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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 29.1930

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Nr. 5
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Die neuen katholischen Kirchen in Friedrichshafen und Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.75582#0240

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mehr für die Einzelseelsorge in der Beichte bestimmt, zudem
mögen sie sich in ihrer gangartigen Schmalheit für das still
betrachtende Abschreiten des Kreuzweges besonders eignen.
Die den fünf Westportalen quer vorgelagerte offene Vor-
halle, über der sich der mächtige Block der Fassade auf-
richtet, kann zusammen mit den beiderseits angefügten
kleineren Vorbauten bei schlechter Witterung einer großen
Anzahl Kirchenbesucher Schutz bieten. Für das Auge schließen
sich die Öffnungen dieser Seitenpavillons mit der hochrecht-
eckigen Gesamtform des dreiteiligen Haupteingangs zu einer
Einheit mit betonter Mitte zusammen, die geschickt die fünf-
fache Aufstufung des ganzen Blockes in einfacherer Wieder-
holung aufnimmt und durch ihre negative Form erleichtert.
Durch den Farbenreiz des von rot bis braun und violett
schimmernden Klinkermaterials in dem die ganzen Außen-
seiten und der Turm ausgeführt sind, werden die wuchtigen
Massen vorteilhaft belebt. Wirkungsvoll ist in die breite
Mittelfläche dieser Fassadenwand eine monumentale Kreuz-
gruppe eingefügt, die in ihrer großzügigen, wirklich bau-
plastischen Ausführung von Karl Rieber, München, der Bedeu-
tung, die ihr an dieser Stelle zukommt, vollauf gerecht wird.
Nach der geschlossenen Masse der Fassade mit ihrer starken
Betonung des rechten Winkels mögen die schräg ansteigenden
Flächen des Kirchendachs zunächst etwas überraschen, sobald
man aber den ganzen Gebäudekomplex von der seitlich gegen-
überliegenden Ecke aus übersieht, bekommt diese Abwechs-
lung dadurch ihren Reiz, daß die längsgerichteten und schräg-
gedeckten Formen von Pfarrhaus und Kirchenschiff durch die

breite Wucht der Fassade wirksam unterbrochen und von der
straffen Form des Turmes beschlossen werden. In der allmäh-
lichen Höhensteigerung, vom Pfarrhaus zur Fassade und mit
fein berechneter Distanz zum Glockenturm, liegt auch die
Berechtigung für seine uns ungewohnt starke Abtrennung vom
Langhaus. Auch seine beträchtliche Höhe wirkt bei dieser Auf-
reihung nicht mehr besonders auffällig. Sie war von vornherein
dadurch bedingt, daß der Turm trotz des weiter landein-
wärts gelegenen Bauterrains, für den Blick von der Seeseite
her mit dem mächtigen Turm der alten St. Nikolauskirche
und mit dem eleganten, in weicher Rundung abgeschlossenen
Turmpaar der Schloßkirche konkurrieren und in seiner strengen
kubischen Abschlußform mit diesen Türmen eine für die Stadt-
silhouette bedeutungsvolle Trias ergeben sollte.
Bei der St. Georgskirche in Stuttgart, die Schlösser in
allernächster Zeit vollendet, gruppiert er den veränderten
Geländebedingungen entsprechend nicht mehr schräg in die
Tiefe, sondern stellt die Nebengebäude (Pfarrhof — Schwe-
sternhaus und Sakristei) als kräftige kubische Blockformen
an die Ecken des breit gelagerten Kirchenbaues. Der Turm,
welcher auf der der Heilbronnerstraße zugekehrten Seite an
die Westpartie geschoben ist, und dadurch eine allzu strenge
symmetrische Wirkung der Anlage verhindert, stellt sich in
seiner knappen, kantig aufsteigenden Form in kraftvollem
Gegensatz zu den Horizontalen der anderen Bauteile und
hebt so erst recht deren Wirkung hervor. In straffer Zu-
sammenfassung staffelt sich das Ganze in wuchtiger Monu-
mentalität dem dahinter aufsteigenden Höhenrücken entgegen.
Dr. A. W.
 
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