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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Seidlitz, W. von: Sedelmeyer gegen Bredius
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0117

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Sedelmeyer gegen Bredius

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herzustellen suchen, nützen ebensowenig, wie das Reden
über schöne oder unschöne Gestalten, wenn die Unter-
suchung nicht methodisch geführt und die Beweisführung
auf wirklich eigenhändige Arbeiten, die sich mehr oder
weniger genau datieren lassen, gestützt wird. Hier soll
alles die Entstehung des Bildes um das Jahr 1654 wahr-
scheinlich machen, damit es eine Art Rechtfertigung der
Hendrickje darstelle, nach dem Verhör über ihre Be-
ziehungen zu Rembrandt, dem sie am 23. Juli unterzogen
wurde.

Die Hauptfrage bleibt aber, ob das Bild den persön-
lichen Stil Rembrandts, sei es zu dieser Zeit oder zu einer
anderen, wiedergebe; ob es die lebendige Charakteristik,
den Glanz der Farbe, die geistreiche Pinselführung zeige,
welche seine Werke auszeichnen: kurz, ob es künstlerisch-
schöpferischen Wert besitze. Dies ist der Punkt, über
welchen die Ansichten auseinandergehen. Das Bild der
Ehebrecherin mag nach einer Rembrandtschen Zeichnung,
welche Picart gestochen hat, gemalt und später an allen
vier Rändern verkleinert worden sein: aber eine so un-
klare Verteilung der Figuren über den Raum, daß es aus-
sieht, als ständen sie alle auf demselben Plan, obwohl sie
doch teils vor-, teils zurücktreten; eine so unsichere Führung
der Blicke, daß man bei keiner Person angeben kann,
wohin sie eigentlich gerichtet sind; eine solche Leblosig-
keit im Gesichtsausdruck wie andrerseits Plattheit in den
Typen, wie z. B. bei dem Mann mit der Zipfelmütze; end-
lich eine so schwere Färbung und so lieblose Pinsel-
führung, wie bei dem Bart des hier fast originalgroß ab-
gebildeten Greises, sind bei keinem der unzweifelhaft echten
Bilder Rembrandts anzutreffen.

Es heißt freilich, das Gemälde habe bei der in Amerika
vorgenommenen Reinigung unendlich gewonnen; um so
mehr muß dann bedauert werden, daß die Abbildungen
offenbar noch nach dem alten Zustand des Werkes ge-
geben sind, da sie der Reproduktion in Bodes großem
Werk durchaus entsprechen.

Natürlich richtet sich die Beurteilung danach, welche
Bilder Rembrandt überhaupt zugeschrieben werden. Rechnet
man zu den echten Werken das Bildnis des Künstlers mit
seiner Gattin im Buckingham- Palast und die Beweinung
Christi beim Herzog von Abercorn, so fällt es nicht schwer,
auch die Ehebrecherin als Werk Rembrandts anzunehmen.
Herr Sedelmeyer ist entsetzt, daß Bredius das Bild im
Buckingham-Palast, ferner die alte Elisabet Bas im Amster-
damer Museum dem Meister abspricht und dazu noch er-
klärt, in bezug auf vierzig weitere Bilder ebenso verfahren
zu wollen. Aber in solchem Bestreben, das Werk Rem-
brandts von irrigen Zuschreibungen zu reinigen, dürfte
Bredius, »der ungläubige Thomas im Haag«, gar nicht so
vereinzelt stehen, wie es nach der vorliegenden Schrift
scheint. Denn diejenigen, welche sich mit Rembrandt be-
schäftigt haben, sondern sich überhaupt in zwei große
Gruppen: solche, die ihm möglichst viel Werke zuzu-
schreiben suchen und denen daher seine Persönlichkeit als
eine ungemein wechselnde und vielseitige erscheint; und
solche, die das Bestreben haben, an den einfachen Linien
seines Wesens festzuhalten, so daß sie eher geneigt sind,
den Umfang seines Werkes einzuschränken als auszu-
dehnen.

