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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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i6i

Ausstellungen

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ernsthafte Versuche künstlerischer Gestaltung auf dem
Qebiete des Kunstgewerbes. Durch die Vereinigung wurde
es anders. Die jungen künstlerischen Kräfte, die besondere
Eigenart aufwiesen, wie H. Coßmann, A. Doering, F. M.
Jansen, F. Kreutzer, W. Kamper haben die Anregungen
schnell aufgegriffen und dem bisherigen Kunstgewerbe,
wie es u. a. die Arbeiten von L. Paffendorf und Grete Als-
berg charakterisierte, eine neue entwicklungsfähige Note
aufgeprägt. Um die rein künstlerische Bewegung im neuen
Kunstgewerbe klar in Erscheinung treten zu lassen, hat
die Vereinigung fremde Künstler, zumeist aus dem Rhein-
lande, hinzugezogen, unter denen sich u. a. ein Könner
vom Schlage F. H. Ehmckes befindet. Ferner stellen Schmidt-
Rottluff, E. Heckel und E. Kirchner in Berlin aus und be-
weisen, wie viele gerade für die angewandte Kunst frucht-
bare Keime in ihrer bekannten malerischen Richtung stecken.
Von einzelnen Arbeiten seien erwähnt die getriebenen
Silberschnallen der zuletzt genannten Künstler, die zum
erstenmal mit vollem Bewußtsein eine echte stoffliche Be-
handlung und eine schöpferische Formgestaltung aufweisen,
die mit der überlieferten unstofflichen, harten Metall-
bearbeitung völlig gebrochen hat. Bei den Kölner Künst-
lern liegen die stärksten künstlerischen Werte wohl in den
großzügig monumental aufgefaßten Glasgemälden von
F. M. Jansen und in dem stilstrengen Mosaik Coßmanns.
Eine Dame, F. Creutzer, zeigt Stickereien von phantasie-
starker Formensprache in neuartiger wirkungsvoller Technik.
Dann wäre noch Schneidler in Barmen zu nennen, der
sich zu bedeutender Freiheit der künstlerischen Anschauung
durchgerungen hat, wie seine Zeichnungen zu Heines
Atta Troll und sein Buchschmuck für den Verlag von
E. Diederichs zeigt. Schneidler beweist klar die Erstarkung
der schöpferischen Kraft, wenn das Formgefühl sich einmal
mit innerer Notwendigkeit von den abstrakt-ornamentalen
Formen, den Spiralen, Dreiecken, Quadraten abgewandt hat.

Diese auf das Geschmackvollste zusammengestellte
Ausstellung beweist viel besser als die Bilderschau im
Museumslichthofe, wie viel Neues und Lebenskräftiges in
Köln im Entstehen begriffen ist. Schade, daß es noch viel
zu wenig gewürdigt wird! An dieser Stelle sollte wenig-
stens einmal die Anerkennung ausgesprochen werden, auf
die die >Vereinigung für Kunst in Handel und Gewerbe«
und ihre treibende Kraft, eben Dr. Lüthgen, ein Anrecht
haben.

X Berliner Ausstellungen. Im Kunstgewerbe-Mu-
seum hat gegenwärtig die Schule dieses Instituts eine
Ausstellung veranstaltet, die allgemeines Aufsehen erregt
und von kunstgewerblichen Lehrkräften aus ganz Deutschland
eifrig besucht wird. Die Bedeutung dieses Überblicks geht
weit über die aller ähnlichen Veranstaltungen hinaus, die
wir seit langen Jahren in Berlin gesehen haben. Es ist
gleichsam ein Rechenschaftsbericht, den Prof. Bruno Paul,
vor nunmehr fast sechs Jahren an die Spitze der Berliner
Kunstgewerbeschule berufen, über die schon vorher im
Prinzip angenommene, aber erst jetzt systematisch durch-
geführte Methode des Unterrichts in seinem Bereich er-
stattet. Die Ausstellung gibt von der zielbewußten Art,
wie hier der Nachwuchs erzogen und herangebildet wird,
eine imponierende Vorstellung. Man sieht, wie nach
sorgsam durchdachtem Programm der Zögling dazu geführt
wird, in organischem Lehrgang sein Raum-, Flächen-, Form-
und Farbenempfinden zu festigen und zu vertiefen, um
allmählich zu selbständigen Leistungen aufzusteigen. Aber
man sieht noch mehr! Denn man erkennt, daß die Kunst-
gewerbeschule in Wahrheit die »Akademie der Zukunft«
sein wird! Hier wird die wichtige Forderung erfüllt, die
von den Kennern der Verhältnisse seit Jahr und Tag immer |

