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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1919)
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Feld, Wilhelm: Bildende Kunst und Arbeiterschaft: Ketzerische Gedanken eines Laien
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0253

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zu Mensch, wie Liebe, Freundschaft, Haß, eigner Erfolg, Anerkennung oder
Niederlage, Freude oder Kummer an unsern Angehörigen. Nnd dann
die starken Eindrücke der Natur: ein Frühlingstag in ländlicher Blüten--
pracht, eine Mondnacht, wo aus dunklen Büschen die Nachtigallen schlugen,
eine Wanderung im Gebirge in erhabener Einsamkeit, wo „die Steine
redeten". Oder vielleicht auch nur eine kurze Rast am schattigen Wegrande
an einem Hochsommermittage. Solches starke unmittelbare Erleben ist es»
was wir letzten Endes — wenn wir uns klar werden über unsere Ab-
sichten — den Arbeitern* durch die Kunst nahebringen wollen. Die Kunst
soll uns hier eigentlich nur dazu dienen, die Arbeiterseele überhaupt
zu weiten, ihr ein erhöhtes Lebensgefühl zu verschaffen, sie allgemein
menschliche außerkünstlerische Werte zunächst einmal ahnen zu lassen. Die
Kunst ist dabei nur Mittel zum Zweck. Ist sie aber das einzige Mittel zu
diesem Zweck? Oder auch nur das tauglichste? Wir sehen, daß die im
engeren und eigentlichen Sinne kunsterzieherischen Aufgaben doch nur
eine bescheidene Rolle in unserer sozialen Arbeit spielen dürfen.

Zweifellos sind die Genüsse, die wir dem Arbeiter durch die Kunst
vermitteln wollen, edelster Art. Aber wenn sie in gleicher oder doch
ähnlicher Weise, meist sogar noch stärker und unmittelbarer auf anderen
Wegen erlebt werden können — lohnt es sich dann überhaupt, so viel Arbeit
auf die K u n st erziehung des Volkes zu verwenden? Müssen wir dann
nicht unsere Kunstkraft darauf richten, die Hindernisse wegzuräumen, die
sich dem unmittelbaren Erleben jener edelsten seelischen Werte im
täglichen Leben und im Gemüte des einzelnen entgegenstellen! Sollten
wir dann nicht lieber versuchen, dem Arbeiter seine äußeren Verhältnisse
so zu gestalten, daß er menschenwürdiger, sorgenfreier, in behaglicher Am-
gebung leben kann; daß nicht das öde Einerlei der Berufsarbeit, der Ent-
behrungen und Kümmernisse des täglichen Lebens und das graue Elend
der Mietskasernen seine geistige und seelische Spannkraft lähmen?
Sollten wir nicht vor allem der Arbeiter j u g e n d helfen, daß sie eine
wirkliche Iugend hat, daß die zarten Keime ihrer Seele aufblühen können
und ihre Anlagen überhaupt sich zu entwickeln vermögen?

Die Kunst ist ein sehr edles Spiel. Ich wäre der letzte, das Spiel
aus dem Leben zu vertreiben. Der Mensch lebt nicht, um zu arbeiten
oder um zu Macht zu kommen, sondern wir sollen nur arbeiten, um
zu leben. Ich bin überzeugt, das es eine der dringendsten Kultur-
aufgaben der nächsten Iahre gerade in Deutschland sein muß, dieser Ge-
sinnung wieder Geltung zu verschaffen und der Arbeit gegenüber das
edle Spiel, die Freude am Leben und seinen Werken zu betonen. Auch
für uns Erwachsene. Aber schließlich sind wir doch wohl alle einig darin:
noch höher als das edelste Spiel uud also auch als die Kunst steht die leben-
dige Entfaltung der sittlichen Persönlichkeit.** Wilhelm Feld

* Den Arbeitern! Diese Beschränknng wnrde von meincn Kritikern völlig über-
sehen. Man eiferte gegen mich, als ob ich eine allgemeine Theorie des künst-
lerischen Genusfes hätte aufstellen wollen. Ich möchte deshalb auch künftige
Kritiker bitten, die besondere Problemstellung, von der ich ausgehe, gebührend
zu beachten. Verf.

** Wie wir selber zu diesen Gedanken stehen, das werden weitere Aufsätze
zeigen, soweit es nicht schon aus früheren hervorgeht. K.-L.

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