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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Die Neuerwerbungen der Mannheimer Kunsthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0087

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Die Neuerwerbungen der Mannheimer Kunsthalle

von jenem Elementarisch-Naturhaften, das uns fast meinen läßt, als seien selbst die Porträts gewöhnlicher
Menschen bei Böcklin noch so etwas wie verkappte und verkleidete Elementarwesen aus der Welt seiner
panischen Naturphantasie. —■ Nicht ganz fern von dieser Erwerbung steht die Tatsache, daß ein großes
Landschaftsbild »Vorfrühling bei Leutstett« (Oberbayern) von Karl Haider aus dem Jahre 1895 in
die Kunsthalle Aufnahme finden konnte. Mit f]er umfangreichen Karl-Haider-Gedächtnis-Ausstellung im
Jahre 1924 hat die Kunsthalle diesem meist unterschätzten Maler, dem bayerischen Thoma, zu besserem
Verständnis verhelfen wollen, und es war dazu bewußt der Augenblick gewählt, in dem die Kunst im Rück-
schlag auf die subjektiven Freiheiten des Expressionismus wieder zu sachlicher Gegenständlichkeit und zu
zeichnerischer Festigkeit, zu einem neuen religiösen Realismus hinzustreben beginnt. Die von Haider
erworbene Landschaft gehörte zu den bedeutendsten Stücken der Ausstellung: Denkmal eines großartigen,
herben und deutschen Naturpantheismus, nicht mehr aus der noch unselbständigen Leiblschen Periode
Haiderscher Kunst und noch nicht von der allzu pedantischen Trockenheit seiner stark stilisierten Spätwerke.
Ein Bild, das man in seiner zeichnerischen Dichtigkeit, in seiner Fülle von gebändigtem Welterlebnis
gleichsam »parzellieren« könnte, um doch immer wieder geschlossene, in sich abgerundete und verdichtete
Teilstücke zu erhalten. Eine ganz andere Generation und ein völlig abweichendes Kunstwollen vertritt
exemplarisch das heute mit dem Tod abgeschlossene Werk des deutschen Impressionisten Lovis Corinth.
Wenige Wochen vor seinem Tode konnte sich die Kunsthalle von diesem Maler ein ausgezeichnetes Still-
leben aus dem Jahre 1917, also aus dem letzten Jahrzehnt seines Schaffens, sichern. Neben die bereits
vorhandenen Hauptwerke Corinths, den Apostel Paulus, das Porträt Gerhard Hauptmanns und die kleine,
aber äußerst qualitätvolle Nizza-Landschaft, tritt die Neuerwerbung als sehr wesentliche Ergänzung hinzu,
die das Bild von Corinths vielseitiger Kunst um entscheidende Eigenschaften bereichert. Lovis Corinth ist
bis zuletzt ein Maler des »19. Jahrhunderts« geblieben. Zu den Bahnbrechern und Wegweisern einer
Malerei unseres neuen, vulkanischen, katastrophenhaften Zeitalters gehören Hodler und Edward Munch,
beide noch aus dem Impressionismus hervorgegangen, beide an der Wende der Jahrhunderte in neuen
psychologisch vertieften Visionen das Kommende ahnungsvoll aussprechend. Von Hodler besaß die Kunsthalle
bisher nur ein kleineres Figurenbild »Lied aus der Ferne«, ein lyrisches und doch herbes Bild, das sich
vielleicht auf die Dauer besser bewähren wird als manche der riesigen Figuralkompositionen des berühmten
Schweizers. Es schien angebracht, Hodler nun auch von seiner anderen, vielleicht nicht weniger bedeut-
samen schöpferischen Seite her zu zeigen: als Landschafter, als den einzigartigen Seher und Deuter des
Schweizer Hochgebirges, vielleicht den stärksten und mächtigsten Interpreten, den die Gebirgswelt jemals
in der Malerei gefunden hat. Eine mittelgroße L an ds ch aft aus dem Jahre 1910, die Stockhorn-
Gruppe am Thunersee darstellend, wurde für die Kunsthalle erworben: jener gleichsam ewig gültige
Bergesumriß, den der Künstler in seiner Villa vor Augen hatte und den er wiederholt, auf den See hinaus-
rudernd, gemalt hat. Der Norweger Edward Munch fehlte in der Kunsthalle noch ganz, sollte aber doch
neben Hodler und van Gogh, neben dem Schweizer und dem Holländer, als der eigentlich nordische Re-
präsentant der Jahrhundertwende würdig vertreten sein. Die große, nunmehr erworbene Landschaft aus
dem Jahre 1905 stellt eine Partie aus dem Park der Villa Dr. Max Lindes in Lübeck dar, des bekannten
Freundes und Sammlers Munchscher Malerei. Das Bild ist in einer Zeit entstanden, da der Künstler an
einem kritischen Wendepunkt stand. Er begann damals — auch unter dem Eindruck der deutschen Natur —
das zu überwinden, was heute in seiner früheren Malerei in gewissem Sinne an den »Jugendstil« mit seinen

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