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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Bayersdorfer, W.: Der zukünftige Leiter der bayrischen Galerien?
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/IQ 13 Nr. 11. 13. Dezember 1912

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die un verlan gt -eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Qewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DER ZUKÜNFTIGE LEITER
DER BAYRISCHEN GALERIEN?
Der bekannte Münchener Landschaftsmaler Professor
Toni Stadler ist, nachdem die Unterhandlungen mit
Direktor Dörnhöffer in Wien zu keinem positiven
Ergebnis geführt haben, als Nachfolger Hugo von
Tschudis zum Leiter der staatlichen Galerien des
Landes ausersehen. Die bayrischen Ministerien sind
offenbar bestrebt, die Aufmerksamkeit der Welt auf
sich zu lenken. Einer Blamage auf politischem Gebiet
bemüht man sich sofort eine zweite auf dem Gebiet
der Kunst folgen zu lassen. Was die junge Kunst-
wissenschaft in jahrzehntelangem Ringen endlich er-
reicht zu haben glaubte, was jedem Einsichtigen als
ungeschriebenes Gesetz gilt: daß die Leitung der
Museen, vor allem aber der großen und bedeutenden,
dem Kunsthistoriker und nicht dem ausübenden
Künstler gebührt, will unser Kultusministerium mit
einem Schlag über den Haufen werfen. Und hierin
wird es merkwürdigerweise von der führenden Mün-
chener Presse unterstützt. So scheuen sich die Mün-
chener Neuesten Nachrichten, die früher energisch
dafür eingetreten waren, daß nur ein Kunstgelehrter
für die Stelle in Betracht kommen könne, heute nicht,
wortwörtlich zu schreiben: »Es liegt auf der Hand,
daß ein Künstler, der solche Eigenschaften1) in sich
vereinigt, in einer so schwierigen und verantwort-
lichen Stellung auch vor dem tüchtigsten und kennt-
nisreichsten Museumstechniker und Kunsthistoriker ein
Etwas voraus hat, das nicht hoch genug einzuschätzen
ist: seine persönlichen Beziehung zum künstlerischen
Schaffen. In der Erkenntnis, im Abschätzen von
Werken gibt es ja immer ein Letztes, das durch Stu-
dium und Praxis nicht erlernbar ist, das aber dem
wahren Künstler von Natur aus gegeben sein muß.«
Sie geben zwar in einer einige Tage später erschie-
nenen Notiz (Nr. 621) zu, daß »die Vorstände der
übrigen staatlichen Kunstsammlungen sich einstimmig
aus prinzipiellen und sachlichen Gründen« gegen die
Kandidatur eines Malers erklärt haben, sie glauben
ihre Befürwortung aber damit rechtfertigen zu können,
daß derselbe »die Qualitäten eines hervorragenden
Fachmannes mit denen eines Künstlers verbinde«.
Diese offenkundige Unwahrheit wird wohl niemandem
unangenehmer sein wie dem, dem sie eigentlich
nützen sollte, Professor Toni Stadler selbst. Wer heute
einer Galerie vom Rang der alten Pinakothek, der
außerdem noch eine moderne Galerie und nahezu
ein Dutzend Filialgalerien beigeordnet sind, vorstehen

1) Nämlich kunsthistorisches Fachwissen, Kenntnis des
Marktes, Unabhängigkeit, Liebenswürdigkeit und Konzilianz
des persönlichen Wesens. Siehe Nr. 616.

will, muß notwendig eine jahrelange rein kunsthisto-
rische Schule hinter sich, muß sich überhaupt auf
das intensivste mit der gesamten Geschichte der Malerei
beschäftigt und den Museumsdienst praktisch kennen
gelernt haben. Die Erfahrung eines noch so fein-
sinnigen Sammlers und in maltechnischen Dingen be-
wanderten Künstlers genügt nicht, wenn es sich um die
Verwaltung, Beurteilung und den Ankauf von Werken der
Malerei der Kulturländer Europas aus einem Zeitraum von
über sechs Jahrhunderten handelt. Prof. Stadler selbst
würde es wohl nie einfallen, von sich zu behaupten,
wie es ihm die Münchener Neuesten Nachrichten zu-
schreiben, daß er »ein gründliches kunsthistorisches
Fachwissen« besitze. Trotz alledem würden die
bayerischen Staatssammlungen unter seinem Regiment
voraussichtlich nicht schlecht fahren, wie sich diese
Zeilen überhaupt nicht gegen die Person des Künst-
lers, den der Schreiber selbst hoch verehrt, sondern
gegen den unglaublichen Affront richten, den das
bayerische Kultusministerium der gesamten Kunst-
wissenschaft mit der Wahl eines Nichtkunsthistorikers,
gleichviel wie sein Name, anzutun im Begriff steht.
Momentan würde die Ernennung Toni Stadlers zum
Direktor unserer Sammlungen keinen Schaden be-
deuten. Da er über eine Bildung verfügt, wie man
sie in Künstlerkreisen höchst selten findet, da bei ihm
Geschmack, große Vielseitigkeit in künstlerischen
Dingen und sehr sympathische menschliche Eigen-
schaften in seltener Weise vereinigt sind, da er ferner
einen tüchtigen Stab von Beamten zur Seite hätte und
in Zweifelsfällen sicher nicht eigenmächtig handeln,
sondern auf seine kunsthistorisch ausgebildeten Hilfs-
kräfte hören würde, so läßt sich schon denken, daß
die Entwicklung der Pinakotheken weder zurück-
gehen noch stillstehen, sondern auch weiterhin fort-
schreiten würde. Die Gefahr liegt vielmehr in dem
Präzedenzfall, den das Ministerium mit seiner Er-
nennung schaffen würde, und sie wäre, so paradox
es klingen mag, um so größer, je besser sich Stadler
als Galeriedirektor bewährte. Die Münchener Künstler-
schaft, die in Museumsangelegenheiten, wie sich schon
im vorliegenden zeigt, an und für sich einen viel zu
weitgehenden Einfluß hat, würde sich darauf stützen,
daß unter dem Regiment des Malers Stadler alles
ebenso gut, ja vielleicht glatter wie unter dem nicht
immer ganz diplomatisch verfahrenen Tschudi seinen
Fortgang genommen habe, sie würde den vorliegen-
den, lediglich durch Zusammentreffen verschiedenster
Faktoren, die menschlichem Ermessen nach sich aber
nie wieder so vereinigen werden, ermöglichten Aus-
nahmsfall verkennen, ihn für typisch nehmen, also
auch für alle Zukunft einen Künstler als Leiter unserer
Galerien fordern und der Ernennung eines Kunst-
 
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