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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Hofstede de Groot, Cornelis: Die Kritik der Rembrandtzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6192#0328

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Die Kritik der Rembrandtzeichnungen

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gung, eine fest begründete Tradition. Andere ob-
jektive Kennzeichen für die Sicherung eines Werkes
gibt es, sobald der Urheber selbst und der letzte
Augenzeuge gestorben sind, meines Wissens nicht.
Daß man von solchen Kennzeichen den richtigen
Gebrauch machen muß, versteht sich von selbst. Jeder,
der sie gebraucht, glaubt den richtigen Gebrauch zu
machen. Ist sein Kritiker anderer Meinung, so genügt
es nicht, auf die Schwierigkeit des richtigen Gebrauches
hinzuweisen, sondern er muß nachweisen, daß der
Verfasser den Schwierigkeiten dieses Gebrauches nicht
gewachsen war.

Herr v. Seidlitz sagt, die Teylergesellschaft scheine
bei dem Preisausschreiben im Unklaren darüber gewesen
zu sein, daß zu einem Verzeichnis der Zeichnungen
eine Prüfung der Echtheit der einzelnen Blätter eine
Vorbedingung sei. Ich glaube nicht an diese Un-
klarheit. Es wäre dies der Fall gewesen, wenn man
mit Herrn v. Seidlitz unter Rembrandtzeichnungen die
Gesamtmasse der Rembrandt mit mehr oder weniger
Recht zugeschriebenen Zeichnungen versteht. Sobald
man unter Rembrandtzeichnungen (teekeningen van
Rembrandt) versteht, was es in Wirklichkeit heißt:
Zeichnungen, die von Rembrandt herrühren, versteht
es sich von selbst, daß die ihm nur zugeschriebenen
erst auf die Richtigkeit der Zuschreibung hin geprüft
werden mußten. Quod feci.

Unten in Spalte 363 hat Herr v. Seidlitz einen
Ausspruch von mir aus dem Zusammenhang gerissen
und dadurch unverständlich gemacht: »Man kommt
dann leicht dazu, alles, was nur um ein geringes
besser ist als das Mittelmäßige, für echt zu halten«.
Der arglose Leser könnte vermuten, daß ich dies in
meinem Katalog getan hätte. Ich habe jedoch gerade
darauf hingewiesen, daß dies eine Klippe sei, auf der
man leicht strande »wenn das Auge durch die Be-
trachtung von vielem Geringwertigen ermüdet sei«
(S. VIII). Ich glaube daher gerade diese Klippe in
meinem Katalog vermieden zu haben, weil sie mir
durch die Erfahrung bekannt geworden war.

Was Herr v. Seidlitz unter der bei mir vermiß-
ten »stilkritischen Würdigung« eines Blattes versteht
(Sp. 364), ist mir nicht recht deutlich. Ich verlange,
daß man voraussetzt, daß ich jede Zeichnung, bei
der das Gegenteil nicht ausgesprochen wird, für echt
halte. Hätte ich nun überall das Wörtchen »echt«
hinzusetzen müssen? Ich hielt dies für überflüssig.
Wo ich glaubte mit einiger Sicherheit datieren zu
können, habe ich datiert1). Wo ich auf Beziehungen
zu anderen Zeichnungen, zu Radierungen und Ge-
mälden hinweisen konnte, habe ich es nicht unterlassen.

