Kunstwart und Kulturwart (33,1.1919-1920)

Wird dte Kultur wirtschaftlich bestimmt?

auch jede eigeutliche höhere Kultur ihre bestimmteu wlrtschaftlicheu
7-^^Grundlagen hat, ist eiue uns dertraute Einsicht. Vou Einigeu aber
wird das geru dahin übertriebeu, datz die höhere Kultur, Ethik, Recht,
Wissenschaft, Kunst, Religion, ein blotzer Äberbau sei, in dem sich die wirt-
lchaftlichen Verhältnisse sozusagen auf himmelblau aussprechen.

Wie steht es damit?

Wenn man vom wirtschaftlichen Boden aus sieht, so sieht mau die höhere
Kultur allerdiugs „über" sich, „im Blauen". Ferner, da alle Lrscheinungeu
des Lebens einer gegebenen Zeit miteinander irgendwie zusammenhängen,
so wird man, auf wirtschaftlichem Boden stehend, die Fäden von diesem
Boden aus hinauflaufen sehen, statt etwa von oben herab. Zudem, da alles
stets in Wechselwirkung ist, und also allerdings Wirkungen nicht nur auf
die wirtschaftlichen Berhältnisse einwirken, sondern auch von chnen aus--
Sehen, so ist dafür gesorgt, daß man. stets einige unzweifelhafte und eindeu-
tige Abhängigkeiten der anderen Lebensgebiete von diesem wird nachweiseu
tönnen, von denen aus man dairn das Ganze konstruieren kann.

Solche Versuche sind auch, wenn von Menschen unternommen, die wirk-
iich zn sehen verstehen, stets förderlich für den, welcher den Reichtum des
Lebens von mancherlei Seiten zu sehen gewohnt ist. Man versteht das
^anze besser in seiner Rundheit und Plastizität, und da ein jeder Mensch
aus denselben Fäden gewoben ist, wie das Ganze, so lernt man auf diese
Weise auch sich selbst besser kennen. Schlimm geht es dabei nur denen,
welche geistig zu arm sind, als datz sie mehr als eine Ansicht vom Ganzen
in sich beherbergen könnten, und die es für Energie halten, wenn sie nun
nach dieser einen für sie neuen Ansicht alle andern zurechtstutzen. Line Tä-
tigkeit, die in Wahrheit, mit je mehr Energie sie betrieben wird, desto mehr
nnnützen Energieverbrauch bedeutet.

^ Dczemberheft idl9 (XXXIII, s)