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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0078

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135

Vermischtes

136

Heilige in seiner linken Hand hielt. Nun wird es aber
gewiß die Leser der Kunstchronik interessieren, etwas über
die verschiedenen Aufsätze zu hören, die in dem letzten
Heft des Bolletino d'arte erschienen sind.

Corrado Ricci publiziert die von Ermenegildo Costan-
tini gemalte Kopie des unteren Teiles des Raphaelischen
Bildes und gibt einen klaren Überblick über die darauf
bezügliche Literatur. Dr. Giulio Zappa, Direktor der Pina-
kothek in Brescia, teilt interessante Notizen über die Ge-
schichte des Bildes mit. Man weiß nicht, wie es in das
Haus des alten gräflichen Geschlechtes der Tosio, aus
welchem es dann in die Städtische Galerie kam, gelangte
aber aus neueren Papieren ergibt sich, daß es 1821 in
Florenz im Besitz eines Zwischenhändlers, eines gewissen
Virginio Mazzoni sich befand, der sich von dem Vorstand
der florentinischen Kunstakademie ein Zertifikat darüber
erbat, in welchem es unter anderem heißt: »essendo stati
ricercati del nostro parere, propendiamo a crederlo della
prima maniera di Raffaello d'Urbino, trovando piü grazia
nel volto del ritratto suddetto che nell'opere di Perugino,
dal colorito del quäle molto si scosta«. Zwischen den Mit-
gliedern des Präsidiums, welche dieses Dokument zeich-
neten, sind die berüchtigten akademischen Maler der Zeit
Pietro Benvenuti und Luigi Sabatelli, die, so viel es scheint,
mehr Neigung zum Kunsthistoriker, als zum ausübenden
Künstler hatten. Leider beachtete man dieses Urteil nicht,
so daß das Bild nie wieder dem Raphael zugeschrieben
wurde, sondern erst dem Cesare da Sesto, dann 1877 von
Domenico Morelli dem Timoteo Viti. Der erste, der nach
den florentinischen Akademikern Raphael als Maler des
Bildes hypothetisch einigen Freunden bezeichnete, war
Adolfo Venturi, als er 1898 zur Zentenarfeier des Moretto
in Brescia verweilte. Dr. Fischel war aber der erste, welcher
die Ähnlichkeit des Engelskopfes in Brescia mit dem Engels-
kopf auf der Kopie in Cittä di Castello erkannte und so
den Weg zur endgültigen Lösung fand.

Endlich bespricht im Bollettino Professor Vittorio Spinaz-
zola, Direktor des Neapolitanischen Nationalmuseums, ein
Fragment des Raphaelischen Bildes, das bis jetzt unerkannt
dort aufbewahrt wurde. Es handelt sich nicht um den schon
erkannten Gottvater mit den Cherubsköpfen, sondern um die
Büste der Madonna, die in einer Zwischenzone des Bildes
ilnks vom Gottvater kniete. Das Ganze ist nur ein Täfelchen,
welches 51 cm hoch und 41 cm breit ist. Die Jungfrau hält
in beiden vorgestreckten Händen eine kleine Krone und
neigt das mit einem blauen Mantel bedeckte Haupt. Die
Hälfte der Krone fehlt und das Fehlende ist auf der Tafel
des Gottvaters erhalten, sowie auch der obere Teil des
Bogens, der, hinter dem Madonnenkopf beginnend, die
Figur des Gottvaters umgibt. Ebenso reichen die Flügel
des einen Cherubkopfes in die Tafel der Jungfrau. Alles
entspricht der Originalzeichnung Raphaels und kein Zweifel
ist möglich, daß die Büste der Jungfrau dem Raphaelischen
Jugendwerk angehört.

Die Tafel mit der Madonna und die mit dem Herrgott
kamen beide aus Rom in die Galerie Francavilla nach
Neapel und von dort in das Nationalmuseum. In einem
alten Inventar der Sammlung Francavilla stehen die Bilder
unter der Bezeichnung: Quadri estratti da San Luigi dei
Francesi. Sie gehörten also zu dem großen Stock italie-
nischer Bilder, welche die Franzosen in der napoleonischen
Zeit in ihrer Nationalkirche aufgespeichert hatten, um sie
dann nach Paris zu schleppen. Fed. H.

