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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Willrich, Erich: Giovanni Battista Tiepolo in der Stuttgarter Gemäldegalerie
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Verschiedenes / Inserate
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 21. 21. Februar 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

GIOVANNI BATTISTA TIEPOLO
IN DER STUTTGARTER GEMÄLDEGALERIE
Von Dr. Erich Willrich
Giovanni Battista Tiepolo, der große venezianische
Dekorateur, von dessen glänzendem Können in Deutsch-
land vor allem die Fresken des Würzburger Schlosses
zeugen, ist auch in der Stuttgarter Gemäldegalerie mit
einigen Proben seiner Kunst vertreten; und das Stutt-
garter Kupferstichkabinett bewahrt von seiner Hand
über hundert Zeichnungen, eine so stattliche Samm-
lung also, wie sie nur von denen im Museo civico
in Venedig und bei Giuseppe Sartorio in Triest über-
troffen wird. Von den fünf dem G. B. Tiepolo zu-
geschriebenen Bildern der Stuttgarter Galerie (Konrad
Langes Katalog 2. Auflage 1907, Nr. 586—590)
interessieren rein künstlerisch am meisten drei kleine
Farbenskizzen, die des Meisters flotte Handschrift in
voller Frische aufweisen und an Flüssigkeit des Vor-
trages mit seinen lavierten Zeichnungen wetteifern.
Diese drei Bilder sind folgende: vor allem eine
meisterhafte Farbenskizze zu dem Deckenbilde im
Kaisersaale des Würzburger Schlosses »Allegorie der
Vermählung Friedrich Barbarossas mit Beatrix von
Burgund« (Kat. Nr. 587), dann »Neptun entführt die
Theophane« (Kat. Nr. 588) und »Die Kommunion
des heiligen Hieronymus« (Kat. Nr. 590). Der »Joseph
mit dem Kinde« (Kat. Nr. 589) scheint mir für G. B.
Tiepolo zu schwächlich. Das letzte, uns hier am
meisten interessierende der fünf Stuttgarter Bilder nun,
»Die Findung des Moses« (Kat. Nr. 586, Abbildung
daselbst), ist ein eigentümlich widerspruchsvolles Ding.
Die geistvolle Komposition, der Gesamtwurf deutet
zweifellos auf G. B. Tiepolo; die Ausführung jedoch
scheint mir zu trocken und nüchtern, als daß ich sie
dem Meister selber zuschreiben möchte. Auf keinen
Fall aber darf man von einer »Skizze« reden, wie
es Eduard Sack in seinem Werke »Giambattista und
Domenico Tiepolo 1910« tut. Auf unserem Bilde
steht alles in vollkommener Durchführung und Richtig-
keit da, auch ohne alle Spuren des Werdens, der
sogenannten Pentimenti, wie man sie bei Skizzen in
der Regel findet, in deutlicher Weise z. B. auch an
dem hier zuerst genannten Stück. Doch mag es um
die Eigenhändigkeit des Meisters bei diesem Bilde
stehen wie es will; die Komposition, wie gesagt, ist
zweifellos sein Werk. Und so ist das Stuttgarter Bild
für die Kenntnis Tiepolos von großem Werte.

Ich möchte nun die Aufmerksamkeit auf die Be-
ziehungen unseres Bildes zu zwei anderen Werken
Tiepolos lenken. Das eine, auch eine »Findung des
Moses«, jedoch mit lebensgroßen Figuren, befindet
sich im Museum in Edinburg und entspricht, wie die
Abbildung in der »Zeitschrift für bildende Kunst« I

1890 erkennen läßt und unter Bezug auf eine Mit-
leilung Sacks auch in Langes Katalog angegeben ist,
völlig der kleineren Stuttgarter Darstellung; nur daß
dort das rechte Drittel der Stuttgarter Darstellung mit
der wirkungsvollen Randfigur des Hellebardiers fehlt.
Das zweite Werk, zu dem das Stuttgarter Bild Be-
ziehung hat, ist erst jüngst in die Öffentlichkeit ge-
langt, aus schottischem Privatbesitz in die Kunst-
handlung von Charles Brunner in Paris, und von
Hermann Uhde-Bernays im »Cicerone«, Jahrgang V,
Heft 1 beschrieben worden unter dem Titel »Ein
unbekanntes Porträt Tiepolos«. Wie die dort bei-
gegebene Abbildung zeigt, entspricht dies lebensgroße
»Porträt«, was Uhde-Bernays entgangen ist, nun aber
durchaus dem Hellebardier des Stuttgarter Bildes; nur
daß dort die Figuren des Hellebardiers und seines
Hundes im Gegensatze zur Stuttgarter Darstellung
nicht durchschnitten sind. Doch darf, wofür kom-
positioneile Unklarheiten bei der Hundefigur und
auch der Befund des Bildrandes sprechen, eine Be-
schneidung des Stuttgarter Bildes angenommen werden.
Fassen wir, um von Nebenfragen abzusehen, zu-
sammen: Wir haben, in Edinburg und Paris, zwei
Bilder, die jedes für sich kompositioneil wenig be-
friedigen, und wir haben in Stuttgart ein Bild, das
jene beiden Darstellungen in sehr glücklicher Weise
vereint aufweist. So drängt sich denn die Vermutung
auf, daß jene beiden Bilder zusammengehören, ur-
sprünglich eine Einheit gebildet haben. Endgültig
läßt sich die Frage natürlich erst durch eine genaue
Untersuchung der beiden Originale lösen. Alles in
allem jedoch scheint das Stuttgarter Bild berufen zu
sein, eine Brücke zu bilden zur geistigen und viel-
leicht auch wirklichen Wiederherstellung eines Haupt-
werkes Giambattista Tiepolos.

NEKROLOGE

X In Braunlage im Harz, wo er zur Kur weilte, ist am
12. Februar der Berliner Architekt William Müller, nach
schwerem Leiden, erst 41 Jahre alt, gestorben. Einer der
tüchtigsten Schüler Alfred Messels, ein Talent hohen Ranges,
dem noch eine reiche Zukunft beschieden zu sein schien,
ist mit ihm dahingegangen. Müller war keiner von den
Lauten, an denen das moderne Berlin reich ist; sein ganzes
Wesen war vornehme Einfachheit und Zurückhaltung, und
seine Kunst entsprach dieser persönlichen Art vollkommen.
Er wußte, ganz im Sinne Messels, Zeitgefühl und Gegen-
wartsgeschmack mit fein empfundenen Formen der Über-
lieferung zu verbinden. Davon zeugen deutlich seine Ber-
liner Bauten : die Brücke an der alten Jakobstraße, mehrere
Geschäftshäuser, wie das des Verlags Julius Springer in
der Linkstraße, einige der hübschen neuen Zeitungskioske
auf freien Plätzen, die Umbauten des Kammerspielhauses
des deutschen Theaters (aus einem ehemaligen studenti-
schen Tanzlokal!) und des Wohnhauses des Fürsten Hätz-
 
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