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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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55

Ausstellungen

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»Och orru orru ollalu« in einem irischen Liede Goethes
wirkt ganz seltsam auf unser Ohr, obgleich die Laute an
sich nichts bedeuten, und so könnte man vielleicht ganze
Gedichte zusammenstellen. Aber was wäre das schließlich
weiter als eine Spielerei! Viel höher kann man auch diese
Versuche der Maler nicht einschätzen, es sei denn, daß sie
gleich den arabischen Künstlern, deren seltsame Wand-
dekorationen wir in der Alhambra zu Granada bewundern,
dekorative Zwecke verfolgen und letzten Endes Vorlagen
für Tapeten und Teppiche zu schaffen gedenken.

Es wäre müßig, die beinahe zweitausend in diesem
Salon ausgestellten Kunstwerke der Reihe nach durchzu-
gehen und ihnen eine Zensur anzuhängen, um so müßiger,
als diese Zensuren doch immer nur auf persönlichem Ge-
schmack und Urteil beruhen und somit keinen Anspruch auf
allgemeine Gültigkeit erheben können. Erwähnt sei nur noch
das große Denkmal für den in Genf von Calvin verbrannten
Ketzer Michel Servet. In dem französischen Wien, wo Servet
geboren ist, wird man ihm nun dieses räumlich sehr große
Denkmal aufstellen, dessen Schöpfer Joseph Bernard im
Streben nach Monumentalität wahrhaft Firdusische Helden
schafft; „elefantenleibige" heißen sie bei dem persischen
Dichter, und so sehen sie bei Bernard aus, einerlei ob er
Männer oder Frauen, Erwachsene oder Kinder darstellt.
Er kann von Glück sagen, daß seine Wiege nicht in Deutsch-
land gestanden hat, sonst wäre ihm von der französischen
Kritik der Vorwurf der teutonischen Plumpheit sicherlich
nicht erspart geblieben. Im übrigen muß man sagen, daß
dieses Denkmal sich durch originale Anordnung der Ge-
stalten auszeichnet und auf jeden Fall unendlich interessanter
ist als die landläufige Statuenkunst. Bernard ist jedenfalls
ein eigenartiger Künstler und bemüht sich, aus dem trivi-
alen Geleise der offiziellen Denkmäler herauszukommen.
Für die Leute von Vienne wird das Denkmal freilich nicht
viel besser als ein Bilderrätsel sein.

Als besonderen »Clou« haben die Leiter des Herbst-
salons die nicht sehr bemerkenswerte Idee gehabt, eine
Sammlung von im neunzehnten Jahrhundert gemalten oder
modellierten Bildnissen zu zeigen. Wenn eine Ausstellung
von Bildnissen des neunzehnten Jahrhunderts wie hier
ausschließlich französische Arbeiten bringt, so hätte man
das schon in der Überschrift anzeigen sollen.

Auch die französische Auswahl ist sehr lückenhaft,
und es fehlen beinahe ebensoviele hervorragende franzö-
sische Porträtisten, als vertreten sind. Immerhin hat man
einige sehr interessante Arbeiten zusammengebracht. Dazu
gehört z. B. der ausgezeichnete kleine Berlioz Daumiers,
während man den Lavoignat des nämlichen Künstlers gar
nicht für einen Daumier halten und ihn gar in Verbindung
mit Bonnat bringen möchte, von dem ein in seiner hand-
festen Art wirklich vortreffliches Porträt Renalis vorhanden
ist. Andere bekannte Meister sind ebenfalls mit Arbeiten
vertreten, die man ihnen nur nach langem Zögern zuge-
stehen möchte, obschon sie weiter nichts beweisen, als daß
diese Künstler sich durch die akademischen und offiziellen
Kunstanschauungen durchringen mußten, bis sie ihren
eigenen Weg fanden. Das gilt von dem Selbstbildnis des
Puvis de Chavannes, das gar nicht wie die bekannten spä-
teren Arbeiten dieses Meisters an den Camposanto zu
Pisa, sondern eher an die Hochrenaissance zu Venedig
erinnert; das gilt von den Bildnissen der Damen Long-
champs-Martin und ihrer Tochter Vaudiville, worin man
sicherlich nicht den Bauernmaler Millet erkennt.

