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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Dresdner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0072

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Dresdner Brief

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an den geteilten Querwänden jedes für sich auf-
gehängt sind und dadurch trefflich zur Geltung kommen.
An der einen Längswand sind dann Niccolo Abatis
Martyrium der Apostel Petrus und Paulus und Dosso
Dossis Vier Kirchenväter wirksam als Mittelpunkte auf-
gehängt, um die sich die kleineren Bilder von Dosso
Dossi, Girolamo da Carpi, Parmeggianino (Madonna
mit der Rose), Giulio Romano (Madonna mit dem
Waschbecken) und Varotari (Judith) harmonisch grup-
pieren. Die andere Längswand beherrschen wirksam
die vier großen Gemälde von Parmeggianino (Maria
in Wolken), Andrea del Sarto (Opfer Abrahams),
Bagnacavallo (Maria in Wolken mit vier Heiligen) und
Garofalo (Maria in Wolken).

Ganz besonders schön ist dann wieder der Saal
der Venezianer mit Wandverkleidung in stumpfem
Grün. Wundervoll wirken hier die vier großen Breit-
bilder des Paolo Veronese, die er einst für die Familie
Cuccina malte: je zwei hängen an den Längswänden,
hier wie dort getrennt durch je drei Bildnisse. Die
oberen Wandflächen nehmen in harmonischer Grup-
pierung kleinere Bilder von Veronese, Tintoretto,
Bassano und Tizian ein. Die Querwände beherrschen
wirksam: Veroneses barmherziger Samariter, Tintorettos
Rettung und Paolo Farinatis Darstellung im Tempel.

Der nun folgende Durchgangsraum, der nach dem
Saal der Sixtinischen Madonna führt, ist weniger be-
langreich: es sind hier größere Gemälde von Palma
Vecchio (Jakob und Rahel), Lorenzo di Credi, Piero
di Cosimo, Cosimo Tura, Dosso Dossi und Andrea
del Sarto untergebracht. Der erste Saal im west-
lichen Querflügel ist zurzeit den Spaniern überlassen,
die allerdings erst zur vollen Geltung kommen werden,
wenn man ihnen in der jetzigen modernen Abteilung
den projektierten, ihrer würdigen Raum wird frei
machen können.

Posses Arbeit, die in so glücklicher Weise Wör-
manns Werk ergänzt, hat das Äußere der Dresdener
Galerie wenigstens in ihren Hauptsälen stark zu ihrem
Vorteil verändert. Die reiche Stiftung eines Dresdener
Kunstfreundes ist ihm dabei wirksam zu Hilfe ge-
kommen. Hoffentlich fließen solche Quellen auch in
Zukunft weiter. Noch sei bemerkt, daß bei der Neu-
ordnung der Galerie eine beträchtliche Anzahl Gemälde
aus dem Semperschen Museum in das alte Landtags-
gebäude gebracht worden sind und dort die Räume
des zweiten Obergeschosses füllen. Da es sich hierbei
um weniger wichtige Werke handelt, wird sie das
Publikum nicht vermissen; den Gelehrten aberstehen
sie als Studiensammlung auch jetzt schon zur Verfügung.

Die Galerie konnte durch diese Aussonderung umso
lockerer gehängt werden. Ein großer neuer Katalog,
der den gesamten Bestand der Dresdener Galerie in
Abbildungen bringen wird, ist in Vorbereitung. Sämt-
liche Gemälde sind neu aufgenommen worden.

* *
*

In den Kunstsalons und im Sächsischen Kunst-
verein sahen wir in den letzten Wochen — und zum
Teil sehen wir noch jetzt — eine Reihe von Sonder-
ausstellungen, die die Teilnahme der Kunstfreunde

lebhaft in Anspruch nehmen. So in der Galerie
Arnold eine Sonderausstellung von Sascha Schneider,
der nach zehnjähriger Pause die Ergebnisse seines
Lebens und Schaffens in Italien wieder vorführte. In
seinen neuen Werken erkennen wir Schneider zum
Teil als den Künstler von ehedem, insofern als sein
Schaffen ausschließlich der Darstellung des nackten
Menschen gilt — neu ist aber, daß er auf die alle-
gorischen und symbolischen Einkleidungen, die früher
für ihn bezeichnend waren, gänzlich verzichtet und
nur noch die menschliche Gestalt rein und ohne
Nebenansichten darstellt. In einer Schrift, »Mein Ge-
stalten und Bilden« betitelt, gibt er sein künstlerisches
Glaubensbekenntnis ab. Er bekennt sich da als
Prophet der bisher allzusehr vernachlässigten physischen
Kultur und tritt ein für Gesundheit, Mannhaftigkeit
und Schönheit, die er als unzertrennlich miteinander
verbunden bezeichnet. Die frohen Sportplätze einer
gesunden Jugend sollen die Modelle für den Künstler
liefern, und nicht bloß die »weiche Schönheit des
Weibes« soll der Künstler darstellen, sondern auch
das männliche Geschlecht, dessen »herbere, stattlichere
und größer geartete Schönheit, so unendlich reicher
an Ausbildungsmöglichkeiten, ganz in den Hintergrund
getreten, um nicht zu sagen, vergessen worden ist.«
Weiter lesen wir, daß das höchste Vorbild, frei von
allen Defekten, nur Typus sein kann, und weiter ver-
teidigt Schneider die symmetrische Körperstellung,
auch empfiehlt er möglichste Beschränkung des Ge-
sichtsausdrucks — fast bis zur Ausdruckslosigkeit.
Weiter erklärt er die räumliche Wirkung im Gemälde
für stilwidrig, weil es der Maler mit einer Fläche zu
tun habe, bei der es nur ein Oben oder ein Unten,
rechts und links, nicht aber vorn und hinten gäbe.
»Wir haben es mit einer Fläche zu tun, daran ist
nichts zu ändern, das muß eingesehen werden . . .
Die Aufgabe wäre demzufolge nicht: Plastik oder
Tiefendimensionen vorzutäuschen, sondern runde Körper
und Tiefeneffekte auf einer Fläche zu projizieren.«
Jede lebhafte Bewegung, vor allem in der Plastik,
wird nach Schneider zur Pose, zur Grimasse; eine
große Menge Probleme, mit denen sich die Maler
beschäftigen, sind Atelierphrasen. Mit dieser be-
schränkten Ästhetik, die Sascha Schneider mit starker
Selbstsuggestion und Scheinlogik vorträgt, wären wir
also glücklich beim Apoll von Tenea und ähnlichen
primitiven Leistungen, in der Malerei aber bei der
reinen Flächendekoration mit menschlichen Körpern
von typischer Gestaltung ohne seelischen Aus-
druck angelangt. Alle sonstigen Errungenschaften
der Malerei wären Irrtümer und zu verwerfen. Man
kann natürlich nur lächeln über eine solche gewollte
Einseitigkeit, mit der Sascha Schneider sich nur selbst
betrügt, wenn er glaubt, damit allgemeine Grundsätze
für die Kunst aufgestellt zu haben. Jeder andere wird
sagen, daß Sascha Schneiders Kunst nur eine der
unendlich vielen Möglichkeiten künstlerischen Schaffens
darstellt und daß zahllose andere Möglichkeiten genau
dasselbe Daseinsrecht haben wie seine Kunstweise.

Schneiders Gemälde, Zeichnungen und plastische
Werke — diese etwas ganz Neues in seinem
 
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