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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1919)
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Anders, Ernst Imm.: Neuere Dramen 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0026

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Drama". Aber leider ist es eben keine „Lyrik", welche diese Wechselreden
füllt, sondern ein Gemisch von Reflexionen, schwerfälligen, oft unnatürlichen
Ergüssen, Auseinandersetzungen, Erklärungen. Das hängt nun freilich mit
Thema und Absicht der Dichtung wohl unauslöslich zusammen. Das Thema
heißt: Treue und Amtreue. Die Absicht ist: Lob der Treue. Nicht nur Man-
nentreue, Worttreue, auch innerstes sich-Suchen, sich-treu-Bleiben, sich-Be-
haupten unter Opsern und Bitterkeiten, Verinnerlichnng, Absage an die
„Welt". Leider ist der Gegensatz veräußerlicht dadurch, daß Treue als deutsche
gegen Untreue als römische Eigenschast vorgeführt wird. Und leider ist die
Durchsührung der Absicht ins Lehrhafte ausgeglitten. Das Thema wird
mehr noch diskutiert als gestaltet, die Absicht weit mehr ausgesprochen als
zwingend dramatisiert. Der Germanist überwuchert den Dichter. Er bedient
sich einer teils end-, teils stabgereimten, sehr klangvollen, biegsamen, reichen,
aber auch peinlich deutschtümelnden Sprache, in der nicht nur die bekannten
Worte unnaiver Altertümler, wie jach, schier, Frau Saelde, Odem usw. her-
umspuken, sondern auch im Gesamtgefüge viel Absichtlichkeit merkbar wird.
Eine starke sittliche Wirkung auf ästhetisch anspruchlose Gemüter wird dennoch
eintreten. Daß inneres Lrschauern eines Ganzen, einer nur dieser Dichtuug
gehörenden Gestaltsnwelt in dem Sibich-Drama steckt und damit eine Vor-
bedingung tieferer, ungewöhnlicher dichterischer Wirkung, steht außer Zweifel.

Man lese einmal danach H. v. Boettichers „Friedrich" (S. Fischer,
Berlin), um zu sehen, wie eine Dichtung ohne solches Aufsaugen und inneres
Umgestalten des Stoffes aussieht. Die Schicksale Friedrichs sind voll von
Spannung und Gegensätzen. Es hat schon viele Poeten gereizt, aus seinem
Leben etwas zu „machen". Boetticher umgreift nun gar dieses ganze Leben,
von der kronpriuzlichen Iugend bis ins hohe Greiseualter. Was dabei heraus-
kommt ist eine biographische Bilderserie mit „rotem Faden". Wäre diese Bil-
derreihe nicht so geschimackvoll wie geistreich, so sollte hier kein Wort an sie
verwendet werden. Sie ist in ihrer grüblerischen, Geschichtlichss klug deu-
tenden und pointierenden Art lefenswert. Der rote Faden — Fluch und
Sendung des Gekrönten — ist dabei ganz unwichtig. Auch daß einige
Szenen leer bleiben, stört nicht zu sehr. Der starke Klang eines unvergäng-
lichen Menschenalters der Weltgeschichte, der immerhin im Ganzen widerhallt,
deckt dies alles. Nur, mit dem Anspruch: Dichtung zu finden nehme man
das Buch uicht zur Hand. Es erschüttert, weil es Friedrich ist, dessen Welt
und Wesen hineinragt, aber Boetticher erscheint nur als Auswähler, Zu-
rechtrücker, Zuspitzer des Gegebenen.

Im Gewande der Reclam-Bändchen begegnet uns ein Werk, das vor
bald zwanzig Iahren schon die Bühne sah: Kurt Geuckes „Sebastian".
Wie kam es wohl, daß dies so ganz verschwand? Groß gedacht, energisch
durchgeführt, farbenreich, spannend, gedankenvoll, durchaus in lebhafte, be-
WLgte, zuletzt in erschütternde Auftritte gebracht, ein Thema, das außer
Geucke nur Ibsen lebendig zu gestalten vermochte: Iuneres gegen äußeres
Herrscher- und Führertum, Geborenheit wider Ererbtheit, aber aus dem
Konflikt des alten Geborenen mit den Trägern nichtiger Nur-Aberlieferung
herauswachsend die sürchtevliche Tragödie dessen, der an der Zähigkeit der
Welt scheitert und sie nur innerlich überwindet; das Ganze in einer an-
schaulichen, „handgearbeiteten" Sprache. . . hier erst stock' ich: diese Sprache
erinnert wirklich mehr an die durchdachte Arbeit des Handwerkers als an
den süßen Fluß des ganz intuitiven Geschaffenen, sie erinnert zugleich an
manches, was wir alle lasen, an Shakespeare, an eine schwer definierbareFülle
 
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