Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 2.1888

DOI article:
Gussow, Carl: Austernmädchen
DOI article:
Rotta, Antonio: Das verzogene Kind
DOI article:
Siemiradzky, Henry: Christus bei Maria und Martha
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47974#0088

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
30

MODERNE KUNST.

bemüht — ein drolliger naturwahrer Vorwurf, der durch die scharfe Cha-
rakteristik der Personen interessant wird. Gleich lebenswahr, gleich uner-
bittlich in der Wiedergabe der Wirklichkeit ist der alte Mann auf dem
„Blumenfreunde“, der seine Blumentöpfe auf dem Fensterbrett besichtigt.
Das kupferfarbene Antlitz des Alten flösste mancher ästhetischen Seele
Entsetzen ein — und die Kritik sprach von Uebertreibung, von „Bildern,
die eines jeden Hauches von Schönheit baar sind“. Die geniale koloristische
Behandlung konnte jedoch von Niemand abgeleugnet werden. Einen
elegischen Ton schlug das Bild „Verlorenes Glück“ an, welches eine trauernde
junge Wittwe mit ihrem unbefangen in das Leben hineinlachenden Kinde
darstellt. — Ein weiteres Bild jener ersten Zeit, die „VenusWäscherin“, ist
unseren Lesern bereits aus dem ersten Jahrgange der „Modernen Kunst“
bekannt geworden. Die Darstellung der alten runzligen Frau, welche die
Gipsstatue der Venus von Milo reinigt, ist von recht wirksamer Komik.
Auf den Ausstellungen der jüngsten Jahre ist Gussow hauptsächlich
durch Porträts vertreten gewesen. Seine Leistungen errangen sich vollste
Beachtung selbst neben den Bildnissen Gustav Richter’s, der, obgleich schon
schwer leidend, noch 1883, im vorletzten Jahre seines Lebens, ein Meisterwerk,
wie das Bildniss der Gräfin Dönhoff - Seydewitz, schuf. Damals — es war
jene Berliner Ausstellung, welche in dem Neubau des Polytechnikums zu
Charlottenburg ihren Sitz aufschlagen musste — stellte Gussow zwei Porträts,
das Bildniss einer Dame in schwarzem Atlaskleide und das Brustbild einer
einen Strauss in der Hand haltenden jungen Dame, sowie das entzückende
Gemälde „Austernmädchen“ aus, das die vorliegende Lieferung in meister-
hafter Nachbildung wiedergiebt. In diesem Bilde hat Gussow gezeigt, dass
er spielend die schwierigsten koloristischen Probleme überwinden kann. Wohl
niemals ist die plastische Loslösung einer hellgekleideten, vollbeleuchteten
Gestalt von ebenfalls lichtem Hintergründe in so vollendeter Weise durch-
geführt worden. Das Bild stellt ein junges röthlich - blondes Mädchen mit
dunkelgrünem Kopftuch, hellchokoladenfarbenem Kragen und grauem Kleide
dar, das eine Schüssel mit Austern nebst Citronen auf dem Arme hält.
Diese anmuthige Person hebt sich nun mit wunderbarer Schärfe von dem
leicht lila angehauchten Hintergründe ab; das lichte Kleid und das hell-
gefleckte Brusttuch schimmern in wunderbarem Glanze, und die Klarheit
des wirklichen Fleischtons zwingt zur wärmsten Bewunderung. Frühlings-
sonne und Meeresluft athmet dieses Bild, das sowohl durch die keusche
Anmuth des Dargestellten, als durch die vollendete Darstellung das Herz
des Beschauers gefangen nimmt.
Auch bei den weiblichen Bildnissen Gussow’s ist es neben dem Rea-
lismus der Darstellung jener undefinirbare Zauber der Leuchtkraft, des
Farbenschmelzes, der zugleich frappirt und entzückt. Der Künstler gebietet
über eine Technik, die jeden Eindruck in so vollendeter Weise wiedergiebt,
dass dadurch die grösste Lebenswahrheit erzielt wird. Nicht das Geringste
entgeht dem Auge des Künstlers, alles Beiwerk ist mit der grössten Sorg-
falt und doch mit einer erstaunlichen Leichtigkeit behandelt. In der Dar-
stellung der Gewandstoffe, des Atlas, des Schmelzbesatzes, des Pelzwerkes,
der Federn triumphirt sein Pinsel; es ist kaum denkbar, dass die Nach-
ahmung der Wirklichkeit in vollkommenerer Weise erzielt werden kann.
Trotz des Ansturmes vieler junger Talente darf man behaupten, dass Gussow
noch auf Jahre hinaus den Ruf, der hervorragendste Berliner Porträtmaler
zu sein, behaupten wird.

L.
DAS VERZOGENE KIND
VON
ANTONIO ROTTA.

Ueber Antonio Rotta, den liebenswürdigen Schilderer des Kinder- und
Volkslebens, haben wir bereits mehrfach berichtet; wir begnügen uns
daher diesmal mit einem Hinweise auf das früher Gesagte.

