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Material und neuen An-
regungen: es galt eine
seelische Revolution, die
das erwachende Selbst-
bewußtsein des Bürger-
tums mit einer eigenen
Geschmacksrichtung,
einem eigenen Stil zu
bereichern berufen war.
Der junge Kozma mach-
te sich vor dem Krieg,
zur Zeit der Erstarkung
der Bürgerschaft, mit
revolutionäremSchwung
an die Schaffung eines
ungarischen bürger-
lichen Stils. Er war bei
dieser historisch bedeut-
samen formschöpferi-
schen Tätigkeit vielleicht
der einzige, der — die
geringsten Einzelheiten
des Lebens empfindend
— nicht festtägliche Mo-
numentalität suchte,son-
dern die Formgestaltung
Architekt Ludwig Kozma, Budapest. Ladenausbildung (Entwurf)
des Alltags anstrebte und durchleben ließ. In der Haupt-
linie seiner Schöpfungen knüpfte er an das volkstümliche
Barock an, in Details trieb er die stilschöpferische Tätigkeit
mit der unerschöpflichen Geduld des passionierten Graphiker-
talentes bis zu den äußersten Folgerungen.
Sehen wir die Nachkriegsarbeiten Kozmas durch, so finden
wir nicht mehr jene überwiegende Anzahl zu Abgeschlossen-
heit, zu individuellem, familiären Leben einladender Eigen-
heime. Seine neuen Schöpfungen zeigen umfassendere Bedeu-
tung. In Warenhäusern und Läden ergreift uns das kollektive
Lebensgefühl des modernen Menschen. Entwirft Kozma ein
Wochenendhaus, so spüren wir dahinter den Anteil des ein-
zelnen an der Bewegung großer Massen. Und in dem Familien-
heim, das er entwirft, führt eine Familie von neuer, geänderter
Struktur ihr Leben, als es die war, die sich in seinen früheren
Bauten heimisch fühlte. Die modernen Ansprüchen ange-
messene Einrichtung der alten Mietswohnungen ist das
brennende, dringende Problem für den heutigen Kozma. Er
erfindet geistreiche Einzelmöbel und interessante Raum-
lösungen, um die Brücke zwischen dem neuen Menschen und
seinem unzeitgemäßen Milieu zu schlagen. Seine Aufgaben
schöpft er auch heute aus dem Alltag, aus den Ansprüchen
der kleinen Leute, aber diese kleinen Leute suchen ihr Selbst-
bewußtsein nicht mehr im Kokettieren mit feudalen Tra-
ditionen, sie sind vielmehr das Nachkriegsgeschlecht, bewegt
von den Kräften der Gegenwart.
Naturgemäß mußte jede Verbindung mit dem repräsenta-
Grundriß des Warenhauses „M.D.CS.". Erdgeschoß
tiven völkischen Nationalismus reißen. Der praktische Zweck
und die Technik treten in den Vordergrund; statt der ma-
lerischen Werte übernehmen die Funktionswerte die leitende
Rolle. Bricht sich auch die graphische Leidenschaft hie und
da noch Bahn, um sich in der Form einer vereinfachten, ab-
geklärten Ornamentik zu äußern, so wurde von der Hand
Kozmas dennoch im Wesen eine sich auf Zweckformen grün-
dende, aus dem Produktionsgang logisch folgende Formen-
welt geschaffen.
Ein dankbarer, leichten Erfolg versprechender Weg wäre
es nun für Kozma gewesen, sich vorbehaltlos den westlichen
Architekturbestrebungen hinzugeben. In diesem Künstler lebt
aber ein viel zu intensiver Sinn für die Wirklichkeit, um sich
so einzustellen. In Ungarn ist eine Industrialisierung der Wohn-
kunst, wie sie im Ausland vor sich geht, zur Zeit noch nicht
aktuell. Hier gilt noch das Kleingewerbe, das Handwerk im
besten Sinne des Wortes, und dementsprechend müssen sich
auch die Kunstformen gestalten, losgelöst von der Tradition,
aber ohne sich in den Gang einer Massenproduktion ein-
zuschalten. Die Möbelgestaltung trägt individuellen Charakter,
der Künstler entwirft für einmalige Ausführung. Der Architekt
gibt seinen Schöpfungen den exzeptionellen Wert der piece
unique, doch weckt das in der Seele des Schöpfers ein Gefühl
des Unbefriedigtseins. Er muß es als einen Mangel emp-
finden, daß er nicht die großen Massen bedienen kann, und
was er schafft, von einem Markte aufgenommen wird, den
er als seelisch der Vergangenheit angehörend empfindet. Es
müssen sich also wohl im Laufe der Entwicklung für Kozma
neue Aufgaben eröffnen. Erkennen wir in seinen heutigen
Werken den hohen Grad an Materialkenntnis, an Gefühl für
den Zweck und an Konstruktionslogik, so können wir nicht
mehr daran zweifeln, daß er in allen Phasen seiner Ent-
wicklung konzis, schwungvoll und inhaltsreich bleiben wird.
Die neue Kunst Kozmas wird jedenfalls viel weniger völ-
kisch ungarische Äußerlichkeiten benützen als früher. Wer
in seinen Werken nicht internationale Werte, sondern orien-
talisch Exotisches suchte, der wird nunmehr enttäuscht werden.
Die junge Generation Ungarns glaubt aber, daß ihre Kunst
ohne Schaustellung nationaler Kuriositäten der Welt noch
immer gerade genug, ja wohl noch mehr zu bieten haben
wird. Wir begrüßen deshalb Kozmas neue Tendenz mit Freude,
da wir in ihr eine frische Anknüpfung an die westliche Kultur
erblicken.
