten Malerei, [3]: Studien im Pariser "Salon" von 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0033

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eines braunen Gauklers, dessen Hauptforce im Abrichten
von bunten Vögeln zu bestehen scheint. Diese fliegen
zahm im Raume umher und lassen sich auf den HLnden
der Damen nieder und fliegeu auf Cvmmando durch
einen bereit gehaltenen Reifen wie die Pferde im Circus.
Jn dem Bilde ist Alles modern bis auf den Gaukler
und die Kostüme. Die Leute sitzen da ganz wie bei einer
Liebhabertheater-Vorstellung in einem modernen Salon.
Auf den vorderen Honoratioren-Stuhl-Reiheu ist Alles
Aufmerksamkeit. Hinten kokettiren die Damen mit den
jungen Leuten.

Ganz genrehaft, aber als Darstellung hcrvorragen-
der Momente auch wirkungsvoller als die genannten Ge-
mälde, sind zwei Bilder aus dem römischen Leben von
Hector Leroux: „Otlranäs ü lu üsvrs" und „I-u ^ur-
äisnns äu beu snors."

Jm ersten Bilde kniet ein Mann vor einer Nische,
in der eine verhüllte Statue das Haupt in die Hand ge-
stützt hat. Jn der erhobenen Rechten hält er einen Oel-
zweig und betet eifrig. Er stützt eine vor ihm ohnmächtig
zurücksinkende kranke Frau, in deren leichenblassem An-
gesichte der nahe Tod geschrieben steht, und hinter ihm
steht ein junges Mädchen, ebenfalls betend. Diese Fi-
guren sind vor dem Altar friesartig aufgestellt nnd werdcn
fast im Profil gesehen. Von der Höhe, auf der wir uns
befinden, sehen wir hinab in die in giftige Dünste ge-
hüllte Campagna. Das ganze Bild athmet die Kranken-
stube; auch die trockene, kalte Farbengebung, die dem Maler
eigen zu sein scheint, entspricht dieser Stimmung.

Jm zweiten Bilde blicken wir in das Gewölbe, in
dem der Altar der Vesta steht. Rechts sehen wir das
Postament und die Füße der Statue und in der Mitte
den Altar. Links davon ist die Vestalin in einem Sessel
eingeschlummert. Das heilige Feuer ist dem Erlöschen
nahe und auf den steinernen Tafeln im Fond einer Nische
liest man die strengen Gesetze, welche sich auf den Vesta-
dienst beziehen.

Es ist in der Auffassung etwas sehr Theatralisches,
David'sches, und man sucht unwillkürlich nach einem
Trauerspiel von Corneille, dem die Sceue entnommen
sein könnte. Wenn diese Vestalin beim Erwachen reden
würde, so wäre es sicher in Alexandrinern. — Das
erste Bild von Leroux ist wegen seines allgemein menscb-
lichen Jnhaltes ergreifender, historisch aber ist es fast
Null. Der ganze archäologische Kram bleibt künstlerisch
wirkungslos.

Wir finden durch diese Beispiele daSjenige be-
stätigt, was wir schon vorher theoretisch schlossen. Dcr
Versuch, auch das antike Leben in das Gebiet des Genre
hineinzuziehen, ist zwar ein Beweis für die Kraft des
modernen Kunsttriebes, aber es ist doch ein entschiedencr
Fehlgriff. Es ist dieses ein Keim, der in einen dürren,
unfruchtbaren Boden gefallen ist, wo er keine Nahrung

findet und nur durch künstliche, unnatürliche Mittel am
Leben erhalten wird.

Mit den eben besprochenen klassischen Studien kon-
trastiren sehr stark die Leistungen jener Schule, die das
modernste, bekannteste Leben zu ihrem Gegenstand ge-
macht hat. Prinzipiell kann man diese Bestrebungen kaum
zu sehr loben, was uns aber dabei auffallen muß, das ist,
daß hier, wie anch schon bei den Aktfiguren, das schöne
Geschlecht das Feld fast ganz allein behauptet. Für die
einzelnen Charakterfiguren wird dieses erklärt durch den
Grund, den ich schon bei den Nuditäten anführte. Ein
„Ouvulisr ssuO' dieser Sorte, so ein einzelner „xstit
srsvs", der nur seiner selbst wegen da wäre, würde die
Damen vielleicht interessiren, uns konnte er nur an die
zierlichen Wachspuppen erinnern, die wir in den Laden-
fenstern der Friseurs zu bewundern gewohnt sind.

Diese Charakterfiguren sind die der modern franzö-
sischen Gesellschaft, wie sie von den neuern Romanciers ge-
schildert wird. Es ist der naive Kloster-Backfisch von Toul-
mouche, die kokette Schöne „äu Arunä inonäs" und na-
mentlich die „tsmrns äs trsnts unsN Die „tewms äs
«xnurunts uns", die in der Romanliteratur neben jener ihre
Stellung behauptet hat, ist begreiflicherweise in der
bildenden Kunst nicht von ihr zu unterscheiden. Dann
liefern aber auch die Cameliendamen ein bedeutendes
Contingent.

Da es bei den anekdotenhaften Scenen nun einmal
ohne Liebesgeschichte nicht geht, so wird der Mann auf
irgend eine Weise angedeutet, wie z. B. auf dem Bilde
von Saintin: „OsssxtionN Eine Dame sitzt am
Sekretär und liest einen Brief, der sie tief zu betrüben
scheint. Die Photographie des Treulosen in Visiten-
kartenformat steckt im Spiegel. Es ist die alte Geschichte,
welchc ewig neu bleibt. Der Dame bricht aber schwerlich
das Herz entzwei.

Jn einem andern Bilde, „Inäsoision", das zu diesem
vielleicht das Pendant sein soll, steht ein blondes Dämcken
dicht am leichtbeschlageneu Fenster, so daß sich ihr Gesicht
in der Fensterscheibe spiegelt. Sie ist zum Ausgehen an-
gekleidet und knöpft sich eben ihre Handschuhe zu. Man
könnte glauben, sie denke bloß über das Wetter nach, viel-
leicht handelt es sich absr auch um ein Rendez-vous. An
den Wänden der Stube hängen sämmtliche Bilder vou
GerSme in Photographien.

Ein reizendes Evatöchterchen von Toulmouchc
hat sich in die Bibliothek des Vaters eingeschlichen und
kostet dort die verbotene Frucht. Man sieht, wenn man
näher herantritt, daß die Kleine sich im Code Napolson
über die Geheimnisse des ehelichen Lebens instruirt.

Diese und ähnliche Scenen sind nun an sich nicht
bedeutend, es ist die frische, ällbekannte, manchmal banale
Gegenwart, die uns aus ihnen entgegentritt. Was wir
an dieser Gattung am meisten tadeln müssen, das ist aber
 
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