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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 39. 11. Juli 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

Die nächste Nummer der Kunstchronik, Nr. 40, erscheint Anfang August

LITERATUR

Walter Cohen, Führer durch das Provinzialmuseum in
Bonn. II. Band: Die mittelalterliche und neuere Abteilung.
Bonn 1913.

Wie die Vorrede dieses trefflichen Büchleins betont,
bestand die Aufgabe des Verfassers darin, in populärer
Form eine Art Anleitung zum Studium und Oenuß der
Bonner Sammlungen zu geben. Es lag im Rahmen dieser
Aufgabe, daß das Lokal-Rheinische in den Vordergrund
gestellt und demgemäß die Kapitel über rheinisches Stein-
zeug und Porzellan, über die rheinische Plastik der roma-
nischen und gotischen sowie der Renaissance-Epoche be-
sonders eingehend behandelt wurden. Als zweckmäßig
vom museumstechnischen Standpunkte aus erweist sich
die Anordnung des Textes, die so getroffen ist, daß die
allgemein gehaltene Einleitung in das Verständnis jeder
Gruppe regelmäßig von einem kurzen Verzeichnis der
wichtigeren Gegenstände ergänzt wird. Dadurch zerfällt
das Ganze sehr glücklich in einen ohne weiteres lesbaren,
sozusagen literarisch gedachten Teil, den der Laie mit
Gewinn lesen wird, und einen direkt vor den Objekten zu
benutzenden knappen Führer, der sich durch die dünnere
Type sofort erkennbar heraushebt. Die Fassung des eigent-
lichen Verzeichnisses verdient ähnlichen Wegweisern durch
Museen als Muster vorgehalten zu werden; ohne trocken
und langweilig zu sein, gibt er das Wissenswerte in kür-
zester, möglichst präziser Form. In den Abteilungen der
altniederländischen und kölnischen Malerei wird auch der
Fachmann manche nützlichen Hinweise finden.

Die wirksamste Anerkennung eines solchen Führers
ist es ohne Zweifel, wenn in dem Leser das Verlangen
geweckt wird, die betreffende Sammlung kennen zu lernen
und an der Hand des Führers zu studieren. Den meisten,
die in dem vorliegenden Verzeichnis blättern, wird es ebenso
gehen wie dem Rezensenten, den die feinsinnigen Analysen
Cohens und die geschickt zusammengestellten 34 Auto-
typien im illustrativen Anhang von der Notwendigkeit über-
zeugt haben, dem Bonner Provinzialmuseum demnächst
einen Besuch abzustatten. Die Fachgenossen an den Museen,
die sich vor eine ähnliche Aufgabe wie Cohen gestellt
finden sollten, seien auf seinen Führer nochmals nachdrück-
lich hingewiesen. Hermann Voss.

Neue Grecoliteratur. Ricardo Jorge, El Oreco. Nova
contribuicäo biogräfica, critica e medica ao estudo do
pintor Domenico Theotocöpuli. Coimbra. Imprensa da
Universidade 1913. (Sonderabdruck aus der Revista da
Universidade de Coimbra I. Nr. 4). — G. Beritens,
Aberraciones del Oreco. Madrid. Libreria de F. Fe.
Zwei Arzte, ein portugiesischer Psychiater und ein
spanischer Augenspezialist, haben in zwei sehr interessanten
Abhandlungen Greco auf Gehirn und Augen hin untersucht
und verschiedene Anormalitäten festgestellt, ohne dabei, was
ausdrücklich bemerkt sei, den Künstler Greco auch nur um
das geringste niedriger einzuschätzen als vorher. Wir müssen
gestehen, daß uns die Diagnose der beiden Ärzte nicht
völlig überzeugt hat. Vor allem ist das ständige ins Feld

führen des Astigmatismus zur Begründung der übermäßigen
Streckung der Grecoschen Gestalten nicht recht angängig
(es ist ja von der Grecoschen Augenkrankheit auch früher
sehr viel geredet und geschrieben worden), schon aus dem
einfachen Grund heraus, weil, wie wir das verschiedentlich
zu beweisen gesucht haben, die Grecosche Proportionierung
ganz dem Ideal seiner Zeit entsprach, von Greco nur noch
stärker betont und durchgeführt wurde als von Parmeggia-
nino, Tintoretto, Palma Giovane und anderen. Nehmen wir
aber selbst an, Greco hätte diesen Sehfehler besessen, und
wie die Ärzte meinen, diese langgestreckten Gestalten auf
die Leinwand hingezeichnet, so müßten doch diese gemalten
Menschen ihm wiederum noch länger, noch verzerrter er-
schienen sein, und Greco hätte bei bindfadendünnen Er-
scheinungen enden müssen. Schon diese Überlegung zeigt
das Absurde der ärztlichen Theorie. Aber abgesehen davon
muß man sich doch sagen, daß, wenn Greco die Menschen
so langgestreckt sah, er sie doch in natürlicher Länge auf
die Leinwand bringen mußte, denn wenn man, um einen
Vergleich zu brauchen, einen kleinen Gegenstand unter der
Lupe ansieht und ihn mit den Fingern dort abmißt, so
wird man doch keine Riesenlänge abpassen, sondern eben
die natürliche Länge des Gegenstandes.

Ganz anders steht es mit der Tatsache, daß ungefähr
seit 1600 die Köpfe bei Greco immer verzerrter wirken,
oft so, als ob das Modell einen Schlaganfall erlitten hätte.
Die Augen und Ohren sitzen in starker Verschiebung,
die eine Wange ist meist viel dicker als die andere. Hier
scheint Greco bewußt oder unbewußt aus einem Sehfehler
(einer Verzerrung des Gesichtsbildes, je nachdem, ob der
Kopf nach links oder rechts geneigt ist), wenn man so
sagen darf, Kapital geschlagen zu haben. Die photogra-
phischen Reproduktionen bei Beritens nach S. 50 vor allem
wirken in der Tat verblüffend. Die Akten über diesen Fall
sind jedenfalls noch nicht geschlossen.

Bei der Arbeit R. Jorges interessiert uns das Medi-
zinische weniger als das, was der ausgezeichnet in der
älteren wie neueren kunstgeschichtlichen Literatur bewan-
derte Gelehrte, der anscheinend auch über ein nicht ge-
wöhnliches künstlerisches Empfinden verfügt, uns in kunst-
historischer und kritischer Weise Neues zu sagen weiß.
Vor allem hat Jorge eine sehr wichtige literarische Notiz
überGreco wieder aufgedeckt,diebisherallen entgangen war:

In dem 1657 vollendeten, jedoch erstposthum veröffent-
lichten Werk des Portugiesen Francisco Manuel de Melo
(1611—1667) »Hospital das letras, — Apologo dialogal
quarto« (neue Ausgabe in der Biblioteca de clässicos puiiu
gueses apölogos dialogais 1900. III. p. 86). Melo vergleicht
hier den portugiesischen Maler Luis de Benavente zunächst
mit Hieronymus Bosch und dann mit dem »Grego pintor
famoso«, den, wie er übertreibend sagt, »alle Poeten dieses
Jahrhunderts feiern«. Dann fährt er fort: Seine Art zu
malen war so streng und so dunkel, daß sie den meisten
mißfiel. Niemals verschwendete er seine Malerei, seine
Kunst an eine gewöhnliche Person. Darum lebte er in
großer Armut und in stolzer Einbildung auf die Größe
seines Geistes. Endlich vom Hunger bezwungen und von
 
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