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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0272

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Kunst und hohenr Gedankenflug ich
Achtnng habe. Aber die Gefahr des
Berdachtes hat er selbst heraufbeschwo-
ren. And ich weiß, daß auch mancher
seiner Bluts- und Glaubensgenossen es
mit nür als einen Mangcl an fei-
nerem Takt enrpfindet, daß dies Stück,
in dem sich wohl eine stolze, aufrechte
Leidbereitschaft strafft, aber auch eine
hochmütige, auf seine verbriefte und
beschworene Grwählthcit pochende Äber-
legenheit fchwingt, gerade in diesem
Augenblick hervortretcn mußte. Wir
werden uns auch jetzt der gerechten
Verpflichtung nicht entziehen, das Werk
als die starke, innige und hochstrebende
Schöpfung eines Dichters von nicht
alltäglicher, von sabbatlicher Begabung
anzuerkennen, aber unter die Schranke,
die es mit eigner Hand zwischen sich
und uns aufrichtet, wird unsre Demut
sich nicht bcugen . . .

Zum drittenmal in kurzer Zeit be-
gegnet uns Rolf Lauckner auf Ber-
liner Bühnen. Zunächst wagte sich nur
das „Iunge Deutschland" in eincr Ver-
einsvorstellung an ihn heran, dann ver-
suchte es das Lessingtheater vor sei-
nen literarisch geschulten Hörern mit
der „Tante Christa", und jetzt traut
ihm schon die Volksbühne dramatischen
Atem genug zu, um ihr großes Haus
und ihr vielfältig zusammengesetztes
Publikum zu behcrrschen. Freilich ist
die „Pnedigt in Litauen" der
volkstümlichste und zugleich bewcgteste
Stoff, den Lauckner bisher ergriffen
hat. Ein auf den verführerischen Stra-
ßen der großen Wclt irregegangencr
Sohn kommt ins Vaterhaus zurück,
verliert sich äber, von keiner starken
Hand, von keincr vcrstehenden Liebe
gehalten, in der engen, unfrcien Äm-
gebung dieses litauischen Pfarrhauses
von neuem an sinnliche Ausschwcifun-
gen und religiöse Sektiercrei und zieht
uüt seinem Fall nicht bloß ein klcines
Landkind, das sein unschuldiges Herz
un ihn gehängt hat, sondern auch seinen
glaubens- und pflichtstrengen Vatcr mit
rn den Tod. Das Gleichnis vom ver-
lorenen Sohne wird hier fortgesetzt,
nm seinen tragischcn Stachcl gegen die
Vrust des Vaters zu kehren, dcr wohl
öu vergeben, nicht aber die kranke
Pflanze wieder aufzurichten und ge°
sund zu pslegen vermag. Doch das ist

nur die eine Hälfte der Tragödie. Die
andre spielt sich zwischen dem Pfarrer
und seiner Gemeinde, dem landftemden
Hirten und den ihm anvertrauten, noch
zwischen Heidentum und Christentum
bangenden Seelen ab. So gütig und
echt menschlich dieser aus Schlesien ein-
gewanderte Pfarrer im Innern auch
ist, von außen umgibt ihn eine harte
Schale eifernder Selbstgerechtigkeit und
dogmatischer Starrheit, die ihm den
Weg zu den Herzen seiner Gemeinde-
mitglieder versperrt. Auch verschmäht
er die Mühe, ihre ftemdartigen Sitten
und Bräuche zu verstehen, ihren La-
stern und Irrwegen mit liebevollem
Lrbarmen nachzugehen. Statt sie also
zu sich zu ziehen, stößt er sie — und
mit ihnen seinen Sohn — nur immer
tiefer und weiter von sich. Der Dich-
ter, der auch hier wieder mit seiner
Technik nur lose verbundener Bilder
arbeitet, hat für die dramatische Ent-
wicklung dieses Kampfes zwischen Pfar-
rer und Gemeinde mehr getan als für
das Verhältnis zwischen Vater und
Sohn. Wir sehen kaum etwas von den
Bemühungen des Alten, den „Wieder-
gefundenen", seinen Einzigen, einem
neuen Leben zurückzugewinnen. So
kommt es, daß uns der gewalttätige
Zusammenstoß der beiden, der nicht,
wie bei Hasenclever, den Vater nie-
derstreckt, sondern den Sohn durch eigne
Hand fallen läßt, mehr überrumpelt
und erschreckt als bezwingt und crschüt-
tert. Aberhaupt wachsen diesem Dich-
ter die besten Früchte am Rande des
Gartens, nicht auf den Kernbeeten, und
vieles davon weiß er nicht zu ernten.
Wenigstens nicht als Drcnnatiker. Ge-
rade die beiden feinsten und tiefsten
Szenen des Stückes, das Beieinander
des Pastors mit seiner alten Schwe-
ster — seine Frau hat er längst be-
graben, und so ist sein Sohn muttcrlos
aufgewachsen -ch und seine halb väter-
liche, halb kameradschaftliche Aus-
sprache mit der kleinen Anyta, der bei
aller Not des Herzens das Geständnis
ihrer Liebe nicht über die Lippen will,
sind nur lose mit dem eigentlichen dra-
matischen Thema verbunden. Auch die
lebenstrotzenden Gestalten, die Lauck-
ner, offenbar mit Hilfe litauischer Hei-
matserinnerungen, in dem bodenständi-
gen sclbstzufriedenen Pfarrer Katluhn,

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