aufs neue gestellt wird, aber stets nur taube Ohren trifft:
daß nur der zu künstlerischer Tätigkeit vom Staate erzogen
werden sollte, der auf dem Boden des Handwerks steht.
Die Schüler, die hier eintreten, kommen sämtlich aus einem
praktischen Betrieb, wo sie sich technisch gebildet und
gelernt haben, ihre Hand zu brauchen. Dann erhalten sie
hier eine straffe Erziehung aufs Gewerbliche hin, das ihnen
immer die Möglichkeit einer soliden Fundamentierung
ihres Lebensberufes bietet, ihnen zugleich aber, wenn die
Begabung reicht, alle Türen zu einer freien künstlerischen
Tätigkeit öffnet. Die Ausstellung zerfällt in zwei Abteilungen.
Die erste betrifft die »Tagesklassen*. Sie gibt Aufklärung
über das Prinzip des Unterrichts vom Beginn bis zum
Abschluß der ersten Ausbildung. Man verfolgt hier an
der Hand sorgfältig ausgesuchter Proben und knapper,
sehr instruktiver Inschriften auf den Rahmenleisten an den
Wänden, wie sich der Schulvorgang abspielt. Wie die
Neulinge mit allen Techniken vertraut gemacht, alle Über-
bleibsel des alten Schematismus aus dem Tempel gejagt
werden, wie ununterbrochen der Schüler in engster Be-
ziehung zum Handwerklichen gehalten wird. In der zweiten
Abteilung der »Fachklassen*, die etwa den Meisterateliers
der akademischen Hochschule zu vergleichen sind, gewinnt
man einen Überblick, wie die Begabtesten unter den Fort-
geschrittenen gleichfalls in allen möglichen Zweigen, in der
dekorativen Malerei und Bildhauerei, in der Graphik und
im Möbelbau, zu selbständiger Arbeit aufsteigen, immer
fest an die technische Herstellung der Schmuck- und Ge-
brauchsstücke gebunden, die sie vornehmen. Mehrere
Vitrinen zeigen eine größere Auswahl von Arbeiten aus
verschiedenen Gebieten des Kunsthandwerks, die von dem-
selben angehenden jungen Künstler entworfen und bis ins
letzte Detail ausgeführt sind. Viele große Fabriken, namentlich
Porzellan-Manufakturen, treten mit den älteren Schülern
dieser Fachklassen bereits in Verbindung. Und schließlich —
das ist von größter Bedeutung — erkennt man, wie die
Zöglinge der Schule auch den Weg zu nicht mehr am
gewerblichen Zweck haftenden Schöpfungen, zum Bilde,
zur freien Plastik, zur Radierung usw. finden.

Zum zweiten Male haben wir jetzt hier eine Juryfreie
Kunstschau. An demselben Tage, da im neuen Lepke-
hause an der Potsdamer Brücke in den rückwärts gelegenen
Auktronsräumen die Versteigerung der Sammlung Lippmann
alle Würden der vergangenen Kunst entfaltete, ward an der
Straße, wie es sich gehört, in den unvermieteten Läden
des Vorderhauses, dieser zwangloseste Berliner Herbstsalon
eröffnet, in dem sich die Gegenwart nach allen Regeln
austobt. Denn wie alle juryfreien Veranstaltungen erhält
auch diese durch die radikale Jugend ihren Stempel. Die
Stürmer der Neuen Sezession (von der man nicht recht
weiß, ob sie in der alten oder in einer neuen Form noch
existiert), die Tappert, Cesar Klein, Segal, Hans Richter,
bringen ihre neuen Experimente an, die, wie früher, viel
Begabung mit viel Unruhe und Unreife vereinen, aber als
Zeugnisse einer neuen Sehnsucht immer willkommen sind,
solange wir kein Genie haben, das die Wünsche dieser
Generation völlig überzeugend zusammenfaßt. Natürlich
sind auch kubistische und sogar futuristische Einflüsse zu
spüren. Eine Reihe jüngerer Franzosen, die man als Ver-
stärkung aus Paris herbeirief, treiben gleichfalls fast durch-
weg im Fahrwasser des Kubismus. Aber es zeigt sich,
daß dies seltsame Dogma, das sein Erfinder Picasso immer-
hin zu so merkwürdigen Gebilden, oft von fast mystischer
Kraft, zu führen weiß, unter den Händen kleiner Nach-
ahmer alle Ergiebigkeit verliert. Unter den Berlinern sind
zwei neue jugendliche' Talente zu nennen: Franz Hecken-
dorf und Erich Waske, die, jeder in seiner Weise, starken
Farbensinn mit dem entschlossenen Rhythmus verbinden,
 
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