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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1919)
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Martin, Marie: Mütter, heraus!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0292

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Mütter, heraus!

^kV^-utterangst um die gesunden Kräfte und die Iugend unseres Volkes
uns den Ruf aus dem Herzen auf die Lippen, den einst
^Hagar in der Wüste ausstieß: »Ich kann nicht zusehen des Knaben
Sterben". Dort kam unter ihrem Weinen der Engel vom Himmel und
brachte Rettung. Wir aber sehen noch keine Rettung, der Himmel ist
von donnernden und blitzenden Wetterwolken verhangen, und aus der
Tiefe grollt es stärker und stärker. Ach, deutsche Aiutter, wie kannst du
Zusehn des Volkes Sterben? Stürme mit deinem Muttergebet den Him»
mel, raffe dich auf zum Zuspringen und wasche dir die Augen klar,

daß du die Not recht sehen und durchschauen lernst. Denn es ist dir doch

jetzt Macht gegeben in deinem Volk, mitzustreiten und mitzubestimmen.

Aber du mußt dich reinigen und reinhalten von dem furchtbaren, un-

fruchtbaren Parteihader, dem endlosen Geschwätz und Protestgeschrei, mit
dem man keinen Hund hinter dem Ofen weglockt, sondern nur Zeit und
Kräfte verpufft, bis es zu spät ist. Warum sind wir so kraftlos gelühmt,
daß aus der leidenschaftlich nervös wogenden Masse keine Tatmenschen
aufstehen und die Führung an sich reißen: heraus aus dem Sumpf?
Ist denn kein Wille und keine Kraft da, uns wieder zusammen zu schließen
und der Schande ein Ende zu machen? Versagen aber die Männer, so
heißt es: Mütter, heraus! Denkt an die alten Zeiten, wo die
Germanenweiber auf der Wagenburg standen, ihre Kinder im Arm, den
verzagenden Mann zurücktrieben in den Kampf und für die Lhre ihres
Stammes zu sterben wußten. Drei Fahnen sollen uns vorausflattern.
Auf der ersten steht: „Treue zu unserm Gott." Denn wir kommen,
wie der Hirtenknabe David gegen den Riesen Goliath, nicht mit irdischen
Waffen aus. Daß wir die Religion unseren Familien und unsern Kin-
dern erhalten, daß wir sie unserm Volk vorleben: „Einer trage des
andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen". Alles eifrige
Schuldsuchen an unserm Rnglück bei andern, daß man bald diesem bald
jenem flucht und ihn als Sündenbock in die Wüste jagen möchte, was
hilft, was fördert das? Wir wollen uns die Religion erhalten, wir
wollen sie üben — aber sie soll uns kein politisches Agitiermittel sein.
Die Stunde ist da, wo der Staat sich von der Kirche trennen will. Viel-
ieicht könnte diese Trennung in der Kirche Kraft und neues Leben wecken,
nachdem viele Kreise in ihr schliefen und außerhalb ihres Schattens leben
wollten, weil ihre staatskirchlichen Formen sie ärgerten. Wie hat dieser
gewaltsame Trennungswille schon die Kirchhofsruhe und das Schema F
nufgestöbert: Geistliche, die unsre strammen Kirchenbehörden als nnbrauch-
^ar für ihr Amt entließen, weil ihr Glaube zu sehr von der kirchlichen
^ehre abwich, ruft man jetzt als lebendige religiöse Kräfte zu Beiräten
w die Kirche zurück. In den Schulen hat's ein Ende damit, daß un°
gläubige Lehrer um ihrer amtlichen Sicherheit willen gezwungen werden,
^eligionsunterricht zu erteilen, an dem ihr Herz und ihre lebendige
Seele keinen Anteil hat, als ob man Religion „lehren" könnte wie Schön-
jchreiben oder Mathematik. Nun fegt der Sturm der neuen Zeit diese
verstaubten Mißgriffe weg; daß aber der Sturm nicht die wahren Heilig-
tümer umstoße, das liegt nun in den Händen der Christen, und vor allem
tn euren Händen, ihr Mütter!
 
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