Qualifikationen, wie sie Herr v. Seidlitz angewendet,
z. B. »hat mit Rembrandt nichts zu tun«, »stammt
von irgendwelchem (!) guten Genremaler«, »weicht
durch die Zusammenhangslosigkeit der Darstellung
von Rembrandts Weise ab«, »in der Zeichnung der
Arme bereits etwas akademisch, in den Beinen unzu-

1) Daß man jetzt nach zehn Jahren für eine größere
Zahl von Zeichnungen ein approximatives Datum angeben
kann, ist vielleicht z. T. meinem Katalog, z. T. der von mir
fortgesetzten Lippmannschen Publikation zu verdanken.

länglich«, »von zerrissener und unsicherer Strichfüh-
rung«, haben meiner Ansicht nach keinen Wert. Ein
anderer Kritiker sagt dem entgegen mit ebensoviel Recht:
»hat die größte Ähnlichkeit mit Rembrandt«, »ist zu
gut für irgendwelchen guten Genremaler«. Oder
fragt: worin besteht diese angebliche Zusammenhangs-
losigkeit der Darstellung, diese zerrissene und unsichere
Strichführung, weshalb ist die Zeichnung der Arme
akademischer, sind die Beine unzulänglicher als bei
anderen Zeichnungen Rembrandts? Für mich sind
derartige Aussprüche, solange sie nicht durch Beispiele
erwiesen werden, leere subjektive Behauptungen ohne
stilkritischen und auch ohne wissenschaftlichen Wert.

Herr v. Seidlitz sagt Sp. 364: »meine Neigung,
irgendwelche, wenn auch nur entfernte Ähnlichkeiten
oder Beziehungen zu andern Werken als Zuschrei-
bungsgründe zu fassen, wirke verwirrend«. Wenn
aber Ähnlichkeiten und Beziehungen zu echten Werken
keine Zuschreibungsgründe für äußerlich nicht be-
glaubigte Werke mehr sein dürfen, weiß ich nicht,
was dann wohl Zuschreibungsgründe sein sollen. Etwa
Unähnlichkeiten ? Abweichungen ? Beziehungen zu
Werken anderer Künstler?

Ein Bestreben, um jeden Preis möglichst viel Werke
einem Künstler erhalten zu wollen, das Herr v. Seidlitz
bei mir voraussetzt, besteht bei mir gar nicht. Dieser
Punkt hat für mich absolut kein Interesse. Das einzige,
wonach ich strebe, ist die Erforschung der Wahrheit.
Wenn diese mich zu sagen zwingt, das Werk ist echt,
tue ich es ebensogut, wie ich es im umgekehrten Fall
nicht tue.

Zum Schluß kann ich nicht umhin, auf zwei in
meinem Auge sehr befremdende Aussprüche über Hesel-
tinesche Zeichnungen hinzuweisen. Dies ist erstens
die: daß »Die Mühlen Amsterdams« (H. d. G. 1039)
an sich eine ausgezeichnete Zeichnung sei, die aber
mit Rembrandt gar nichts zu tun habe. Man vergäße
dabei, daß Rembrandt nicht der einzige große Land-
schafter Hollands war.

Ich bin mir nicht bewußt, dies je vergessen zu
haben, sondern habe im Gegenteil mit besonderer
Aufmerksamkeit von jeher die Zeichnungen der andern
großen Landschafter: Ruisdael, Hobbema, Ph. Koning,
J. v. Goyen, A. Cuyp, A. v. d. Velde, Roghman, Doomer,
van der Hagen und wie sie weiter heißen, studiert.
Nun ist es aber auffallend, daß die Zeichnungen dieser
Meister (mit Ausnahme des Rembrandtschülers Koning),
aber auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der
Technik und der Auffassung Rembrandts haben. Kein
einziger von ihnen hat wie Rembrandt das graue Papier
benützt, kein einziger hat wie Rembrandt und seine
Schüler die Technik der Feder und Tintezeichnung
mit oder ohne Lavierung angewandt. Es scheint mir
für jeden, der das erhaltene Gesamtmaterial der hollän-
dischen Zeichnungen einigermaßen überblickt, absolut
unmöglich, behaupten zu wollen, diese Zeichnung
gehöre nicht in den Kreis Rembrandts. Hätte Herr
v. Seidlitz behauptet, es sei eine Schülerzeichnung,
dann hätte man dies seiner kritischen Neigung zu-
schreiben können. Er erkennt aber die vortreffliche
Qualität an und verweist sie in eine ganz andere
 
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