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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Bayersdorfer, W.: Karl Haider
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0052

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Karl Haider f

84

einer kinderreichen Witwe eingegangen war. In diesen
schweren Zeiten (seit 1877) und bis zu seinem Tod
hat dem Künstler in aufopferndster und selbstlosester
Weise ein Mann zur Seite gestanden, dessen Name
für immer mit dem seinen verknüpft sein wird und
in dem er nicht nur seinen treuesten und besten
Freund, sondern auch den tiefgründigsten Kenner und
Verehrer seiner Kunst gefunden hatte, der allein ihr
Wesen und ihre Größe in Worte zu fassen vermochte,1)
der kunstsinnige Münchener Zoologe und Verfasser
geistvoller Aphorismen, August Pauly. Noch eines
anderen Mannes muß an dieser Stelle gedacht werden,
des Schwagers des Verstorbenen, Josef Greinwald,
der ihm gleichfalls in seinen schweren Zeiten in un-
eigennützigster Weise geholfen hatte. 1893 über-
siedelte Haider für immer nach Schliersee und hier
in der Abgeschiedenheit des oberbayrischen Gebirgs-
dorfes, im steten Verkehr mit einer ihn aufs tiefste
ergreifenden Natur entstanden die großen Werke seiner
zweiten Periode, hier findet ihn endlich auch die
Welt, kauft seine Bilder, veranstaltet Ausstellungen und
reicht ihm späte Ehren, von welchen ihn der von
der Universität Breslau ig 11 verliehene Ehrendoktor
wohl am aufrichtigsten erfreut hat.

Haider war eine höchst merkwürdige Erscheinung
im Kunstleben unserer Zeit. Gleich Böcklin und
Thoma gehört er zu den Dichtern unter den Malern
und so stand ihm schon ein großer Teil des in
seinem Geschmack zum Impressionismus neigenden
Publikums von vornherein fremd gegenüber. Aber
auch von jenen Kunstfreunden, die sich an den Werken
der beiden oben genannten Meister erfeuten, ver-
standen ihn lange Zeit nur wenige, da in seinen
Bildern nichts von den phantastischen und die Phan-
tasie zur Weiterarbeit anregenden Begebenheiten wie
bei dem großen Basler zu spüren war, da er sich
ferner einer Technik bediente, die allem Brauch und
Herkommen zuwiderlief. Haider, dem man einen
ganz eigenen Platz einräumen muß, war kein Fabu-
lierer und Märchenerzähler, sondern ein Lyriker und
zwar ein Lyriker von ganz einzig dastehender Kraft
und Tiefe des Gefühls. Das Stück Landschaft, das
er auf die Leinwand setzte, war nie die leere Kopie
irgend eines bestimmten Naturausschnittes, sondern
der Ausdruck einer mächtig ihn bewegenden Emp-
findung, eines seelischen Erlebnisses, mag dieses nun
durch den Anblick einer schönen Gegend, durch
ernste Musik oder durch Lektüre einer bedeutenden
Dichtung wachgerufen worden sein. So sehr seine
Landschaften, die häufig frei aus dem Kopf entworfen
waren, das typische der bayrischen Voralpen geben,
so wäre es doch unrichtig, wollte man hierin ihre
Bedeutung und ihren ganzen Wert sehen, der viel-
mehr in dem Gefühlsgehalt zu suchen ist, in der
feierlichen und abgeklärten Stimmung, die etwas ähn-
lich Beseligendes hat, wie die Musik der großen
Meister von Bach bis Beethoven, die in der Dicht-
kunst ein Analogon in den wenigzeiligen Stimmungs-
bildern eines Goethe oder Martin Greif findet. »Seine

1) August Pauly: Zu Karl Haiders 60. Geburtstag.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jahrgang 1906, Nr. 29.

figürlichen Bilder«, sagt August Pauly,1) »sind immer
Dichtungen, poetische Darlegungen ihm harmonischer
Wesen, deren geistiger Kern sich in wenigen be-
deutungsvollen Eigenschaften ausspricht: Unschuld
und Liebreiz der kindlichen Seele, Würde und Vor-
nehmheit eines gereiften edlen Wesens, verklärte Re-
signation eines enttäuschten Lebens, Ernst und Tiefe
des Forschenden oder, in der Beziehung göttlicher
Personen aufeinander, die Hoheit des Göttlichen.«
Haiders künstlerische Mittel mußten nach den Vor-
aussetzungen, von denen er ausging, selbstverständlich
anderer Art sein, als sie heute bei der Mehrzahl
seiner Kollegen gebräuchlich. War er in seinen
Jugendjahren der Natur mit der größten Be-
scheidenheit, mit einer heiligen Ehrfurcht, die
Allem und Jedem Beachtung schenkte, gegenüber-
gestanden, so trat mit dem immer stärker werdenden
Zug zum Großen, Monumentalen eine Vereinfachung
und Beschränkung auf das Typische der Naturerschei-
nung ein, die er nur merkwürdigerweise nicht gleich-
zeitig mit einer vereinfachten, sondern vielmehr sehr
kompliziert und mühsam anmutenden Technik zum
Ausdruck brachte. Schlechte Beobachter behaupten,
er hätte jedes Blatt und jeden Grashalm einzeln ge-
malt, und erkennen nicht, daß er in seinem späten
Stil das Detail viel weniger wahrnimmt wie je zuvor
und immer nur auf den Gesamteindruck hinarbeitet,
wie auch Form und Farbe bei ihm nie um ihrer
selbst willen auftreten, sondern immer dem Seelischen,
das sich im Ganzen ausspricht, untergeordnet werden.
Die großen Wiesenflächen, die er, durchzogen von
einem einsamen Fußweg oder einem klaren Bächlein,
mit Vorliebe in den Vordergrund seiner meist sehr
streng komponierten Bilder legte, sind ein ebenso
einfaches Mittel, den Beschauer zu sammeln und Ruhe
über ihn auszugießen, wie er durch die zeitweilige
Fortlassung der Schlagschatten als einer vorüber-
gehenden und wechselnden Erscheinung den Eindruck
des Ewigen, Abgeklärten bedeutend erhöhte. Haiders
Gebiet war beschränkt, beschränkter als das irgend
eines anderen hervorragenden Künstlers; in ihm aber
war er von einer unerreichten Größe, und wer jemals
die unendliche Stille und Ruhe, das Beseligende
seiner Werke empfunden hat, wird leicht über die
Verzeichnungen, Unbehilflichkeiten und andere neben-
sächliche Mängel hinwegsehen können. Die allmäh-
liche Entwicklung des Künstlers, in dessen Schaffen
zwei Hauptperioden mit einem Wendepunkt gegen
Ende der achtziger Jahre zu unterscheiden sind,
wurde uns vor zwei Jahren in einer umfangreichen
Ausstellung der Sezession eingehend vor Augen ge-
führt.2) Die ältesten, mir bekannten Bilder tragen
die Jahreszahl 1866, die älteste Landschaft, heute von
den Söhnen des Künstlers aus dem Kunsthandel
zurückgekauft, die Jahreszahl 1868. Als Hauptwerke
seiner ersten Periode, die von Anfang an den Lyriker
erkennen läßt, sich aber im Aufbau der Bilder und

1) A. a. O.

2) Vergl. den Bericht über die Ausstellung in dem
»Münchner Briefe in Nr. 30 der Kunstchronik, Jahrg. 1910/11,
S. 65 u. f.
 
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