Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

DOI Artikel:
Die St. Petersburger akademische Kunstausstellung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0041

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
38

bar werdenden Dorfe mit der friedlichen Kirche die unab-
sehbare schwedische Proviantkolonne sich hinzieht, in welche
der Feind hineingedrungen ist. Rechts bildet ein dichter
Wald den Hintergrund des GemLldes. Das Ganze ist
in eine trefflich durchgeführte träumerische Abendstimmnng
getaucht. Beim zweiten Bilde hat der Künstler in kräf-
tigen, mit feinem koloristischen Gefühle verthcilten Farben
geschwelgt. Der Platz vor dem Nathhause in Riga bildet
den Rahmen der dramatisch armen Handlung: des Hul-
digungseides, den der Rath der Stadt dem Eroberer
leistet. Das Gemälde hat neben dem bedeutenden tech-
nischen Werthe auch ein nicht geringes historisch-genre-
haftes Jnteresse. Während die Ceremonie im Hinter-
grunde vor sich geht, werden uns im Vordergrunde
sprechende Typen sowohl des Krieger- als auch des Bür-
ger- und Bauernstandes aus demBeginne des achtzehnten
Jahrhunderts in lebensvollen und charakteristischen Grup-
pen geboten.

Bontscha-Tomaschewski's „Empsang Ludwig's
XI. in Paris", ein elegant gemaltes Kabinetstück, verräth
einen starken französischen Einfluß.

Der in Jtalien lebendeProfessor Bro nnikow hat, wie
schon früher, so auch in diesem Jahre die Gegenstände zu
mehreren Bildern der antiken Zeit entnommen: „Alcibia-
des und Aspasia vor dem Archon"; „Pythagoräer, die
aufgehende Sonne mit einem Hymnus begrüßend";
„Kaiser Augustus im Spiele mit den Kindern" sind tüch-
tig gezeichnete und flott gemalte Bilder, die aber doch
kein eigentliches Talent zur historischenMalerei verrathen.
Man wird in der Meinung, daß die eigentliche Begabung
Bronnikow's auf einem anderen Gebiete liege, bestärkt
dnrch einen Vergleich der eben genannten Werke mit zwei
modernen Genrebildern desselben Künstlers: „Eine arme
Familie, die vom hartherzigen Hausbesitzer aus ihrer
Wohnung vertrieben wird" und „Der Namenstag".
Trefflich ist es dem Künstler gelungen, dort ein tiefes,Mit-
leid erregendes Elend, hier — die glückliche Feststimmung
eines alten Ehepaares zu schildern.

Ssedow's „Joann der Schreckliche und Maljuta
Skuratow", der rohe Vollstrecker der blutigen Anschläge
des Schrecklichen, ist ein von Kompositionstalent und ko-
loristischer Begabung zeugendes Gemälde. Doch wird
sich der junge Künstler, wie sehr viele seiner russischen
Kollegen, vor all zu grellen Beleuchtungsefsekten hüten
müssen. K. Makowski's „Peter der Große in seiner
Werkstatt" ist ein frisch gemaltes Bild, das aber ebenfalls
an glänzendem Kolorit etwas zu viel des Guten thut.
Eine wohlthuende koloristische Mäßigung neben einem
feinen historischen Sinne, der sich bis in's Detail des
Hausgeräthes hineinverräth,findenwirinV. Bobrow's
„Antonius Stradivarius".

Numerisch weit stärker vertreten als das Geschichts-
bild ist natürlich die nationale Genremalerei, der Liebling

des Publikums wie der Künstler. Hier steht, wie auch
in den letzten Jahren, W. Perow obenan. Eines der
besten Bilder, die er überhaupt gemalt hat, ist sein „Vogel-
fänger". Die im Jahre 1867 in Paris ausgestellten
Bilder des Moskauer Künstlers erfreuten sich einer gün-
stigen Aufnahme Seitens der Kritik. Sein diesjähriges
Hauptwerk übertrisst jene durchaus: es ist hier der vielen
seiner Gemälde eigene schwere gelblicheTon glücklichver-
mieden. Der Vogelfänger, ein alter herrschaftlicher Diener
in fadenscheinigem Rocke, liegt an einem Frühlingstage in
gemächlicher Sountagsstimmung, die Lockpfeife im Munde,
auf der Lauer. Seiu Knabe, eine keineswegs schöne, aber
sympathische Gestalt, hält in kindlicher Spannung den
Käfig zum Fange bereit. Neben der ungemeinen Natur-
treue und Lebhaftigkeit, mit welcher der so einfache Bor-
gang geschildert ist, ist es eine den Beschauer eigenthüm-
lich anheimelnbe Stimmung, was das Bild so anziehend
macht. Der „Wanderer" desselben Künstlers ist eben-
falls eine dem täglicheu Leben mit feiner Beobachtungs-
gabe abgelauschte Gestalt. Die „SchlafendenKinder" sind
naturwahr geschildert; doch leiden sie an jenem bereits
gerügten koloristischeu Maugel.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die noch so junge
russische Genremalerei im Großen und Ganzen bereits
einem extremen Naturalismus verfalleu ist. Doch müßte
man blind sein, wollte man ihr deshalb die große Bedeu-
tung absprechen, die sie für die russische Kunst hat. Man
darf nicht vergessen, daß hier die russische Kunst sich zum
ersten Mal auf eigene Füße gestellt hat, während sie
früher in ausländischen Kunstströmungen schwamm. Daß
für die vielen schlechten Genrebilder, die auch die dies-
jährige Ausstellung gebracht hat, nicht die ganze Richtung
verantwortlich zu machen ist, dafür sprechenGemälde, wie
die eben genannten Perow'schen, die ihre Gegenstände nicht
minder als jene der alltäglichen Wirklichkeit eutnehmen
und trotzdem als gediegene Werke bezeichnet werden müssen.
Es ist vielmehr der Mangel an tüchtiger Ausführung und
einem gediegenen Geschmacke, der sich leider nur zu oft
in der russischen Genremalerei fühlbar macht. Mit der
an sich berechtigten Reaktion gegen die „akademische Kunst"
geht leider, wie uns die Ausstellungen lehren, auch viel-
sach eine Reaktion gegen dasjenige Hand in Hand, worauf
in der St. Petersburger Akademie mit Recht stets ein
großes Gewicht gelegt wurde: eine strenge Schulung irn
Zeichnen. Sehr vielen Genrebilderu sieht man es sofort
an, Laß der Künstler das ganze Gewicht darauf gelegt hat,
seineu Gestalten den der Situation entsprechenden Aus-
druck zu geben: ob diese Gestalten nun den Gesetzen der
Anatomie, ob die Farben den Anforderungen des guten
Geschmackes entsprechen, kümmert ihn wenig.

Nächst Perow's Bildern sind die Genrestücke von
W. Makowski zu nenuen, die sich durch einen frischen
humoristischen Zug auszeichnen. Großen Beifall genießt
 
Annotationen