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ADOLF FEULNER / DIE FARBE IN DER RAUMKUNST
DER VER GANGENHEIT
Ein soeben erschienener Band der „Bauformen-Bibliothek" bringt unter dem Titel „Farbige Raumkunst der Ver-
gangenheit" zum ersten Male Räume vom Barock bis zum beginnenden 19. Jahrhundert farbig zur Darstellung nach
Ölbildern und Aquarellen bedeutender lebender Künstler. Eine Probe zeigt die gegeniiberstehende Tafel. Der Einleitung
Adolf Feulners entnehmen wir die nachstehenden Gedankengänge. Vgl. auch „Mitteilungen" S. 72.
Die Projektion des dreidimensionalen Raumes auf die Fläche
ist naturnotwendig mit einer Minderung der Wirkung ver-
bunden. Sie kann nur einen Ausschnitt bringen, der als
Fragment der Ergänzung durch eigenes Sehen bedarf. Ganz
fragmentarisch ist die schwarz-weiße Reproduktion. Sie regi-
striert nur Licht und Schatten, sie gibt nur eine Ahnung von
den Tonwerten, und sie versagt vollständig in der Aussage
über die Farbe. Gewiß kann bei Wohnräumen der Gotik,
der Renaissance auch die einfarbige Reproduktion eine starke
Wirkung erzeugen, weil die Farbe in diesen Stilperioden
noch eine nebensächliche Rolle spielt.
Bei den Innenräumen der späteren Stilperioden vom Barock
bis zum Klassizismus ist die einfarbige Reproduktion ganz
unzulänglich. Die Farbe gehört jetzt zu den bestimmenden
Faktoren der Raumwirkung. War sie bisher mehr neutraler
Wandton, jetzt emanzipiert sie sich und übernimmt eine
aktive Rolle. Sie baut am Raumeindruck mit, sie erleichtert
die Raumvorstellung, oder sie erschwert sie. Sie durchbricht
die Raumgrenzen, oder sie betont sie. Sie breitet sich in
großen Flächen aus, oder sie läßt sich in schmale Felder
eindämmen, schäumt darüber weg und verspritzt in Flecken
nach oben. Sie wird zum betonenden Akzent, und sie bindet.
Sie verknüpft Wand und Möbel, sie kettet durch Analogie
oder Kontrast die Räume zu einer Folge zusammen, sie
steigert und setzt ab. Sie ist der Leitfaden im künstlerischen
Erlebnis einer Raumfolge.
Das Merkwürdige ist aber dieses: Diese Nuancen der
farbigen Wirkung stehen geradezu unter einem bestimmenden
Gesetz. In der ganzen Folge von Interieurs des späten 17. bis zum
Anfang des 19. Jahrhunderts ist ein durchgehender Wandel zu
sehen, ein Übergang vom Sonoren zum Heiteren und dann
wieder zum Kräftigen und Grellen, ein Abstieg von den warmen,
betonten Farben zu den zarten hellen und dann wieder zu den
kalten und scharfen Pigmenten. Er ist verbunden mit einem
Wechsel des Formats, das vom Großflächigen zum Kleinteiligen
übergeht und dann wieder zur großen geometrisch umgrenzten
Fläche gesteigert wird. Weiter. Wir können aus der zeitlichen
Anordnung sehen, daß bestimmte Nuancen allein schon den
Stil charakterisieren, und daß jede Zeit auf bevorzugte Farben
schwört. Das scharfe Zitronengelb und das kalte Stahlblau des
Klassizismus könnten unmöglich in eine der vorhergehenden
Stilperioden zurückversetzt werden. Das Gelb der Rokokozeit
kann sich in der Nuance dem Zitronengelb nähern, es ist aber
doch wärmer und es bekommt durch die Fülle der versilberten
Stukkaturen und Stickereien einen Grad der Auflösung, es ver-
flüchtigtsich und schwebt. Wieder anders, wärmer als im Klassi-
zismus und doch kälter als im Rokoko, viel kompakter ist das
Blau der Louis XVI-Zeit.
Andere Farben bleiben in allen Stilperioden ziemlich
konstant. Es gibt ein absolutistisches, imperialistisches Rot,
den leuchtenden, feierlichen, zwischen Karmin und Scharlach
stehenden Ton, der für die Audienzzimmer der Schlösser
und Residenzen seit dem Spätbarock geradezu obligatorisch
gewesen zu sein scheint ....
Das gesamte Schaffen steht unter dem Gesetz des „Gleich-
klangs der inneren Form". Der Ausdruck ist leichter zu ver-
stehen, wenn wir von simplen Beispielen ausgehen. Zwischen
dem kräftigen Relief der Stukkaturen des Spätbareck, den
vollplastischen, figuralen Themen und den kräftigen Farben
besteht ein innerer Zusammenhang. Er besteht zwischen der
Feldereinteilung einer Wand im Rokoko, dem fröhlichen Streu-
blumenmuster der seidenen Stofftapeten und der lustig auf-
gelösten Ornamentik der Stukkaturen. Oder. Die Zierlich-
keit, Gebrechlichkeit der Louis XVI-Dekorationen findet ihr
Korrelat in der überfeinen Zartheit der Farben. Ein spät-
barocker Bildteppich mit großen Figuren und schweren Farben
würde in einem Louis XVI-Raum diesen Gleichklang der
inneren Form sofort wieder vernichten. Das scheint selbst-
verständlich. Wir werden an Beispielen sehen, daß dieses
Gesetz nicht immer bindend gewesen ist, daß es erst als
geistiger Besitz erworben werden mußte. Der Gleichklang
geht noch weiter. Er besteht zwischen den Proportionen
eines Raumes, dem Format der ornamentalen Themen und
der Farbe.
