Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1919)
DOI Artikel:
Anders, Ernst Imm.: Neuere Dramen 3
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Knallen und Klingen: zum Thema: Expressionismus oder Pseudo-Expressionismus?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0130

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
heit, Schöpfertum und tausend anderes. Ein vornehmer, ernster Mensch
wird hier fühlbar. Könnte er ganz, was er will, so müßte ihm eine be-
deutende Dichtung gelingen.

Lohnt es sich, von alledem so viel Worte zu machen? Ist all dies kleinlich-
wunderliche, modern-mechanisiert-widerwärtige, vom Schicksal bezwungene
Bürgertum nicht heute schon geschichtliche Vergangenheit? Und haben
Dichtungen ^,Wert", die nicht aus allerheißestem Müssen schöpferischer Natur
herausgebrochen sind, sondern einem schließlich doch unverkennbaren, gewiß
achtungwürdigen, aber nicht eben gottgewollten Willeu entsprangen, uns edler
oder gröber, tiefer oder flacher, geistiger oder stofflicher, jedenfalls: nm uns.
zn unterhalten —? Wir beantworten die Frage nicht. Der Kritiker, der
sie bejahen wollte und sich solcherweise zum prophetischen Erzieher seiner
Mitmenschen aufwürfe, fände heute nur Weniges, wozu er.bewegten Herzens
Ia sagen dürfte. Genug, daß wir unserer Betrachtung einzelner Werke
die schwerwiegende Frage folgen ließen; die Antwort suche jeder in der
eignen Brust. Imm. ErustAnders

Knallen und Klingen

Zum Thema: Expressionismus oder Pseudo-Expresstonismus?
^^^.an wird immer noch nicht müde, die neue „Ausdruckskunst" der
/ a älteren „Eindruckskunst" gegenüberzustellen, als gäbe sie allein die
^eigentlichc „Seelenkunst". Den Worten nach haben die Neuen recht:
was sie anstreben, ist der Kern der Lrscheinungen, die Seele, der Rhythmus,
wie man's nenne. Ihre Gegner haben nicht minder recht, wenn sie sagen:
das spüren wir aber nicht aus den Bildern und Dramen und Gedichten
heraus, sie geben uns ein geringeres seelisches Erlebnis als etwa eine
Pottersche Kuh oder ein tzühnerhof von Hondecoeter. Die erregte, reklame-
hafte Gegenverteidigung der „mißverstandenen Künstler" vermag an dem
Kunsterlebnis der Aufnehmenden nichts zu ändern: das Publikum geht
an den meisten Expressionisten vorbei. Weil sie Expressionisten sind? Nein,
weil sie nur dem Namen nach welche sind. Ihre Werke sind allzuoft
nur der nervöse, unverarbeitete Augenblicksausdruck eines flüchtigen Reiz-
erlebens, und was sie vermitteln, ist dann nicht die Seele des Dargestellten,
noch die des Darstellers, sondern deren Nnrast und Verworrenheit, Heimat-
losigkeit und Verängstigung, Ungläubigkeit und Armut. Diese Künstler
haben nie in sich hineingelauscht, sind nie zur Ruhe gekommen, haben
nie sich „dem Augenblick mit grenzenloser Inbrunst ganz verschenkt", um
eine ganze reiche Welt aus ihm zurückzuholen ins eigene Herz, sie sind
nicht Menschen, die Nrkräfte in ihrer zeitlosen Allgewalt ahnen lassen.
Sie sind eher die entarteten Fortführer des Impressionismus. Was
dort Augenblicksgeste war, wird hier Zuckung und Fratze, was dort Erregt-
heit in der Flut des optischen Erlebens war, wird Hier Aufgeregtheit durch
den Wirbel der Gesichte. Sie sind dem Kino näher als der Kunst. Die
Versuche der Dadaisten, der „Merzmaler" (die mit Lappen und Geräten
ihre Bilder bekleben und benageln) sind bereits eine Absage an die Kunst,
wie sie gleichzeitig Wyneken ausspricht. Sie können die Aufgabe der
Kunst nicht mehr erfüllen: hinter der Erscheinungen Flucht Ewiges ahnen
zu lassen, deshalb schildern sie ihre Verzweiflung am Zeitlichen durch Ver-
nichtung der Form. Ihre Sehnsucht ist unerfüllbar und wird zur Fratze,
die der wahren Künstler ist unerfüllt und wird zur künstlerischen Leidenschaft.
 
Annotationen