Unendlich viel hat Bode für die Erweiterung des
Werkes von Rembrandt getan, indem es ihm immer von
neuem gelungen ist, aus dem Wüste der nur als Schulgut
oder als Nachahmungen angesehenen Bilder echte Werke
des Meisters herauszufinden, welche die äußerst ver-
schiedenartigen Stufen seiner Entwickelung bekunden. Dazu
sind, seitdem die Teilnahme für Rembrandt sich so un-
geheuer gesteigert hat, bis auf den heutigen Tag immer

wieder neue echte Bilder zum Vorschein gekommen. Diese
Fülle von Entdeckungen mußte dazu führen, die Aufmerk-
samkeit stets gespannt auf die Mannigfaltigkeit der Formen
zu lenken, unter denen der Künstler erscheint. Dazu kam
besonders seit der Herausgabe des in Sedelmeyers Verlag
erschienenen Monumentalwerkes über Rembrandt das Be-
streben, dessen Gemälde so vollständig wie möglich zu
verzeichnen, was ohne eine gewisse Weitherzigkeit der
Beurteilung nicht erreichbar gewesen wäre. Hofstede de
Groot und Valentiner verfolgten ähnliche Bahnen.

Bredius dagegen ist von vornherein die undankbare,
aber nicht zu vermeidende Aufgabe zugefallen, dieser für
die Allgemeinheit willkommeneren Auffassungsweise ent-
gegenzutreten. Er ist derjenige gewesen, der auf die Kritik
des einzelnen Werkes das stärkste Gewicht gelegt hat, und
war daher stets geneigt, solche Bilder, die dem Vergleich
mit anderen gesicherten Leistungen nicht völlig standhalten,
zu verwerfen. Daß er dabei gelegentlich geirrt hat, ist
nicht zu verwundern, da kein Mensch unfehlbar ist; aber
das Verfahren, nur auf sicherem Grunde bauen zu wollen,
ist ebenso nötig wie auch einzig richtig, da ein Fehler
nur zu leicht andere nach sich zieht. Freilich gehört zu
einer solchen Abgrenzung des Werks des Meisters eine
ausgedehnte und vertiefte Kenntnis der Wirksamkeit seiner
Schüler, mögen sie mit einem bestimmten Namen zu be-
legen sein oder im Bereich der »Unbekannten« schlummern.
In dieser Hinsicht ist noch viel zu wenig geschehen, hat
man der Erforschung der einzelnen Individualitäten viel
zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Je nach den verschiedenen Stufen, die Rembrandts
Entwickelung durchgemacht hat, sondern sich diese Schüler
und Nachahmer in bestimmte Gruppen, von denen die der
Willem de Poorter, Salomon Köninck, Vliet, Dirk van
Santvoort, Jacob de Wet, Jan van Spreeuw, also der um
1610 geborenen Künstler, die zum Teil bereits in den
dreißiger Jahren des Jahrhunderts ihre Tätigkeit zu ent-
falten beginnen, die früheste ist. Zu ihr gehört auch der
um ein Jahrzehnt ältere P. C. Verbeeck. Nur um weniges
später treten seine beiden selbständigsten Schüler auf den
Plan: der im Jahre 1615 geborene Govaert Flinck und
Ferdinand Bol (geb. 1616); letzterer schwingt sich "sogar,
wie das Beispiel der Elisabet Bas zeigt, sofort zu einem
äußerst beachtenswerten Konkurrenten des Meisters auf.
Weiter folgen Jan Victoors, Bernaert Fabritius und Eeck-
hout, die wesentlich seit den fünfziger Jahren tätig sind.
Um diese Zeit hat auch schon Flinck einen Schüler, den
Joh. Spilberg, ausgebildet. Die Reihe dieser Schüler der
ersten Zeit beschließen der jung verstorbene Karel Fabritius
und Samuel van Hoogstraeten. Der jüngste, aber auch
selbständigste Schüler Rembrandts ist endlich der 1632
geborene Niclaes Maes, der zusammen mit seinem Alters-
genossen Vermeer van Delft (einem Schüler von Karel
Fabritius), Pieter de Hooch und Cornelis Drost die auf
Rembrandt folgende Generation bildet. Als Haupterzeug-
nisse dieser Richtung erscheinen diejenigen Werke, welche
sich um das große Bild des Christus als Kinderfreund in
der Londoner Nationalgalerie gruppieren; sie dürften sich
mit der Zeit als Schöpfungen des genannten Maes er-
weisen. Auf dem Gebiete der Landschaft wird namentlich
noch die frühe Tätigkeit von Philip Köninck zu unter-
suchen sein. Den-Beschluß macht dann Aert de Gelder1).

1) Dieser Überblick List auf Grund einer nur kurzen
und weit zurückliegenden Beschäftigung mit den genannten
Künstlern zurückzuführen, daher Irrtümer im einzelnen
nicht ausgeschlossen sind. Vielleicht aber veranlaßt er
jüngere Kräfte, sich dieser notwendigen und dankbaren
Aufgabe zuzuwenden.
 
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