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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 3 (1. Novemberheft 1919)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0140

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Lose Blätter

Christi Eselein

Von Karl Gjellerup*

/M«^as weiße Maultier des großen Papstes Leo segnete das Zeitliche. Es

^erwachte aber sofort im Elysium, und zwar innerhalb des goldenen
Gatters, das die Hochseligen Gefilde des Pantheon von den Weide-
plätzen gewöhnlicher Sterblicher trennt. Alsbald begann es mit verklärtem
Appetit die wonnigen Asphodelen zu fressen. And sieh, wie an einem Ge-
wittertage das Ende eines Regenbogens sich über Gras und Gebüsch hin
bewegt: — also bewegte sich ein strahlender, regenbogenfarbiger Kreis
über Halme und Blumen je nach der Drehung seines Kopfes. Indessen
wunderte sich das Maultier nicht sonderlich darüber, denn es war ein kluges
Wesen und begriff sehr wohl, daß es einfach eine Glorie um den Kopf er-
halten habe, wie ihm in der Tat gebühre. Auch war es nicht mehr, als
sich ziemte, wenn alle Tiere, an denen es vorbeikam, ihm huldigten, indem
sie das eine Knie beugten.

Aber plötzlich wurde das Maultier ein graues Eselein gewahr, und dessen
Kopf und Ohren ein solcher Farbenreif strahlte, daß, mit diesem verglichen,
seine eigene Glorie nur noch wie ein Mondregenbogen erschjen. Und wo
das Eselein sich näherte, da knieten alle Tiere mit beiden Vorderbeinen.

Das hielt unser Maultier nicht aus. Wutschnaubend ging es auf das
Eselein zu und sprach:

„Was soll das heißen? Wie darfst du dich unterstehen, eine Glorie
zu tragen, welche die meine in Schatten stellt? Was sällt dir ein? von
diesen Tieren eine Huldigung zu verlangen, die noch ehrerbietiger ist als
die, welche mir zuteil wird!"

Das Lselein schüttelte die langen Ohren und antwortete: —

„Sei mir nicht böse, ich kann ja nichts dasür. Ich weiß nicht, wie iich
dazugekommen bin. Es hat mich im Anfang förmlich erschreckt, und ich
weiß noch immer nicht, was das bedeutet."

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht", wiederholte das Manltier spöttisch —
„das kann jeder sagen. Wenn mich jemand fragt, warum ich diese Glorie
trags und solche Ehrenbezeugungen genieße, dann weiß ich sehr wohl darauf
Antwort zu geben; und ich will es dir auch erzählen."

„Ia, bitte, Gestrenger!" sagte das Eselein.

„Halt's Maul und spitze deine unverschämten langen Ohren. Also, es
geschah einmal, daß von Norden her eine unzählige Herde von wilden
Pferden, die man Hunnen nannte, mit Reitern versehen — uin sich furcht--
barer zu machen — ItalieN überschwemmte und verheerte. Dieser ging
ich in meinem ganzen Staat entgegen. Auf einer purpurnen, goldgefransten
Decke trug ich des Papstes Heiligkeit, mit der dreifachen Krone geschmückt,
und vier scharlachrote Kardinäle schritten neben mir her, um mich zu bedie-
nen und die reichgestickten Zügel zu halten. Zu beiden Seiten schwange>n
die Priester Weihrauchfässer und huben Seidenbanner und Prozessions-
fahnen empor, während andere hinter mir feierliche Hymnen sangen. Das
war ein Prunk, daß ich dachte, wenn uns die Hunnenpferde gewahr wür-

* Aus dem noch nicht erschienenen neuen Buche des eben Verstorbenen „Das
heiligste Tier", das demnächst bei Quelle L Meyer in Leipzig herauskommt.

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