ADOLF FEULNER / DIE FARBE IN DER RAUMKUNST
DER VER GANGENHEIT
Ein soeben erschienener Band der „Bauformen-Bibliothek" bringt unter dem Titel „Farbige Raumkunst der Ver-
gangenheit" zum ersten Male Räume vom Barock bis zum beginnenden 19. Jahrhundert farbig zur Darstellung nach
Ölbildern und Aquarellen bedeutender lebender Künstler. Eine Probe zeigt die gegeniiberstehende Tafel. Der Einleitung
Adolf Feulners entnehmen wir die nachstehenden Gedankengänge. Vgl. auch „Mitteilungen" S. 72.
Die Projektion des dreidimensionalen Raumes auf die Fläche
ist naturnotwendig mit einer Minderung der Wirkung ver-
bunden. Sie kann nur einen Ausschnitt bringen, der als
Fragment der Ergänzung durch eigenes Sehen bedarf. Ganz
fragmentarisch ist die schwarz-weiße Reproduktion. Sie regi-
striert nur Licht und Schatten, sie gibt nur eine Ahnung von
den Tonwerten, und sie versagt vollständig in der Aussage
über die Farbe. Gewiß kann bei Wohnräumen der Gotik,
der Renaissance auch die einfarbige Reproduktion eine starke
Wirkung erzeugen, weil die Farbe in diesen Stilperioden
noch eine nebensächliche Rolle spielt.
Bei den Innenräumen der späteren Stilperioden vom Barock
bis zum Klassizismus ist die einfarbige Reproduktion ganz
unzulänglich. Die Farbe gehört jetzt zu den bestimmenden
Faktoren der Raumwirkung. War sie bisher mehr neutraler
Wandton, jetzt emanzipiert sie sich und übernimmt eine
aktive Rolle. Sie baut am Raumeindruck mit, sie erleichtert
die Raumvorstellung, oder sie erschwert sie. Sie durchbricht
die Raumgrenzen, oder sie betont sie. Sie breitet sich in
großen Flächen aus, oder sie läßt sich in schmale Felder
eindämmen, schäumt darüber weg und verspritzt in Flecken
nach oben. Sie wird zum betonenden Akzent, und sie bindet.
Sie verknüpft Wand und Möbel, sie kettet durch Analogie
oder Kontrast die Räume zu einer Folge zusammen, sie
steigert und setzt ab. Sie ist der Leitfaden im künstlerischen
Erlebnis einer Raumfolge.
Das Merkwürdige ist aber dieses: Diese Nuancen der
farbigen Wirkung stehen geradezu unter einem bestimmenden
Gesetz. In der ganzen Folge von Interieurs des späten 17. bis zum
Anfang des 19. Jahrhunderts ist ein durchgehender Wandel zu
sehen, ein Übergang vom Sonoren zum Heiteren und dann
wieder zum Kräftigen und Grellen, ein Abstieg von den warmen,
betonten Farben zu den zarten hellen und dann wieder zu den
kalten und scharfen Pigmenten. Er ist verbunden mit einem
Wechsel des Formats, das vom Großflächigen zum Kleinteiligen
übergeht und dann wieder zur großen geometrisch umgrenzten
Fläche gesteigert wird. Weiter. Wir können aus der zeitlichen
Anordnung sehen, daß bestimmte Nuancen allein schon den
Stil charakterisieren, und daß jede Zeit auf bevorzugte Farben
schwört. Das scharfe Zitronengelb und das kalte Stahlblau des
Klassizismus könnten unmöglich in eine der vorhergehenden
Stilperioden zurückversetzt werden. Das Gelb der Rokokozeit
kann sich in der Nuance dem Zitronengelb nähern, es ist aber
doch wärmer und es bekommt durch die Fülle der versilberten
Stukkaturen und Stickereien einen Grad der Auflösung, es ver-
flüchtigtsich und schwebt. Wieder anders, wärmer als im Klassi-
zismus und doch kälter als im Rokoko, viel kompakter ist das
Blau der Louis XVI-Zeit.
Andere Farben bleiben in allen Stilperioden ziemlich
konstant. Es gibt ein absolutistisches, imperialistisches Rot,
den leuchtenden, feierlichen, zwischen Karmin und Scharlach
stehenden Ton, der für die Audienzzimmer der Schlösser
und Residenzen seit dem Spätbarock geradezu obligatorisch
gewesen zu sein scheint ....
Das gesamte Schaffen steht unter dem Gesetz des „Gleich-
klangs der inneren Form". Der Ausdruck ist leichter zu ver-
stehen, wenn wir von simplen Beispielen ausgehen. Zwischen
dem kräftigen Relief der Stukkaturen des Spätbareck, den
vollplastischen, figuralen Themen und den kräftigen Farben
besteht ein innerer Zusammenhang. Er besteht zwischen der
Feldereinteilung einer Wand im Rokoko, dem fröhlichen Streu-
blumenmuster der seidenen Stofftapeten und der lustig auf-
gelösten Ornamentik der Stukkaturen. Oder. Die Zierlich-
keit, Gebrechlichkeit der Louis XVI-Dekorationen findet ihr
Korrelat in der überfeinen Zartheit der Farben. Ein spät-
barocker Bildteppich mit großen Figuren und schweren Farben
würde in einem Louis XVI-Raum diesen Gleichklang der
inneren Form sofort wieder vernichten. Das scheint selbst-
verständlich. Wir werden an Beispielen sehen, daß dieses
Gesetz nicht immer bindend gewesen ist, daß es erst als
geistiger Besitz erworben werden mußte. Der Gleichklang
geht noch weiter. Er besteht zwischen den Proportionen
eines Raumes, dem Format der ornamentalen Themen und
der Farbe.