Material und neuen An-
regungen: es galt eine
seelische Revolution, die
das erwachende Selbst-
bewußtsein des Bürger-
tums mit einer eigenen
Geschmacksrichtung,
einem eigenen Stil zu
bereichern berufen war.
Der junge Kozma mach-
te sich vor dem Krieg,
zur Zeit der Erstarkung
der Bürgerschaft, mit
revolutionäremSchwung
an die Schaffung eines
ungarischen bürger-
lichen Stils. Er war bei
dieser historisch bedeut-
samen formschöpferi-
schen Tätigkeit vielleicht
der einzige, der — die
geringsten Einzelheiten
des Lebens empfindend
— nicht festtägliche Mo-
numentalität suchte,son-
dern die Formgestaltung
Architekt Ludwig Kozma, Budapest. Ladenausbildung (Entwurf)
des Alltags anstrebte und durchleben ließ. In der Haupt-
linie seiner Schöpfungen knüpfte er an das volkstümliche
Barock an, in Details trieb er die stilschöpferische Tätigkeit
mit der unerschöpflichen Geduld des passionierten Graphiker-
talentes bis zu den äußersten Folgerungen.
Sehen wir die Nachkriegsarbeiten Kozmas durch, so finden
wir nicht mehr jene überwiegende Anzahl zu Abgeschlossen-
heit, zu individuellem, familiären Leben einladender Eigen-
heime. Seine neuen Schöpfungen zeigen umfassendere Bedeu-
tung. In Warenhäusern und Läden ergreift uns das kollektive
Lebensgefühl des modernen Menschen. Entwirft Kozma ein
Wochenendhaus, so spüren wir dahinter den Anteil des ein-
zelnen an der Bewegung großer Massen. Und in dem Familien-
heim, das er entwirft, führt eine Familie von neuer, geänderter
Struktur ihr Leben, als es die war, die sich in seinen früheren
Bauten heimisch fühlte. Die modernen Ansprüchen ange-
messene Einrichtung der alten Mietswohnungen ist das
brennende, dringende Problem für den heutigen Kozma. Er
erfindet geistreiche Einzelmöbel und interessante Raum-
lösungen, um die Brücke zwischen dem neuen Menschen und
seinem unzeitgemäßen Milieu zu schlagen. Seine Aufgaben
schöpft er auch heute aus dem Alltag, aus den Ansprüchen
der kleinen Leute, aber diese kleinen Leute suchen ihr Selbst-
bewußtsein nicht mehr im Kokettieren mit feudalen Tra-
ditionen, sie sind vielmehr das Nachkriegsgeschlecht, bewegt
von den Kräften der Gegenwart.
Naturgemäß mußte jede Verbindung mit dem repräsenta-
Grundriß des Warenhauses „M.D.CS.". Erdgeschoß
tiven völkischen Nationalismus reißen. Der praktische Zweck
und die Technik treten in den Vordergrund; statt der ma-
lerischen Werte übernehmen die Funktionswerte die leitende
Rolle. Bricht sich auch die graphische Leidenschaft hie und
da noch Bahn, um sich in der Form einer vereinfachten, ab-
geklärten Ornamentik zu äußern, so wurde von der Hand
Kozmas dennoch im Wesen eine sich auf Zweckformen grün-
dende, aus dem Produktionsgang logisch folgende Formen-
welt geschaffen.
Ein dankbarer, leichten Erfolg versprechender Weg wäre
es nun für Kozma gewesen, sich vorbehaltlos den westlichen
Architekturbestrebungen hinzugeben. In diesem Künstler lebt
aber ein viel zu intensiver Sinn für die Wirklichkeit, um sich
so einzustellen. In Ungarn ist eine Industrialisierung der Wohn-
kunst, wie sie im Ausland vor sich geht, zur Zeit noch nicht
aktuell. Hier gilt noch das Kleingewerbe, das Handwerk im
besten Sinne des Wortes, und dementsprechend müssen sich
auch die Kunstformen gestalten, losgelöst von der Tradition,
aber ohne sich in den Gang einer Massenproduktion ein-
zuschalten. Die Möbelgestaltung trägt individuellen Charakter,
der Künstler entwirft für einmalige Ausführung. Der Architekt
gibt seinen Schöpfungen den exzeptionellen Wert der piece
unique, doch weckt das in der Seele des Schöpfers ein Gefühl
des Unbefriedigtseins. Er muß es als einen Mangel emp-
finden, daß er nicht die großen Massen bedienen kann, und
was er schafft, von einem Markte aufgenommen wird, den
er als seelisch der Vergangenheit angehörend empfindet. Es
müssen sich also wohl im Laufe der Entwicklung für Kozma
neue Aufgaben eröffnen. Erkennen wir in seinen heutigen
Werken den hohen Grad an Materialkenntnis, an Gefühl für
den Zweck und an Konstruktionslogik, so können wir nicht
mehr daran zweifeln, daß er in allen Phasen seiner Ent-
wicklung konzis, schwungvoll und inhaltsreich bleiben wird.
Die neue Kunst Kozmas wird jedenfalls viel weniger völ-
kisch ungarische Äußerlichkeiten benützen als früher. Wer
in seinen Werken nicht internationale Werte, sondern orien-
talisch Exotisches suchte, der wird nunmehr enttäuscht werden.
Die junge Generation Ungarns glaubt aber, daß ihre Kunst
ohne Schaustellung nationaler Kuriositäten der Welt noch
immer gerade genug, ja wohl noch mehr zu bieten haben
wird. Wir begrüßen deshalb Kozmas neue Tendenz mit Freude,
da wir in ihr eine frische Anknüpfung an die westliche Kultur
erblicken.