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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 4 (2. Novemberheft 1919)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0205

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Lose Blätter

Gedichte von M. Solitaire

Ausgewählt von Theodor Storm

war Solitaire? Ein Mann, der im bürgerlichen Leben Woldemar
P HNürnberger hieß, am s. Oktober s8i8 zu Sorau in der Niederlausitz
geboren war, Medizin studiert und einige Reisen gemacht hatte, dann
Arzt geworden war und als solcher am i?. April s869 Zu Landsberg an der
Warthe gestorben ist. Wer weiß noch von ihm, wer liest die Gedichte, die als
„Bilder der Nacht" neben ein paar andern Dichtungen bei Vogler L Klein in
Landsberg erschienen sind, wer spricht noch von ihm? Auch die Bemühungen,
ihn bekannt zu machen, die ich meinerseits bereits mit meiner ersten Antho--
logie etwa um s880 begann, haben ihm in weiterem Kreise keine Wieder--
belebung derschafft. Möge das Totenfest dieser düstersten Zeit einmal diesem
düstersten unsrer Poeten lauschen lassen! Es ist kein Geringerer als Storm
mit größter Wärme für Solitaire eingetreten. „Ich möchte Alle, die das
Faustische Element nicht nur als Stoff, sondern auch als Faktor der Dich--
tung gelten lassen — und es gehört doch wohl zum vollen Menschenleben und
kann daher auch in der Lyrik seinen Platz beanspruchen —, auf die so wenig be-
kannten „Bilder der Nacht" hinweisen. Es dürfte unter den deutschen Dich-
tern kaum einen zweiten geben, in welchem es mit so ergreifender Innerlich-
keit und in so lebensvollen, farbensatten, wenn auch vow düsterer Glut be-
strahlten Gebilden zur Erscheinung gekommen wäre. Mag man immerhin
die Anschauungen und den oft schneidenden Pessimismus des Dichters nicht
teilen, jedenfalls wird man zugeben müssen, daß die Fackel seiner Poesie
von der alltäglichen Oberfläche in Tiesen und Abgründe der Menschenbrust
und des Menschenlebens hinableuchtet, vor denen ein ernster Mensch die
Augen nicht verschließen soll. Daß wir es hier außerdem mit einem Dichter
von einer ungewöhnlich kräftigen Eigenart zu tun haben, werden schon die
mitgeteilten Proben beurkunden. Das sind-nicht Worte von mir, es sind
Worte eben Theodor Storms. Nnd von Storm selbst ist auch die Aus-
wahl zusammengestellt, die ich in folgendem aus Solitaires Dichtungen gebe.

Um LNitternacht

ie fiichl ich mich in vollster Iugenötrast
In öieser cheimlich stillen winternacht;
ksoch xulst öes Nerzcirs öunller Glutensaft,
Durch öas Geäder rvirkt öer Geister Macht.

w

Lin Schloß zu bairn, unö sei's auch nur von Luft,
Lin stolzes Schlotz süchl ich mich küchn genug,

Unö unabscchbar sxinnt ein goldner Duft
Sich um öcs Seins verfüchrerischen Trug.

Trümmerbilö

HHH ie chimmelchoch öer Monö unö flaminenrot
^^^ksinwallet ob öer wilö zerrissnen Trüminer,
Regt sich in ichr ein lsauch wie lvech unö Toö:

Lin Stein löst sich, es klingt wie bang Gewimmer,
 
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