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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Der X. internationale kunstgeschichtliche Kongress in Rom
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Der X. Internationale kunstgeschichtliche Kongreß in Rom

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gar keinen Einfluß gehabt habe. Nur ein einziger
Seicentist habe sich an ihm begeistert, Peter Paul
Rubens. — Dann ergriff Henry Thode das Wort zu
ejner geradezu glänzenden, durch ihre Rhetorik und
ihr Pathos hinreißenden Rede über die Gegensätze
der Kunst des Nordens und des Südens; seine kühnen
Vergleiche, die blendenden Antithesen, wie er den
Garten der Villa Borghese mit Renaissancegestalten
bevölkerte und dann »Hamlets bleichen Blick« auf der
Terrasse von Helsingör vor uns auftauchen ließ,
wirkten faszinierend.

Auf Thode folgte der kluge sachliche Holländer
Jan Veth, der zu dem Kapitel der Entlehnungen
Rembrandts aus italienischen Meisterwerken, die da-
mals in Holland beheimatet waren, frappante neue
Belege brachte. So bewies er uns, daß die Figur
eines sitzenden Mannes auf der »Petite Tombe« ge-
nannten Radierung vollständig identisch ist mit dem
von seinem Buche aufblickenden Apostel in Raffaels
Transfiguration; ebenso erstaunlich wirkte die Neben-
einanderstellung von Tizians Noli me tangere mit
dem Bilde Rembrandts; und für die Judenbraut
findet sich das Vorbild mit derselben seltsamen
Handbewegung auf einem oberitalienischen Gemälde,
das in mehreren Repliken vorkommt. So zeigte
Veth etwa ein Dutzend Beispiele dieser künstleri-
schen Formenwanderung, bei der jedesmal — und
das war eben das Eindrucksvolle an der ganzen
Sache — eine neue, ganz andere Seele in der un-
verändert entlehnten alten Form zum Leben erweckt
worden ist.

Adolfo Venturi behandelte die Bedingungen der
Architektur in Europa vom Einbrechen der Longo-
barden in Italien aus bis zum Ausgang des 11. Jahr-
hunderts, besonderen Wert auf die Frage des Materials
legend, wobei er die Ansicht vertrat, daß die größte
Schwierigkeit für die Erneuerung der Architektur von
dem Mangel an Eisen und daher der Unmöglichkeit,
die Steinbrüche richtig auszubeuten, herrührte. —
Rudolf Kautzsch findet Beziehungen zwischen der
romanischen Kunst des Mittelrheinlandes und der des
nördlichen Italiens, wobei er sich in besonderer Weise
mit dem Dom von Mainz und der Kirche San Giulio
zu Orta (Lago d'Orta) beschäftigte und zeigte, wie
die rheinische romanische Kunst einen ganz indivi-
duellen und unabhängigen Charakter hatte. — Montelius
ging in seinem Vortrag auf die Zeit des 5. bis 8. Jahr-
hunderts zurück und findet auch da Beziehungen
zwischen Schweden und der Mittelmeerkunst, die ihren
Einfluß nach dem Norden hin ausübte. — Große
Beachtung und für viele Neues bringend, war die von
Dr. Pijoan vorgelesene Abhandlung des Spaniers Elias
Tormo y Monzd, des Lehrers für Kunstgeschichte an
der Universität von Madrid, über den Einfluß der
flämischen Kunst auf die spanischen Maler des Quattro-
cento. — Thomas Ashby, der Direktor der englischen
Schule in Rom, legte Werke des großen englischen
Malers Turner vor, um den Einfluß nachzuweisen,
den Italien auf diesen hochgeschätzten modernen
Meister ausübte. — Ein Ereignis wegen der großen
Gelehrsamkeit, der vollendeten Form des temperament-

vollen Vortrages und wegen der neuen Wege, die
seine Studien enthüllten, war die Rede von Professor
A. Warburg über italienische Kunst und internationale
Astrologie im Palazzo Schiffanoja zu Ferrara. Von dem
glänzenden Buch »Sphaera« des deutschen Gelehrten
Franz Boll in Heidelberg ausgehend, zeigte Warburg,
welches die bis jetzt nicht erkannten Quellen der
mythologischen Zonen dieses Palastes sind und wies
durch diesen Vortrag auf ganz neue Bahnen hin, die
das kunsthistorische Studium im Rahmen der historisch-
philologischen Wissenschaften für die Zukunft ein-
schlagen muß. Hier bei Warburg sahen wir, wie das
Kleine und Kleinste dem Forschergeist sich zum
Ganzen ordnet und wie aus einzelnen Bausteinen sich
weite feste Brücken spannen. — Adolph Goldschmidt
sprach von dem italienischen Einfluß auf die hollän-
dische Malerei des 17. Jahrhunderts, namentlich des
Caravaggio. Er zeigte an mehrfachen Beispielen, daß
die großen Lichtwirkungen, welche Thode in seinem
oben genannten Vortrage als ein Charakteristikum der
nördlichen Kunst bezeichnet hatte, aus Italien nach
den Niederlanden gelangt sind, wie sie natürlich ganz
selbständig sich weiter und zur allerhöchsten Höhe
bei Rembrandt entwickelt haben. »Der Höhepunkt
der niederländischen Kunst im 17. Jahrhundert ist
ohne den Einfluß Italiens undenkbar«: das mag wohl
die Quintessenz der meisterhaften, ganz frei vor-
getragenen Rede Goldschmidts gewesen sein.

Nun noch einiges aus den Sektionen. In der I.,
der christlichen und mittelalterlichen Sektion, begann
Joseph Wilpert sich für Rom gegen den Orient zu
entscheiden, als er Rom als die Gründerin der alt-
christlichen und mittelalterlichen Mouumentalkunst
bezeichnete. — Auch der Venturi-Schüler Giuseppe
Galassi beschäftigte sich mit der Frage »Orient oder
Rom«, da es ihm gelungen war, in San Vitale in
Ravenna in der Mosaikdekoration einen byzantinischen
und einen römischen Stil zu unterscheiden, die er
genau voneinander trennen zu können glaubt. In
Rom hat die byzantinische Kunst nur eine einzige
Erscheinung aufzuweisen in der Zeit des griechischen
Papstes Johann VII. In Ravenna nur unter Justinian.
Im übrigen behalten die beiden Zentren die römische
Tradition ununterbrochen bei. — In geistvoller Weise
behandelte der amerikanische Archäologe A.L.Frothing-
ham eine neue Methode, um byzantinische Werke und
die italisch-byzantinischen zu unterscheiden, indem er
auf die Orientierungsdifferenz hinwies, infolge deren
Vertauschungen von rechts und links vorkommen
können. Die byzantinische Kunst stellt rechts, die
griechische links. Diese Beobachtung ist für die
Darstellungen auf christlichen Sarkophagen von größerer
Wichtigkeit, in denen Christus dem Petrus das Gesetz
übergibt. — Adolfo Venturi sprach in dieser Sektion
von einer Strömung französischer Kunst in Umbrien
und den angrenzenden Regionen. — Der Schwede
E. Wrangel findet in der Kathedrale von Lund in
Schweden italienische Einflüsse im 12. Jahrhundert. —
Carotti zeigt gleichzeitig mit vlämischem Einfluß die
Fortdauer der sienesischen Kunsteinwirkung in der
savoyardischen Kunst. — Frau Bertini-Calasso ent-
 
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