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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1919)
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Liebscher, Artur: Vom Volkslied der Flamen
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0299

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züglichen Eingriffe, die wir hier nicht näher erläuterrr körrnen, ganz geschickt
und hat jedenfalls ein Ergebnis erzielt, das dern Laien einen guten Begriff
vom Wesen der alten Lieder gibt. Dre Historiker werden ihm jedoch erbittert«
Vorwürfe schwerlich ersparen. Ein Streit über solche grundsätzlich unent»
scheidbare Flille ist unseres Erachtens nicht angebracht. Das Gefühl, aus dem
heraus Friedenthal handelt, ist genau dasselbe, das das Volk, dem die Ge-
sänge angeboten werden, in noch weit ausgeprägterem Maße besitzt. WaS
kümmert sich dieses nm eine Gestalt, die — sie mag hundertfach mit geschicht-
lichen Erwägungen gestützt und noch so treu sein — gegen sein Empfinden
geht! Es lehnt sie einfach ab und läßt sich durch keine Aberredungskunst zu
ihrer Annahme bewegen. Gewiß hätte eine nur den Standpunkt des Musik--
geschichtlers berücksichtigende Abertragung ihren Wert. Aber sie würde ihren
Zweck in dcn Regalen der Bibliotheken und in den Bücherschränken der Ge-
lehrten erfüllen, ohne etwas zur Wiederbelebung der Weisen beizutragen,
und wer sich der Wissenschaft nicht gerade mit Haut urrd Haar verschrieben
hat, der wird sich bei der Wahl zwischen totem und lebendigcm Volksliede wohl
immer für das letztere entscheiden. Es bleibt ohnehin den Gesängen auch in
der Friedenthalschen Form noch rnancherlei, was als Recht einer Zeit, die
musikalisch anders fühlte als die unsrige, mit in Kauf genommen werden muß.
So wäre es mitunter nicht schwer gewesen, den Zusammenfall von betonter
Silbe und unbetonter Note zu umgehen, wenn Friedenthal etwas weniger
Wert auf die möglichst getreue Nachbildung der äußeren Textform bei der
Abersetzung gelegt hätte. —Leider beschränkt sich die Mitteilung der balladen-
haften Gesänge oft auf wenige Strophen. Dadurch wird mancher Zug in dem
Bilde unterdrückt, das uns so anschaulich und lebensvoll aus der Sammlung
entgegentritt. Ein Stück Kultur wird wieder lebendig. Die Geusen singen
ihre Kampflieder. Wir hören den Spottgesang, mit dem die wütende Menge
das Denkmal vom Sockel stürzt, das sich Alba auf dem Antwerpener Kastell
errichtet hatte, fühlen allenthalben den Haß gegen das „Spanische Gezücht",
verfolgen aber ebenso im Liede alles das, was abseits von der Politik die
Flamen sonst noch innerlich berührte. Da klagen die verlassenen Mädchen,
wenn ihre Fischer monatelang zum Fang in Islands Gewässern unterwegs
sind, da singen die Schnitter, da wird der Maibaum aufgerichtet, da trennt
der Wächter beim Morgengrauen die unbesorgten Liebespaare. Die Not der
Mieselsucht klingt im Liede wrder, die Kreuzritter tauchen auf usw. Das alles
ist als kulturhistorisches Zeugnis so wertvoll, daß man nur sehr ungern die
kurzen Textskizzen des Begleitheftes für die unterschlagenen Strophen gelten
läßt. Denn ein Volkslied, das nicht gesungen werden kann, hat seinen Zweck
verfehlt. Trotzdem bleibt der reichhaltigen Sammlung immer noch ihr Wert
als Aberblick über das volkstümliche Liedschaffen eines Bruderstammes vorr
einer Vollständigkcit, wie uns bisher noch keiner geschenkt wurde, und wen»
nur ein Bruchteil davon den Weg aus den Hesten ins Freie und ins deutsche
Haus fände, so könnte eine recht willkommene Bereicherung unsrer Musikpflege
von ihr ausgehen. Artur Liebscher

Lose Blätter

Friedens-Stimmen

^V^^üssen wir uns nicht jetzt schon gelegentlich darauf besinnen, wie
/ ß^unsre Sttmmung bei Kriegsausbruch war, wie während der verschie-
^denen Phasen desKrieges, wie vor demAngebote des Waffenstill-
standes, ja, wie noch bei der Itnterzeichnung dieses sogenannten Friedens-
Verttages wir selber dachten und fühlten? Es sind Aussttahlungen von
 
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