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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1919)
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Avenarius, Ferdinand: Unser Hoffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0017

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Zweitens: wir haben unsre deutsche Knltur noch. Den Blick zu unserm
tzinunel mit allen seinen Sternen kann uns kein Lügengewölk vom „drutschen
Barbarentum" auf die Dauer verdunkeln. Es sind noch lange nicht alle
Quellen erschlossen, die aus unsrer Kultur dem Volke Trank spenden können,
wie kein anderes Volk Trank hat. Und auch hier ist es immerhin möglich, ist
es nach vieler Meinung sogar wahrscheinlich, daß nach dem tzeilen der unmit-
telbaren Kriegswunden die äußere Verarmung innerer Bereicherung dient.

Drittens: wir haben allen Grund, stolz zu sein. Wenn in späteren
Iahrhunderten der Nebel verdunstet ist, der vom mächtigsten Trugapparat
der Erde über die LLnder hingebraut wurde, dann wird die Menschheit
staunen über dieses eine Volk, das bis ins fünfte Iahr im Kampf gegen
Heere, Kräfte und Materialien von drei Vierteln der Erde, gegen Absperrung
und Aushungerung und gegen die Weltlüge aufrecht blieb, ehe es dem
frevelhastesten Betruge der Menschengeschichte erlag. Wir, die gegen eigne
Fehler und eignes Verschulden wahrhaftig nicht blind gewesen, noch heute
blind sind, gerade wir haben das beste Recht, nicht nur den erpceßten
Schwatz von unserer alleinigen Schuld an Krieg und Kriegführung weg-
zuweisen, sondern auch den von unsrer „Entehrung", von unsrer „Schmach",
als hinge unsre Ehre von irgendwem anders ab, als von uns s lbst.

Dunkel i st die Lage. Infolge -des großen Wortbruchs mit Wilfons
Pnnkten Mißbrauch der Gewalt an allen Enden, infolge der Beraubung
Armut, wo früher Reichtum war, keine Waffenmacht mehr, keine starke
Industrie mehr, auch keine Handelsflotte, ausgeplündert selbst das rollende
Material der Bahnen, tausend erpreßte Lieferungen, wo die Reste der alten
Kraft sich etwa dennoch regen, und infolge von fünf Iahren Suggerierkrieg
eine Stimmung gegen uns in der Welt, als seien wir ein Volk von Teufeln.
Die Gefahr des Bolschewismus auf der einen, die der Gegenreaktion auf
der anderen Seite, beide beim Ausbruch schon deshalb ein Fluch, weil
die Herrschaft gleichviel welcher Minderheit unter den jetzigen Verhältnissen
nicht zur Beruhigung führen kann. Das dringendste Gebot deshalb: Ver-
ständigung, und vor gemeinsamen Zielen Verbündung. Beiseitelassen des
innern Zwistes über das, was nun doch einmal unabänderlich ist — solcher
Zank ist, um bei dem Bilde zu bleiben, von dem wir ausgingen, nicht besser
als das Gezänk wegen richtiger Behandlung eines Gestorbenen, das doch
auch jeder Privatarzt von Würdegefühl vermeidet. Das Gestern ist aus,
das Heute gilt, um das Morgen geht es: werden wir das endlich nicht nur
mit dem bischen Bewußtseins-Licht im Hirn, werden wir es so mit unserm
ganzen Sein erfassen, daß es unser Tun mit der Sicherheit des Lebens-
triebes regiert? Das Tote bleibt tot, wir wollen Leben schaffeu.

And erkennen: zu den drei großen Güter-Gruppen, die uns weder geraubt
sind, noch geraubt werden können, gesellt sich für die Gesamtheit der Starken
und sür jeden Einzelnen von ihnen noch die edelste: die Fülle der Auf-
gaben. Wer die Lage erfaßt hat, wo gäb' es für den jetzt keine Arbeit?
Mögen die Faulen, die Kranken, die Narren und die Schwachen in Stumpf-
heit, in Betäuberausch oder in chiliastischen Träumen „feiern", unsereiner
hat jetzt zu tun, und sei es nur, indem er mithilft, die ihm Nahestehenden
zur Arbeit zu bringen. Aber auch für das Deutsche Freireich als Ganzes
Zeichnet sich über den Trümmern des alten Reiches im Frühlicht schon eine
neue Mission, die mindestens so herrlich ist, wie das, was wir an Tat-
sächlichem, ja, wie das, was wir als Traumideal verloren haben.

Darüber, über „die Aufgabe", ein anderes Mal. A

Z
 
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