Die erste Nummer des Jahrgangs 1912 (Januar-Februar)
der »Revue de l'art chretien« enhält einen längeren Beitrag
von Dr. Pouzet zur Ikonographie der im Musee Ochier
aufbewahrten romanischen Kapitale der Abteikirche von
Cluny. Da ist zum Beispiel ein Kapitäl, das die vier
primären Töne der Musik darstellt. Andere zeigen Per-
sonifizierungen der Jahreszeiten und der Tugenden. Diese
schönen Werke der hochromanischen Skulptur gehören
zum wenigen, was die Zerstörung der berühmten Abtei
überdauert hat. Ein längerer Aufsatz von A. Demartial
in derselben Nummer beschäftigt sich mit den Kupfer-
stichen und Emaillen des Leonard Limousin, während ein
anderer, von Louis de Farcy, die Hauptstücke des Dom-
schatzes von Narbonne reproduziert und bespricht.

Die zweite Nummer (März-April) bringt außer der
Fortsetzung des Pouzetschen Artikels über die Kapitäle
von Cluny einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der
hochgotischen Skulptur der Hede France, A. Boinets Studie
über die Fassadenskulpturen der Kathedrale von Meaux.
Dieselben sind mit den Skulpturen von Notre-Dame in
Paris eng verwandt, und zwar sind die von Meaux später
entstanden als die von Paris. Wahrscheinlich ist der Bild-
hauerische Schmuck der Portale von Meaux das Werk
einer Pariser Werkstatt.

VERMISCHTES

Seit einiger Zeit hatte die Militärverwaltung die aus
dem vierzehnten Jahrhundert stammende Burg von Vin-
cennes dem Besuche des Publikums geöffnet und dadurch
den künstlerisch-geschichtlichen Sehenswürdigkeiten von
Paris einen bedeutenden Zuwachs gegeben; jetzt aber ist
die Burg wieder geschlossen, obgleich sie nicht den früheren
Kasernenzwecken zurückgegeben worden ist. Es handelt
sich bei diesem bedauerlichen Rückschritt um eine in der
französischen Verwaltung so häufig wiederkehrende Streit-
frage, diesmal zwischen dem Kriegsministerium und dem
Ministerium der bildenden Kunst. Beide sind einig, daß
man aus der Burg von Vincennes ein Museum machen
müsse, etwa in der Art des Tower von London, aber
keines von beiden will das Geld dazu hergeben. Es wird
des Einschreitens der Kammer und einer besonderen Geld-
bewilligung bedürfen, ehe man den Wünschen der Pariser
Kunstfreunde Gehör schenken und Vincennes dauernd dem
öffentlichen Besuche übergeben kann.

Im Schlosse von Fontainebleau sind jetzt die »klei-
nen Appartements« zugänglicher gemacht worden, die
unter dem Kaiserreich für Napoleon, seine Mutter, die
Kaiserin Josephine und die sonstigen Angehörigen der
kaiserlichen Familie eingerichtet worden sind. Diese Räume
sind mit außerordentlich schönen Möbeln Louis Seize und
Empire ausgestattet, die niemals ihren Bestimmungsort ver-
lassen haben, und deren Urheber die bekanntesten Kunst-
handwerker jener Epoche sind. Die meisten Möbel sind
von dem Hoftischler Jacob entworfen und ausgeführt, die
Leuchter, Uhren usw. von Thomire, Galle, Delafontaine,
Lepautre, die Goldschmiedearbeiten von Biennais, Auguste
und Odiot. Das Ganze bildet ein unvergleichlich schönes
und reiches Museum des Kunsthandwerks der letzten Jahr-
zehnte des achtzehnten und des ersten Dezenniums des
neunzehnten Jahrhunderts, und man muß sich wundern,
daß diese Schätze so lange in Verborgenheit blieben und
jetzt erst für das besuchende Publikum gehoben werden.

Inhalt: Dresdener Brief. — Otto Lessing f; Fritz Baerf. — Personalien. — Karmeliterkirche in Mainz; S. Stefano in Venedig; Grande Chartreuse.

— Wettbewerbe: Berliner Opernhaus; Kirche in Schmargendorf; Laufbrunnen in Bonn. — Ausstellungen in Elberfeld, Jena, Karlsruhe,
Köln, Paris, Wilhelmshaven, Venedig. — Suermondt-Museum In Aachen; Museum für ostasiat. Kunst in Köln; Berliner Museen; Oldenburg.
Museum; Kunstmuseum in Essen; Französ. Sammlungen; Qemäldegalene Sir H. Layard in Venedig; Metropolitan-Museum; Bostoner Mu-
seum. — Stiftung f. d. Berliner Akademie. — Drei vlämische Madonnen in Italien; Zu Raphaels Krönung des hl. Nikolaus von Tolentino;
Romanische Kapitäle in Cluny. — Vermischtes. _

Verantwortliche Redaktion: Gustav Ktrstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraßella
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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