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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Carl Justi (geb. am 2. Auust 1832, gest. am 9. Dezember 1912)
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 12. 20. Dezember 1912

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
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CARL JUST1

geb. am 2. August 1832, gest. am 9. Dezember 1912.

Während die Bonner Altertumsfreunde ihr alljähr-
liches Winckelmannsfest am Geburtstage des Begründers
der klassischen Altertumskunde begingen, verschied in
seinem Gelehrtenheim der große Biograph dieses
Großen: Carl Justi. Eine Erkältung hat den bis in
die letzte Zeit unermüdlich Arbeitsamen in wenigen
Tagen dahingerafft. Als am anderen Morgen auf dem
Dache des alten kurfürstlichen Residenzschlosses, der
jetzigen Universität, die Flagge auf Halbmast gehißt
wurde, durchzuckte es die Stadt, deren Ehrenbürger
Justi gewesen ist, wie ein Gefühl allgemeiner Trauer.
Hatten auch nur wenige das Glück, ihm persönlich
näherzutreten, so war doch seine ganze Erscheinung
und die Art seines Auftretens dazu angetan, mit Ehr-
furcht zu erfüllen. Unbewußt feierte auch der ein-
fache Bürger in ihm die siegreiche Kraft des Geistes.
Noch im Tode schien sein friedlich verklärtes Haupt
wie von innen heraus erleuchtet von der Majestät
weit- und körperüberwindender Geistigkeit. Einen
Piaton mit den Zügen Carl Justis sich vorzustellen,
wäre keine Blasphemie.

Obschon das Alter ihm die früher so rege Reise-
lust raubte, nahm er an allen Vorgängen des Tages,
insbesondere des Kunstlebens, den denkbar wärmsten
Anteil. Aktives Eingreifen hätte nicht seiner Natur
entsprochen. Ein stiller Beobachter, glossierte er das
Auf und Ab von Dingen und Meinungen in seiner
kritisch abwägenden, von Sarkasmus nicht freien Art.
Ihn plaudern zu hören, war ein seltener Genuß. Wie
Jakob Burckhardt, der ihm in vielen Zügen Wesens-
verwandte, hatte er sich bis in die letzten Tage die
größte Lebhaftigkeit des Geistes bewahrt. Mit wahrem
Feuer, mit kaum verhaltener Leidenschaftlichkeit wußte
der Greis zu sprechen, wenn er auf schädliche Tages-
moden in der Kunst zu reden kam; seine Stimme
gewann in solchen Fällen einen Beiklang von Über-
zeugtheit, der unvergeßlich ist. In dieser Unberührt-
heit von allem Tageslärm war der in klassischer
Tradition Aufgewachsene unser aller Gewissen. Und
nicht zum mindesten darum ist dieser Verlust ein so
bitterer. Bitter auch deswegen, weil Justi noch nicht
sein Letztes — so paradox es klingen mag •— ge-
geben hatte.

Die Daten seines Lebens können in Kürze zu-
sammengefaßt werden. Aus einem hessischen Pfarr-
hause hervorgegangen, hat Justi als Theolog begonnen.
Nachdem er die theologische Prüfung bestanden und
bereits als Prediger tätig gewesen war, entschloß er
sich, nach schweren inneren Kämpfen, sich der philo-
sophisch-historischen Disziplin zuzuwenden. Seine

erste Schrift führt diesen Trtel: »Die ästhetischen Ele-
mente in der platonischen Philosophie. Inaugural-
Dissertation, welche mit Genehmigung der hochlöb-
lichen philosophischen Fakultät zu Marburg zur Er-
langung der philosophischen Doktorwürde und der
Erlaubnis Vorlesungen zu halten samt den angehängten
Thesen am 22. Dezember 1859 öffentlich verteidigen
wird Karl Nicolaus Heinrich Justi, Candidat der Theo-
logie.« Die weiteren Etappen dieses Gelehrtenlebens
sind bekannt: von 1866—1872 erschienen die drei
Bände des »Winckelmann«, wie er selbst schrieb, ver-
faßt »in zerrissenen und aufgeregten Zeitabschnitten«.
Er wurde dann Professor in Kiel und am 22. März
1872 erfolgte seine Ernennung zum Professor der
neueren Kunstgeschichte in Bonn. Justi hat nicht zu
denen gehört, die in der Kathederwirksamkeit aufgingen
und darum ist auch der Kreis eigentlicher Schüler
ein enger. Doch hat er dem kunsthistorischen Apparat
der Universität besondere Aufmerksamkeit zugewandt,
dank dem Entgegenkommen der Kgl. Museen eine
kleine Gemäldegalerie zusammengebracht und die
Sammlung von Stichen und Photographien syste-
matisch ausgebaut. Sicherlich war er der Ersten einer
auf deutschen Universitäten, der den Wert ehrlicher
Kennerschaft zu würdigen wußte und es ist kein
Zufall, daß Männer wie Ludwig Scheibler und Gustav
Glück zu seinen Füßen gesessen haben. Schon 1867,
vor dem Papstbilde der Galeria Doria in Rom, war
in ihm der Gedanke gereift, dem spanischen Haupt-
meister eine Biographie zu widmen, Nachdem er
auf mühseligen Reisen den Stoff gesammelt, erschienen
im Jahre 1888 die beiden Bände des »Velazquez«,
nach Form und Inhalt wohl sein vollendetstes Werk.
Vier Jahre später folgte der »Murillo«. Zahlreiche
kleinere Aufsätze, viele in der »Zeitschrift für bildende
Kunst«, die auch den letzten im Druck erschienenen
brachte, gingen nebenher. Das Jahr 1900 ist durch
den ersten der Michelangelo-Bände gekennzeichnet.
Die »Miscellaneen aus drei Jahrhunderten spanischen
Kunstlebens«, eine Zusammenfassung seiner in ver-
schiedenen Publikationen verstreuten Arbeiten zur
spanischen Kunstgeschichte, erschienen 1908. Und
das Jahr 1909 brachte dann den gewaltigen, beim
Erscheinen nicht sogleich verstandenen Epilog:
»Michelangelo. Neue Beiträge zur Erklärung seiner
Werke*.

Die Bücher wie auch die besten der kleineren
Schriften gehören nicht allein der Kunstgeschichte
an. Die kristrallklare und im edelsten Sinne geist-
reiche Sprache, in der sie geschrieben sind, hebt sie
wie Inseln aus dem uferlosen Meere der kunst-
historischen Literatur hervor. Wie Hettner und Haym
hat Justi an die Stelle des »Gelehrtendeutsch« ein
 
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