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Oberrheinische Kunst — 1.1925/​1926

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Goldschmidt, Adolph: Ein Minnekästchen des 13. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.54484#0117

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Ein M i n n e k ä s t c h e n des 15. Jahrhunderts

Menschen auf der Burgmauer sind Zeugen, wieder bläst der Wächter ins Horn. Dann folgt ein Wald
mit Tieren, und zwar wird er belebt durch Vögel, zwei Ziegen und ein Tier, das wohl am ersten als
Schaf zu deuten ist, also eine friedliche Herde, in die vielleicht der Bär eindringen wollte. Folgt man
von hier weiter der zweiten Kurzseite, so trifft man auf einen hoch thronenden König, der wie im Befehl
die Hand erhebt. Zu Füßen des Thrones steht ein Ritter mit auffallend langen Locken, mit dem Schwert
in der Rechten, bekleidet mit kurzem Rock oder Panzerhemd und darüber einen auf der Schulter gehefteten
Mantel, während der König den langen geschlitzten Rock wie Lanzelot trägt und ebenfalls einen Mantel
darüber. Ein Tier wird von einem Knappen mit Keule weggeführt. Ist es der gefangene Bär der vorigen
Szene? Die Schwanzlosigkeit und die gleichen Tatzen, derselbe Mann mit der Keule sprechen dafür, das
weniger wilde Aussehen des Kopfes dagegen, doch läge bei der rohen Formenbehandlung darin kein
durchschlagender Gegengrund. Der zweite Knappe trägt ein kleines Tier auf dem Arm. Ist es ein Junges
des Bären oder ist es ein Hund? Über ihren Köpfen liegt ein Drache, der möglicherweise wie sein
Ebenbild oben auf der Hirsch]agd nichts weiter ist wie eine Füllung des leeren Raumes, die ebenso rein
ornamental gedacht ist wie die Tiere auf dem Deckel. Die Fragen harren noch der Lösung. Es ist
ja auch keineswegs gesagt, daß alle Szenen demselben Roman entnommen sind, denn auch sonst finden
wir an den gotischen Kästen ein Gemisch aus verschiedenen Quellen. Im Lanzelotroman kommen aller-
dings auch eine Hirsch]agd des Knaben und später Drachen, die eine Burg bewachen, vor, auch ein
Kampf gegen zwei Riesen, aber all diese Szenen sind in dem Relief nicht prägnant und klar genug aus-
gebildet, um sie sicher dafür in Anspruch zu nehmen, auch ist der Kampf mit einem Bären mir darin
nicht bekannt und ebensowenig eine entsprechende Königsszene. Dagegen mag es sein, daß Teile der
Siegfriedsage eingemischt sind. Der Kampf mit dem Bären entspricht der Erzählung in der XVI. Aventiure
des Nibelungenliedes, wo Siegfried auf der Jagd den Bären ohne Waffen gefangen nimmt und ihn dann
mit sich in das Lager zum König Gunther bringt, welch letztere Szene vielleicht in der Darstellung der
einen Kurzseite gemeint ist. Gunther gibt den Befehl, die Hunde loszulassen, um den Bären zu hetzen.
Der Deckel endlich ist zum größten Teil ornamental behandelt, an beiden Enden ein löwenähnliches Tier
in einem Ring, der von Pflanzenwerk und einem Drachen eingefaßt wird, in der Mitte zwei Ritter, die
wie ein verkleinertes Abbild der Riesen an der Seite erscheinen, nur sind sie hier mehr in Aktion mit
Lanze und Schwert, so daß sie wie Gegner der ornamentalen Raubtiere aussehen, denen sie zugewandt sind.
Man weiß ferner nicht, ob bei der Neumontierung keine Umstellung der Streifen stattgefunden
hat. Die Bearbeitung der Reliefs muß ja geschehen sein, nachdem die Knochenstücke bereits aneinander-
geheftet waren, denn die Figuren gehen über die Fugen hinüber, so daß man innerhalb einer Szene
keinerlei andere Anordnung vornehmen könnte. Solcher unveränderlicher Szenenkomplexe sind im ganzen
neun vorhanden, und es könnte sich nur um eine Umsetzung solcher ganzen Komplexe handeln, aber
nicht einzelner Streifen. Man könnte zum Beispiel glauben, daß die beiden Riesen, die so sehr aus der
übrigen Figurendarstellung herausfallen und in sich ein so abgeschlossenes symmetrisches Bild ergeben,
ursprünglich eine der Kurzseiten bedeckt haben, deren Breite sie genau gleichkommen. Mit dadurch be-
dingten weiteren Vertauschungen kann man dann ein Legespiel versuchen.
Will man auf Grund des Stiles des Reliefs eine Datierung und Lokalisierung des Kästchens vor-
nehmen, so stößt man ebenfalls auf Schwierigkeiten, hauptsächlich wegen der niedrigen künstlerischen
Stufe der Schnitzereien. Doch hat man trotz des handwerklichen Mangels an feinerer Ausprägung der
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