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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 6.1871

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Die St. Petersburger akademische Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5184#0042

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sein „Empfangzimmer eines Arztes". Die Gestalten der
an Zahnschmerzen leidenden Frau und des Geistlichen,
dem sie ihre Noth klagt, müssen jedem Beschauer, selbst
wenn er der hier vertretenen, derb realistischen Richtung
Feind ist, ein Lächeln abgewinnen. Mit ebenso gesundem
Humor sind „DieHofsänger" mitten in ihrerThätigkeit und
„Die Dorfjugend beim Spiele" geschildert. Ferner ist
der Baron M. P. Klodt ein beliebter Genremaler. Jst
auch scin „Antiquar" in den Farben weniger schwer als
seine früheren Arbeiten, die fast alle an einem schwärz-
lichen Kolorit krankten, so hat er den Fehler doch nicht
ganz überwunden. Auch wirkt das Bild, das uns die
Freude eines Sammlers an seiner neuen Erwerbung in
komischer Weise schildern will, nicht recht lebendig: es ist
wie ein Lustspiel, dem die wahre Komik abgeht. Cha-
rakteristische Gestalten sind seine „Juden"; schade nur
daß sie all zu steif dastehen.

Große Kühnheit und Gewandtheit in der Hand-
habung des Pinsels verrathen Tschistjakow's Typen
aus dem italienischen Volks- und Straßenleben: „Ein
Bettler", „Ein Steinklopfer".

Wie die nationale russische Genremalerei, so ist anch
die nationale russische Landschaft erst ein Kind der neu-
esten Zeit. Aus der alten akademischen russischen Land-
schaft blickte stets ein Joseph Vernet, Claude Lorrain
oder Canaletto hervor. Die moderne realistische Schule
hat das Verdienst, die Seele der russischen Landschaft
entdeckt zu haben: sie hat die Poesie der unabsehbaren
Steppen Südrußlands wie die der träumerischen Tannen-
wälder und der von still dahinfließenden Bächen durch-
zogenen Wiesen der nördlicheren Regionen begriffen.

Zu den besten russischen Landschaftern gehört der
Baron M. K. Klodt. Sein neuestes Gemälde zeigt uns
eine weit in den Hintergrund sich erstreckende, hier und
da von Baumgruppen bestandene Ebene, die von einem
seichten Bache durchrieselt wird. Die Stimmung eines
Sommertages durchdringt die Landschaft. Eine weit zer-
streute Viehherde belebt sie: mit großer Naturwahrheit
sind die im Wasser Kühlung suchenden Kühe gemalt. Sie
sind mehr als Stafsage. Der Künstler bietet uns eine
Verbindung von Landschaft und Thierstück etwa in der
Art eines Potter oder wie sie heute Friedrich Voltz mit
der bekannten Meisterschaft behandelt; nur wiegt bei
Klodt das landschaftliche Element vor. Jn den beiden
von Ammossow aus Moskau eingesandten Bildern ist
der Charakter der russischen Landschaft gut getroffen.
Der talentvolle Dücker, dessen „Landschaft auf Rügen"
(Akad. Ausstellung 18K8 und Münchener internationale
Ausstellung 1869) sich verdientes Lob erworben hat, ist
durch ein im Beleuchtungseffekt ähnliches Stück: „Nach
dem Regen" vertreten. Die tadellose Farbenharmonie
jenes Bildes hat das neue Gemälde freilich nicht erreicht;
doch ist es dem Künstler auch hier wieder gclungen, den

Gegensatz des schweren bleiernen Gewitterhimmels zu
dem kräftig hindurch brechenden Sonnenstrahl mit großer
Wahrheit wiederzugeben. Zweifellos gehört der jnnge
Künstler zu den begabtesten aus der St. Petersburger
Akademie hervorgegangenen Landschaftsmalern. Lago-
rio's „Kaukasns-Landschaft" ist zwar nicht ohne Ver-
dienste, doch leidet sie an der dem Künstler in letzter Zeit
eigenen matten Färbung. Bierstadt (in New-Aork)
hat seine „Ansicht aus dem Felsengebirge" eingesandt:
ein in der That tresfliches Werk, dessen hoher Preis aber
— 30,000 Rubel — trotz der anerkannten Meisterschaft
überrascht hat.

Eine erfreuliche Thatsache ist es, daß mehrere Künst-
lerinnen tüchtige Arbeiten ausgestellt baben: dahin rechne
ich die in Aquarell ausgeführten russischen Scenen —
eine Verbindung von Landschaft und Genre — der
Baronesse Wrangel; die Thierstücke von Elisabeth
Behm (ebenfalls Aquarell), die iu Auffassuug und Zeich-
nung trefflich sind; dem Kolorit der Künstlerin fehlt es
noch an Kraft. Von bedeutendem Talente zeugen die
Porträts (in Kreide) von Olga Kotschetow, einer
früheren Schülerin der hiestgen „Zeichnenschule". Sie
sind mit Energie vorgetragen.

UnterunserenAquarellmalernhaben sichS. Alexan-
drowski durch zwei mit großer Feinheit und Frische
ausgeführte weibliche Porträts und der Professor Pre-
mazzi durch seine mit bewährter Meisterschaft darge-
stellten Jnterieurs hervorgethan. Die russischen Land-
schaften desselben Künstlers ermangeln aber einer wahrcn
Charakteristik. Die Federzeichnungen von I. Schichkin
erfreuen sich mit Recht allgcmeiner Anerkennnng.

Die Programmaufgabe (zur Erlangung der goldenen
Medaille): „Das Vertrauen Alexanders des Großen zu
seinem ArztePhilippus" ist von Herrn Ssemiradski, der
ein großes Oelgemälde geliefert hat, im Ganzen glücklich
gelöst worden. Jn den letzten Jahren hat der junge
Künstler durch sein bedeutendesjKompositionstalent wieder-
holt die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde auf sich gezoge».
Wenn er während seines Aufenthaltes im Auslande, wo-
hin cr nun in Folge der Erwerbung der ersten goldenen
Medaille reist, ebenso tüchtige Fortschritte macht, wie in der
hiesigen Akademie, so lassen sich schöne Leistungen von
ihm erwarten

Jn der Skulptur-Abtheilung thun sich die zahlreichen
Werke des Akademikers Lawerezki sowohl durch ge-
diegene, einen feinenSchönheitssinn bekunvende Komposi-
tion als auch durch virtuose Ausführung hervor. Jn letzte-
rer Hinsicht wird man den Einfluß Jtaliens, wo Lawerezki
mehrere Jahre als Pensionär der Akademie geweilt hat,
gewahr. Seine Marmorwerke: „Die erste Rose"; „Nea-
politanischer Knabe mit einem Affen", „Der Frühling"
sind voll anmuthiger Schönheit; die „in einen Spiegel
schauenden Kinder" (Gyps) voll frischen Lebens; die
 
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