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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1919)
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Fischer, Eugen Kurt: Schöpferische Arbeit
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Anders, Ernst Imm.: Neuere Dramen 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0085

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Lebenskräfte des Volksganzen zur Hebung der Gesamtheit und zur Befreiung
der Einzelnen notwendig ist. Dazu aber ist auch eine Förderung des Selbst-
bewußtseins nötig, wie sie nur durch das Lösen vitaler Aufgaben möglich wer-
den kann.

Lichtwark hat der Kunstwelt wohl zuerst wieder gezeigt, was sie vergessen hatte:
daß in jedem Menschen ein Künstler steckt: die kleinen Schul-
kinder haben vor den Bildern der Kunsthalle, ganz leise nur von ihm geführt,
alle dem Kunstwerk wesentlichen Momente sehen und sogar äußern lernen. Nun
haben viele unserer Verwundeten und Kranken in den Lazaretten Handwerke
und Kunstfertigkeiten erlernt und manches reizvolle Stück geschaffen, das leben-
dig und selbständig geschaut und somit eine Schöpfertat im kleinen ist. Nnsere
Kolonisten haben den Segen verantwortungsvoller Arbeit im Kampf mit der
Aatur kennen gelernt, und viele von ihnen sind so aufrechte und klare Men-
schen geworden wie unsere tüchtigsten heimischen Bauern. Das ergäbe immerhin
drei Lichtblicke im Dunkel der mechanisierten Zeit, wahllos herausgegriffen aus
dem bunten Bündel der Bestrebungen, das Menschenlos wieder würdiger zu
gestalten durch Heimkehr zum Lebcndigen, das selber mit zu gestalten doch
erst dem Dasein die Freude aus der Tiefe gibt.

Wichtiger aber als solche sporadische Versuche, die nicht einer bsherrschenden
Idee, sondern zufälligen Bedürfnissen oder Ersordernissen entsprungen sind, ist
die Tatsache, daß die führenden Geister unserer Zeit die Lehre von der Verwirk-
lichung zum gemeinsamen Urgrund ihrer Shsteme und Dichtungen gemacht
haben. Und ihre Anreger sind meist dieselben: China, Indien; Plato, die
deutsche Mystik; Fichte, Humboldt; und über allen: Goethe. Klar wie keine
vorher erkannte unsere Zeit die Notwendigkeit alles Vorhandenen — nicht als
Zustand freilich, aber als bewegli che Kraft. Alles „Material" wird ver-
wertet. Es gibt nichts Schlechtes schlechtweg, nur Untaugliches für bestimmte
Zwecke. Aber einem Zwecke kann jedes Lebendige dienen. Dieses Lcbendige
in sich erwecken zu lehren ist die Aufgabe unserer geistigen Führer. Sie sollen
nicht Nezepte geben, wie man's macht, sie sollen fragen: wie machst Du's, Auf-
gaben stellen, die zur Lösung locken, jedem seine eigene. Und sie sollen selber
schaffen, daß Ehrfurcht vor dem Schöpferischen möglich werde bei den noch Un-
mündigen und das Mißtrauen schwinde gegen die „Schriftgelehrten".

Religion, Kunst, Wissenschaft sind ja keine Privilegien einzelner Berufs-
kasten, weil diese Kasten die Betrachtungs- und Arbeitsmethoden erfunden
haben, sie sind vielmehr eine Dreiheit von Kräften, ohne die eine schöpferische
Einstellung zum Leben nirgendwo möglich ist.

Nach dem Mitschaffen am Leben drängt's aber heute im deutschen Volk. Da
rufen Einzelpersönlichkeiten ihre „Gemeinden", Vereine, Bünde. Ob sie in
ihren einzelnen Handlungen, auch in ihren einzelnen Zielcn ganz auf richtigem
Wege sind, entscheidet nicht über ihrcn Wert, soweit er für unsere heutige Be-
trachtung in Frage kommt, da entscheidet allein die Tatsache, daß sie alle vom
bloßcn Genießertum zum Mitgestalten am seelischen Leben drängen. Der Ruf
nach dem Schöpferischen hallt von ihnen aus durch unser Volk und hallt in ihm
wieder. So kann es auch nicht verloren sein. E. K. Fischer

Neuere Dramen 2

«>arl Röttger hat schon lange eine Schar von innerlichen Anhängern,
^>die sein srommes Wesen im Tiefsten fesselt. Gleich zwei Dramen liegen
von ihm vor. Das erste heißt: „Haß oder Das versunkene Bild des Christ".
Beim ersten Lesen merkt man dem Stück an, daß darin das „Stoffliche"
völlig nebensächlich ist. Es hassen sich einige, und sie befehden sich bis
aufs Messer. Gie ganze Teilnahme des Lesers aber wird gefordert sür die
vielen Zwie- und Dreigespräche, in welchen sich die etwas blassen imd ver--
schwimmenden Gestalten über Wesen und Wert des Hasses, über äußere

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