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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Woermann, Karl: Zur Frage der Naturformen in der geometrischen Ornamentik
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0184

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Zur Frage der Naturformen in der geometrischen Ornamentik

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die versteinerten »Ammoniten«, wie man sie in allen
Größen in unseren geologischen Sammlungen kennen
lernt, gibt es überhaupt nicht. Zum Aufreihen durch-
bohrte Ammoniten aber sind als Schmuckgegenstände
nicht nur bei den diluvialen Höhlenbewohnern, son-
dern auch noch in den Schweizer Pfahlbauten häufig
gefunden worden. Es ist also erwiesen, wie früh die
Menschheit auf diese Naturform und ihren Schmuck-
wert aufmerksam geworden ist; und wie viele Spiralen
in der Muschel- und Schneckenwelt noch heute leben-
dig sind, braucht kaum betont zu werden. Anderer-
seits stehen altperuanische Tongefäße, auf denen Tinten-
fische mit spiralförmigen Armen dargestellt sind, neben
gleichzeitigen Gefäßen, auf denen die Spiralarme, noch
deutlich von jenen Fangarmen abgeleitet, sich ver-
selbständigt haben; und ähnliche Beobachtungen kann
man in der ägäischen Vasenmalerei machen. Daß
endlich auch die im Grase aufgerollte Schlange ge-
legentlich als Vorbild der Spirale in der Kunst ge-
dient hat, zeigt z. B. die Spiralschlange auf einem der
Türfelder vom Hause eines afrikanischen Negerhäupt-
lings im Berliner Museum.

Nicht so augenfällig wie die gerundeten Grund-
formen der Zierkunst treten uns in der Natur die
gradlinigen und eckigen Schmuckformen entgegen.
Zickzacklinien freilich lassen sich, wie auf dem Rücken
der Kreuzotter, auf manchen Schmetterlingsflügeln er-
kennen; und wenn man Haeckels großes Werk durch-
blättert, wird man sehen, daß es auch in den dort
veröffentlichten organischen Naturgebilden an geraden
Linien, Zickzacklinien, Quadraten und Dreiecken keines-
wegs fehlt. An eckige Durchschnitte mancher Pflanzen-
stengel sei hier nur nebenbei erinnert. Die meisten

geradlinigen Zierformen unserer Ornamentik aber sind
in der unorganischen Natur (soweit man von einer
solchen reden kann) vorgebildet. Nicht an die Zoologie
oder die Botanik, sondern an die Mineralogie müssen
wir uns wenden, um sie kennen zu lernen. Ein Buch,
das die Formensprache der Kristalle in ähnlicher Weise
verwerten wollte, wie Haeckels Werk die Gestaltungen
der Tier-und Pflanzenwelt heranzieht, würde uns aber-
mals neue Wunderwelten eröffnen. Manches ist auch
auf diesem Gebiete bereits veröffentlicht worden. Es
liegt weder in meinem Beruf noch in meiner Absicht,
diese Fragen hier in irgend welchem weiteren Zu-
sammenhang zu erörtern. Es darf als bekannt vor-
ausgesetzt werden, daß in der Welt der Kristalle sich
fast alle geradlinigen Flächen und Körper unserer Zier-
kunst vorgebildet finden. Nur auf eine, möglicher-
weise von der Chemie oder von der Mineralogie,
jedenfalls aber noch nicht von kunstwissenschaft-
licher Seite beachtete Erscheinung dieser Art hinzu-
weisen, ist der Zweck dieser Zeilen: auf die Ein-
fassung der ansehnlich großen quadratischen und
rechteckigen Flächen der Chlorkalium-Kristalle mit
sorgfältig profilierten Rahmenbildungen und auf ihre
Füllung mit Mäanderansätzen, die manchmal zu un-
zweideutig ausgesprochenen Mäanderzügen werden.

Daß ich imstande bin, auf diese mineralogischen
Erscheinungen hinzuweisen, verdanke ich dem Zu-
trauen und der Güte des Herrn H. Ehelolf in Goslar,
dem es in seiner Doppeleigenschaft als Architekt und
als Leiter einer Chlorkalium-Fabrik vorbehalten war,
auf die kunstwissenschaftliche Bedeutung dieser Kri-
stalle aufmerksam zu werden. Herr Ehelolf hatte die
Freundlichkeit, mir eine größere Anzahl solcher Kri-
stalle zu schicken, an deren charakteristischsten die
gut gebildeten Mäanderzüge deutlich zu sehen waren,
deutlicher noch als auf den hier abgebildeten größe-
ren Stücken, die immerhin erkennbare Ansätze zu
 
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