Mit Vergnügen sieht man das entzückende kleine
Mädchenbüstchen von Dalou wieder, obschon man es
jeden Tag drüben im Petit Palais sehen könnte, wenn
man die ständigen Sammlungen anders als bei besonderen
Anlässen aufsuchte. Auch die schönen Büsten von Carries

stehen dort, aber es schadet gar nichts, daß man sie trotz-
dem in diese Ausstellung aufgenommen hat, denn wie
gesagt sind die ständigen Bewohner einer Stadt leider
nicht die eifrigsten Besucher der ständigen Museen. Von
Albert Besnard ist das vor dreißig Jahren gemalte, sehr
interessante Gruppenbildnis seiner Familie zu sehen; von
Eugen Carriere die herrliche Madame Gallimard aus seiner
besten farbigen Zeit, sodann Alphonse Daudet, Picquart
und Fontaine mit seiner Tochter; von Corot eine wenig
interessante Algerierin; von Courbet drei Sachen, die alle
drei nicht zu den Hauptwerken dieses Künstlers gehören,
obschon sie ihren Urheber deutlich genug verraten; von
Degas das Bildnis des Kassierers seines Vaters aus seinen
ersten Anfängen; von Delacroix das etwas schwarz gewor-
dene Porträt der Schriftstellerin George Sand; von Falguiere
die Büste Rodins, die vor zwölf oder fünfzehn Jahren im
Salon Aufsehen machte, weil der Bildhauer seinen Kollegen
durchaus rodinesk modelliert hatte, also daß die Arbeit
aussieht, als ob sie nicht von Falguiere, sondern von Rodin
selbst herrühre; von Gauguin das schon ganz nach der Südsee
schmeckende Bildnis seiner merkwürdig jung aussehenden
Mutter; von Gericault das an das Selbstbildnis im Louvre
erinnernde ausgezeichnete Porträt seines Freundes Dela-
croix; von Hermann Paul das Porträt des Malers Cezanne,
das man einigermaßen erstaunt mit dem Porträt des näm-
lichen von Pissarro vergleicht, um die gleiche Person in
den beiden Darstellungen wiederzufinden.

Zunächst um des Gegenstandes, dann aber auch um
der kräftigen Charakterisierung willen interessiert das Bild-
nis der Louise Michel von Louis Tinayre, den man bisher
eigentlich nur als Illustrator und Zeichner kannte und eines
so ausgezeichneten Bildnisses nicht für fähig gehalten hätte.
Zum Beweise, daß es sich nicht nur um einen vereinzelt
geglückten Wurf handelt, hängt in dem nämlichen Saale
noch ein anderes, ebenso tüchtiges weibliches Bildnis von
dem nämlichen Künstler. Beide sind schon vor dreißig
Jahren gemalt, und doch mußte ein so trefflicher Meister
der Ölmalerei in einem gewissen Grade den Rücken kehren,
um als zeichnender Kriegsberichterstatter, Reisender und
Reporter sein Auskommen zu finden. Sonst bringt diese
Ausstellung keine Überraschung, man müßte denn das
sehr gute Bildnis des Italieners Buonarotti, des Genossen
Babeufs und eifrigen Revolutionärs, von dem bisher wenig
bekannten Maler Jeanron als solche bezeichnen.

Um im übrigen den ungefähren Inhalt der Ausstellung
anzugeben, sei noch erwähnt, daß von Manet ein sehr
charakteristisches Bildnis eines jungen Mädchens und das
Porträt der Madame Zola gezeigt werden, von Renoir das
ausgezeichnete Porträt der Frau Charpentier, von John
Sargent, der so ziemlich der einzige hier vertretene Aus-
länder ist, das sehr schöne Geburtstagsbild im Besitze
Besnards; von Fantin-Latour ein männliches und zwei
überaus schöne weibliche Bildnisse; von Toulouse-Lautrec
drei sehr bezeichnende Arbeiten und von Vincent van Gogh
drei seiner bekanntesten männlichen Porträts, das seines
Bruders, des Pere Tanguy und das im Besitze Theodor
Durets befindliche Bildnis. Außer den genannten sind
einige fünfzig oder sechzig weniger bemerkenswerte Künst-
ler des letzten Jahrhunderts und der Gegenwart vertreten,
aber man vermißt viele Namen, die unbedingt hier sein
müßten, und die Ausstellung gibt uns durchaus keinen
Leitfaden für die Entwickelung des Porträts im neun-
zehnten Jahrhundert, ja nicht einmal eine Übersicht über
die französische Bildniskunst der letzten hundert Jahre.
Damit aber soll nicht gesagt sein, daß sie nicht sehr inter-
essant wäre. Ganz im Gegenteil ist sie sicherlich der inter-
essanteste Teil des Herbstsalons, — was allerdings vielleicht

nicht sehr viel sagen will. Karl Eugen Schmidt.
 
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