LI.
CHRISTUS BEI MARIA
UND MARTHA

VON


HENRY SIEMIRADZKY.
on den russischen Künstlern der Gegenwart sind nur wenige
dem deutschen Publikum näher bekannt geworden. Die
Zahl der slawischen Maler, welche die Ausstellungen regel-
mässig beschicken, ist eine sehr geringe, wenn man von
denjenigen absieht, welche durch ihren Studiengang und
ihren Aufenthalt in Deutschland bei uns Bürgerrecht er-
worben haben. Julius von Klever, der Deutschrusse,
Aiwasowski, Wereschtschagin und Henry Siemiradzky
sind die bekanntesten Namen aus der stattlichen Schaar
von Künstlern, welche das heutige Russland zählt. Ersterer
ist ein ständiger, stets gern gesehener Gast unserer Aus-
stellungen, die beiden anderen National-Russen haben wir
aus Sonderausstellungen kennen gelernt, und der in Rom

lebende Pole Siemiradzky zählt zu jenen europäischen Maler-Berühmtheiten,

deren Thätigkeit unter der Kontrolle der Tageschronisten steht, so dass

der Zeitungsleser ihn kennen lernt, selbst wenn er keine Ausstellungen und
keine Gemäldesalons besucht. Eine seiner jüngsten Schöpfungen kennen zu
lernen, bot die Berliner Jubiläums-Kunstausstellung des Jahres 1886 Gelegen-
heit, auf der, wie es im Charakter dieser Veranstaltung lag, die russische
Malerei durch zahlreichere Einsendung repräsentirt war, als es sonst der Fall

zu sein pflegt. Das von Siemiradzky ausgestellte Gemälde „Christus bei
Maria und Martha“ giebt unser Holzschnitt in trefflicher Weise wieder.
Die von dem Künstler in seinem Bilde vertretene Auffassung weicht von
den zahlreichen früheren Arbeiten, welche diesen Vorwurf behandeln, in

augenfälliger Weise ab. Er hat es unternommen, die Gestalt des Heilands
und die Figuren der ihn umgebenden Personen in realistischer Weise, unter
Betonung der durch das Spiel der Lichter und Schatten in freier Luft auf
Personen und Gegenständen erzeugten Effekte, zur Darstellung zu bringen —
ein Wagniss, das die ältere idealistische Kunst als Profanation verurtheilt
hätte. Die Scene spielt sich im Freien vor dem Hause des Lazarus ab.
Christus sitzt auf einer kleinen Steinmauer, welche den Garten einschliesst;
zu seinen Füssen befindet sich Maria, die andächtig den Worten des edlen
Gastes lauscht, während die andere Schwester, die für Trank und Speise
sorgende Martha, ein Gefäss am Arme tragend, durch einen von wildem
Wein überrankten Gang schreitet. Die Gestalt des Heilands ist eine wür-
dige, wenn auch keineswegs ideal gehalten; in dieser Darstellung erblicken
wir das Bestreben Siemiradzky’s, in derselben Weise wie Munkaczy, bei der
Behandlung biblischer Scenen dieselben auf dem wirklichen natürlichen
Fleimathboden Palästina sich abspielen zu lassen und in den Menschen, die
geschildert werden, die Bewohner in ihrer äusseren Erscheinung so wieder-
zugeben, wie sie zu Christi Zeit gewesen sein dürften. Vortrefflich ist die
Charakteristik des Gegensatzes zwischen der die Worte des Heilands in-
brünstig in sich aufnehmenden Maria und der wirthschaftlichen Schwester.

Die Darstellung der sonnenbeglänzten Landschaft ist von grossem Reiz ; die
durch das Rebendach dringenden Sonnenstrahlen geben prächtige Lichter
auf den Gewändern der im Vordergründe befindlichen Personen und auf
dem weissen Boden. Das im heissen Sonnenlichte flimmernde weisse Haus

und die anmuthige Landschaft füllen den Hintergrund aus.
Henry Siemiradzky ist der Spross einer alten polnischen Adelsfamilie,
der am 15. November 1843 *n Charkow geborene Sohn des Generals
Hippolyt Siemiradzky. Nach Beendigung der Schulzeit studirte er in seiner
Vaterstadt Naturwissenschaften, gab jedoch bald dieses Studium auf, um sich
der Kunst zu widmen. Er besuchte die Akademie der Künste in St. Peters-

burg, ging 1870 auf Reisen, welche ihn durch Frankreich und Deutschland
führten, und blieb schliesslich in München, wo er in die Piloty-Schule ein-
trat. Später ging er nach Italien und liess sich dauernd in Rom nieder.
Seine Villa an einer der neuen Strassen hinter der Piazza dell’ Indipendenza
ist ein vornehmes und originelles Künstlerheim. Von den Terrassen aus über-
schaut man die Campagna, von der anderen Seite des Daches die Stadt
 
Annotationen