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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1919)
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Liebscher, Artur: Vom Volkslied der Flamen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0298

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Not dem unterdrückten Valke den liederreichen Mund schloß unü es nach und
nach bis auf wenige Reste vergessen ließ, was vor vierhundert Iahren überall
im Flamenlande erklungen war. Zwar haben vereinzelte Gelehrte die in
den handschriftlichen Liedersammlungen erhaltenen Spuren zurückzuverfolgen
versucht. Aber bis zum eigentlichen Volksgesange selbst fanden sie den Weg
doch nicht, denn was überliefert worden war, bestand ja mit ganz verschwin-
denden Ausnahmen nur in Lexten, die wohl literarisch interessieren, aber
kein Bild von der musikalischen Krast geben konnten, die sie einst belebt hatte.
Diese konnten wir höchstens aus den von Eduard Kremser bearbeiteten so°
genannten Niederländischen Volksliedern ahnen, von denen das Dankgebet
»Wir treten zum Beten" in wenigen Iahren beinahe zu einem deutschen
Volksliede der Gegenwart geworden ist. Aber es entstammt immerhin nur der
Spätzeit des flämischen Volksgesanges. Was die beiden voraufgehenden Iahr-
hunderte an musikalischem Allgemeingut besessen hatten, ließ sich nur ver-
rnuten, bis vor kurzem Albert Friedenthal unter dem Titel „Das flämische
Nolkslied" in zwölf Heften die Ergebnisse einer umfangreichen Forscher-
und Bearbeitertätigkeit vorlegte*, die völlig zureichen, um uns einen Be°
griff von Reichtum und Schönheit der verklungenen Liederzeit des Flamen-
volkes zu geben.

Ob die Form, in der uns Friedenthal die Gesänge überreicht, nun wirklich
Note für Note mit der ursprünglichen Gestalt übereinstimmt oder nicht, bleibt
unter den besonderen hier in Frage kommenden Umständen ohne Belang.
Nuf jeden Fall ist der Lharakter streng gewahrt, und ohne kleine Zugeständ--
visse an unser heutiges Musikempfinden konnte es nicht abgehen, wenn diese
Zeugnisse einer von der gegenwärtigen stark abweichenden Musikkultur wirklich
Zu neuem Leben erwachen und nicht bloß in einen neuen, schönen Sarg ge°
iegt werden sollten. Manches von dem, was nach Friedenthals Meinung
vötig war, wird der Musikhistoriker von seinem Standpunkte aus wahrschein-
iich nicht gutheißen. Es ist eben zweierlei, ob solche Stücke bis aufs Kleinste
genau in der ursprünglichen Gestalt wieder hergestellt, oder ob sie einigermaßen
dein durchaus veränderten Formempfinden der Gegenwart annehmbar gemacht
v>erden sollen. Friedenthal möchte beides zugleich, ist aber über die Zwie-
spältigkeit seines Unternehmens nur hinweggekommen, indem er in Zwcifels--
lällen immer den Wunsch des Gelehrten hinter die Forderung des Volksempfin-
dens zurücktreten ließ. Trotzdem steckt auch ein tüchtiges Stück wisscnschaft»
licher Arbeit in den zwölf Heften.

Wie in Deutschland hat man auch in den Niederlanden im Mittelalter
geistlichen Lexten weltliche Melodien untergelegt; durch einen glücklichen Zu-
lall ist uns nun ein solches Psalmenbuch erhalten, das über seinen f50 Psalmen
vicht bloß die Melodien angibt, sondern auch die Anfänge der weltlichen Lieder
uennt, denen diese ursprünglich angehörten. So brauchten in den erhaltenen
Sammlungen nur noch die bezeichneten Wortlaute aufgesucht und mit den
Psalmenweisen vereinigt zu werden, wenn man die Volkslieder wieder nach
Wort und Ton besitzen wollte. Freilich, in der Verbindung mit den Psalmen
v>aren die Weisen oft der größeren oder kleineren Silbenzahl angepaßt worden,
und es bedurfte des Spürsinnes, um aus der veränderten Form den richtigen
Kern herauszuschälen. Dies ist Friedenthal gelungen. Schwerere Eingriffe
vat er für notwendig gehalten, als es galt, die Mensuralnotierungen in die
hentige Notenschrift zu übertragen. Er begründet diese auf die Rhythmik be°

, * Verlag N. Simrock in Berlin: ^ Hefte Balladen und Liebeslieder für
suittlere Stimme und Klavier (je 2,50 M.), je ein Heft Lieder für Baß oder
Nariton mit Klavier (3 M.), Zwiegesänge mit Klavier (5 M.), Kinderlieder.
Neigen und Gesellschaftslieder mit Klavier (2,50 M.), Chorlieder mit und
vhne Begleitung für Frauenchor ((,50 M.), für Männerchor (2 M.)> für ge-
Ulischten Chor (3 M.), Tänze und Tanzlieder für Klavier (2,50 M.) und ein
«eleftheft.

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