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O. R. Salvisberg, Berlin. Haus Dr. Charlton in Dahlem. Straßenansicht
NEUE WOHNHÄUSER VON O. R. SALVISBEKG, BERLIN
Mit 20 Aufnahmen von Arthur Köster, Berlin, und 8 Grundrissen. Besprochen von Dr. Max Osborn
Wenn die Architektur unserer Tage in der konsequenten
Durchführung der modernen Gedanken, die zu Beginn der
jüngsten Bewegung so oft Züge des Doktrinären, oder sagen
wir milder des Beispielhaften annahm, sich jetzt auf dem
hoffnungsvollen Wege zu Wohnbehagen und organisch ent-
wickelter Lebenskultur befindet, so hat an dieser entschei-
denden Wendung O. R. Salvisberg bedeutsamen Anteil. Er
gehörte zu den ersten, die sich von der Trockenheit eines lehr-
haften Konstruktivismus lösten und Brücken zu den unwäg-
baren Elementen gefühlsmäßiger Wirkung schlugen, ohne doch
im geringsten dem Grundsätzlichen untreu zu werden. Das
ist durchaus keine neue „Romantik", sondern die unabweis-
bare Einbettung der neuen Raum- und Formvorstellungen in
die natürlichen Forderungen und Gewohnheiten persönlichen
Daseins, eine Aussöhnung des Objektiv-Funktionellen mit dem
Subjektiv-Individuellen auf einer vordem unbekannten Basis.
Die Wohnhäuser, deren Abbildungen hier zusammengestellt
sind, liefern Beispiele dafür. Wir betrachten sie und fühlen
sofort, wie sich die reine Klarheit logischer Anlagen und Auf-
bauten ungezwungen mit einer besonderen Akzentuierung ver-
bindet, die diesen Villen den Stempel ihres Architekten ver-
leiht und die aus den jeweiligen Bedürfnissen und äußeren
Voraussetzungen entwickelte Gestaltung mit einer Belebung
von innen her verbindet. Das ist es, was den Bauwerken
Seele und Charakter gibt.
Bestimmend für solche wohltuenden Eindrücke ist nament-
lich jedesmal die Bildung des Grundrisses. Salvisberg liebt
eine freie Entfaltung der Baukörper und bewährt in dieser
Kunst außerordentliche Geschicklichkeit. Es ist ein Vergnügen
an sich, diese Grundrisse zu lesen, zu beobachten, wie sie,
rein als Zeichnungen genommen, die Fläche leicht und an-
genehm füllen und organisieren. Die starre Zentralanlage ist
aufgegeben. An ihre Stelle tritt eine Ordnung, die unter Ver-
zicht auf strenge Symmetrien eine Verschränkung der Flächen-
teile, in diesem Falle also der Raumeinheiten, sucht. So wird
eine neuartige Balance erreicht. Man denkt daran, wie vor
einem halben Jahrhundert die Kunst der Japaner die ma-
lerische Komposition in Europa auf eine früher nicht gebräuch-
liche reizvolle Grundlage stellte. Man denkt auch daran, wie
unter solchen Einflüssen die Architektur des englischen Land-
hauses ältere Überlieferungen interessant erneuerte. Doch
Salvisberg sucht kaum Anschluß an solche Vorbilder. Er be-
nutzt nicht die englische Methode der lässigen Breitenent-
wicklung gleichmäßig einstöckiger Trakte. Er setzt vielmehr
das Kernhaus, das die wesentlichen Zimmer umfaßt, überall
als zweistöckige Einheit in den beherrschenden Mittelpunkt
und gliedert niedrigere Flügel daran, denen genau erkennbare
Sonderberufe zugewiesen sind, und durch die dem Gesamt-
bau das malerische Bild eines Stufenaufstieges, einer Art
Terrassierung gesichert wird.
MOD. BAUFORMEN 30. VIII, 1
O. R. Salvisberg, Berlin. Haus Dr. Charlton in Dahlem. Straßenansicht
NEUE WOHNHÄUSER VON O. R. SALVISBEKG, BERLIN
Mit 20 Aufnahmen von Arthur Köster, Berlin, und 8 Grundrissen. Besprochen von Dr. Max Osborn
Wenn die Architektur unserer Tage in der konsequenten
Durchführung der modernen Gedanken, die zu Beginn der
jüngsten Bewegung so oft Züge des Doktrinären, oder sagen
wir milder des Beispielhaften annahm, sich jetzt auf dem
hoffnungsvollen Wege zu Wohnbehagen und organisch ent-
wickelter Lebenskultur befindet, so hat an dieser entschei-
denden Wendung O. R. Salvisberg bedeutsamen Anteil. Er
gehörte zu den ersten, die sich von der Trockenheit eines lehr-
haften Konstruktivismus lösten und Brücken zu den unwäg-
baren Elementen gefühlsmäßiger Wirkung schlugen, ohne doch
im geringsten dem Grundsätzlichen untreu zu werden. Das
ist durchaus keine neue „Romantik", sondern die unabweis-
bare Einbettung der neuen Raum- und Formvorstellungen in
die natürlichen Forderungen und Gewohnheiten persönlichen
Daseins, eine Aussöhnung des Objektiv-Funktionellen mit dem
Subjektiv-Individuellen auf einer vordem unbekannten Basis.
Die Wohnhäuser, deren Abbildungen hier zusammengestellt
sind, liefern Beispiele dafür. Wir betrachten sie und fühlen
sofort, wie sich die reine Klarheit logischer Anlagen und Auf-
bauten ungezwungen mit einer besonderen Akzentuierung ver-
bindet, die diesen Villen den Stempel ihres Architekten ver-
leiht und die aus den jeweiligen Bedürfnissen und äußeren
Voraussetzungen entwickelte Gestaltung mit einer Belebung
von innen her verbindet. Das ist es, was den Bauwerken
Seele und Charakter gibt.
Bestimmend für solche wohltuenden Eindrücke ist nament-
lich jedesmal die Bildung des Grundrisses. Salvisberg liebt
eine freie Entfaltung der Baukörper und bewährt in dieser
Kunst außerordentliche Geschicklichkeit. Es ist ein Vergnügen
an sich, diese Grundrisse zu lesen, zu beobachten, wie sie,
rein als Zeichnungen genommen, die Fläche leicht und an-
genehm füllen und organisieren. Die starre Zentralanlage ist
aufgegeben. An ihre Stelle tritt eine Ordnung, die unter Ver-
zicht auf strenge Symmetrien eine Verschränkung der Flächen-
teile, in diesem Falle also der Raumeinheiten, sucht. So wird
eine neuartige Balance erreicht. Man denkt daran, wie vor
einem halben Jahrhundert die Kunst der Japaner die ma-
lerische Komposition in Europa auf eine früher nicht gebräuch-
liche reizvolle Grundlage stellte. Man denkt auch daran, wie
unter solchen Einflüssen die Architektur des englischen Land-
hauses ältere Überlieferungen interessant erneuerte. Doch
Salvisberg sucht kaum Anschluß an solche Vorbilder. Er be-
nutzt nicht die englische Methode der lässigen Breitenent-
wicklung gleichmäßig einstöckiger Trakte. Er setzt vielmehr
das Kernhaus, das die wesentlichen Zimmer umfaßt, überall
als zweistöckige Einheit in den beherrschenden Mittelpunkt
und gliedert niedrigere Flügel daran, denen genau erkennbare
Sonderberufe zugewiesen sind, und durch die dem Gesamt-
bau das malerische Bild eines Stufenaufstieges, einer Art
Terrassierung gesichert wird.
MOD. BAUFORMEN 30. VIII, 1