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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Ihne, Ernst: Die Stoffwelt der neuesten Malerei, [3]: Studien im Pariser "Salon" von 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0034

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31

auch das Resultat ihres Zusamiuenhangs nnt der Mode.
Auch daß die Männer auf dieser Bühne selten er-
scheinen, wird durch diesen Umstand erklärt. Jhr Kostüm
schließt sie aus, gewiß mit Unrecht. Man sollte ihnen
Zutritt gewähren, inunä mßme. Jn diesen zierlichen
Bilderchen haben nämlich meistens die KleiderderDamen,
welche die schönen Besucherinnen des Salons bewundernd
kritisiren, gegenüber der Situation und gegenüber dem
Ausdrnck in den Gesichtern gerade soviel Bedeutung,
daß man etwas uuangenehm an die kolorirten Beilagen
der Modejournale erinnert wird, welche wenn auch noch
nicht in Oel gemalt, dennoch, wie die betreffenden Re-
dakteure versichern, von den „ersten Künstlern" geliefert
werdcn.

Aber dies ist erst der Anfang und läßt für die Zu-
kunft das Beste hoffen. Hauptsachtz ist, daß wir eine ge-
sunde Tendenz finden, alle bedeutenden Erscheinungen
des modernen Lebens künstlerisch aufzufassen, und ich will
durchaus keinen Tadel aussprechen, wenn ich sage, daß
diese Schule der in den illustrirten Blättern, namentlich
im äonrnul amnsunt, vorgezeichneten Bahn folgt. Denn
den Zeichnern dieses Blattes ist es gelungen, gcwisse
Gestalten der Pariser Bonlevards so typisch aufzufassen,
daß man fast fragen möchte, ob die Figuren von den
Persönlichkeiten des Boulevard kopirt sind, oder diese von
jenen. — Auch in andre Schichten der Pariser Gesell-
schaft hat man mit demselben Glück gegriffen. Loonce
Petit, der geistreiche Jllustrator des philiströsen Lebens
in der Provinz, nennt ein Bild lu porto än lmroun
äs olmritä". Man sieht vor der Thür desHülfsbureau's
ein Gedränge von Nothleidenden, ausgehnngerte Weiber
mit blassen Kindern, hartgesottene Bettler und ein ge-
brochenes Männchen im zugeknöpften sckwarzen Frack, der
bessere Zeiten erlebt hat. Der wehmüthige, halb senti-
mentale Zug in diesem malerischen Elend erinnert an
Dickens.

Es ist eine weite Kluft zwischen der niedern Bevöl-
kerung der großen Städte und den Bauern auf dem
flachen Lande. Und es ist ein noch grvßerer Unterschied
in der Auffassnngsweise der einen und der andern Klasse
in der Knnst. Jm deutschen Genre hat sich merkwürdiger-
weise noch etwas von dem Geiste des Schäferspiels erhalten.

Neben der Charakterisirung lokaler Gebräuche, welche ^
in eine oben besprochene Kategorie gehören, sind diese !
Bauernscenen unsre eignen täglichen Erlebnisse haupt-
sächlich in Beziehung auf Wein, Weib, Gesang in einer
uaiveren Form. Jn Frankreich sinden wir diese Auf-
fassung oder vielmehr Verwendung des Landlebens selt-
ner. — Ein Bildchen von F. Delobbe: „Uo ooiu äu
kois" veranschaulicht dieses. Auf einer Rasenbank am
Waldsaume sitzt eine Dorfschöne mit dem Spinnrocken.
Jhr Schatz ist von ungefähr hinzugekommen und hat sich
neben ihr niedergelassen, und sie sagen sich süße Platitü-

den, „äss risns bisn äoux". Die Scene, die eben ge-
spielt wird, ist die von Hebel geschilderte.

„Liebes Liesche,

G'schwind e Küßche,"

„Nä! Wenu's Jemand sehe thät."

„Ach! wie so?

S'isch Niemand do,

Als der Bu', der nix versteht."

Und dem Kuß sah Eener zu
Und das war kei kleener Bu'.

Die bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiete des
Landlebens sind aber aus der Br eton'schen Schule, und
die Breton'sche Auffassung des Landvolkes ist jedenfalls
eine ächt moderns. Sie kennzeichnet sich vollständig durch
einen UmstanL: seine Bauern sprechen nicht, sie sind
abgebildet nicht wie man sie bei einem längeren Aufent-
halte in ihrer Mitte kennen lernen würde, sondern wie
wir sie auf unsern Reisen und Spaziergängen sehen,
ich möchte fast sagen, aus dem Fenster eines Eisenbahn-
Coups's; und so sind sie unzertrennbar verwachsen mit
dem heimathlichen Boden. Es ist die höchste Ausbildung
der Staffage, und die technische Ausführung dieser Bilder
entspricht vollständig diesem ihrem innersten Wesen. Land
und Leute sind Eins und beide sind mit gleicher Liebe
behandelt; weder das Eine noch das Andere ist besonders
accentuirt. Doch die Resnltante des Ganzen ist eine rein
landschaftliche Stimmung.

Auch die Komposition sämmtlicher mir bekannten
Bilder dieses Künstlers ist vollkommen folgerichtig. —
Jch erinnre an die Bilder im Luxembourg, an den durch
das Kornfeld an uns vorüberziehenden Leichenzug und an
die nach Sonnenuntergang vom Felde heimkehrenden
Aehrenleserinnen. Nirgends eine Handlung, die nähere
Prüfung herausfordert, nur das ruhig an uns vorüber-
ziehende Volksleben, täglich wiederkehrend, einförmig und
gesetzmäßig wie der Schlag der Pendeluhr, wehmüthig
stimmend wie das Ranschen des Windes im herbstlichen
Laube. Stimmungslandschaft ist ein sehr beliebter Pleo-
nasmus, hier aber könnte man mit vollem Recht von
einem Stimmungsgenre reden. Die beiden Bilder, die
Breton in diesem Jahre ausgestellt hat, sind neue
Beiträge in demselben Sinne.

Jn dem größeren Bilde: ,Dss lavunäitzrss äs8 eotss äs
la lZrstaAns" sehen wir auf dem Meeresufer eine Gruppe
von Weibern, die in den zwischen den Felsblöcken zurück-
gebliebenen Lachen ihr Linnen waschen; die einen bückeu
stch zum Wasser nieder, die andern sitzen auf den Felsen.
Die Gruppe gipfelt in der aufrecht stehenden Figur einer
Bäuerin, die trotz allem Plebejischen etwas sehr Edles
hat. Sie scheint den Vorbeigehenden aus ihren großen
blanen Augen prüfend anzusehen. Ueber das Ganze ist
ein warmer, einigender Ton ausgegossen. Jm Hinter-
grunde das blaue Meer und die Felsenküste. — Jm zwei-
 
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