Die Baugeschichte der Katharinen kirche in Oppenheim a. Rh.
mit Blendmaßwerk, Giebeln und Fialen geschmückt, tragen sie nicht wenig dazu bei, den Eindruck des
überschwenglichen Reichtums, den die Fassade erweckt, zu verstärken. Das Unwahrscheinliche und Märchen-
hafte dieser Pracht wird vielleicht besonders dadurch unterstützt, daß die Strebepfeiler im Kapellengeschoß
gar nicht zur Wirkung kommen, vor den Seitenschiffen schmale, streng vertikal gegliederte Pfeiler sind
und sich erst darüber zu dieser breiten, überreichen Form entfalten. Gerade das Unorganische dieser Bil-
dung macht ihren Reiz aus. Ein Vergleich der Profile und das Vorkommen der Kleeblattbögen in der
späten Form des Blendmaßwerks sprechen eindeutig für eine spätere Entstehungszeit dieser Teile der
Strebepfeiler. Auch die Ansätze der Strebebögen an der Hochwand gehören noch zum ursprünglichen
Langhausbau. Man kann sie auf alten Photographien (Abb. 10) gut erkennen. Die Strebebögen (Abb. 29)
selbst wurden im Mittelalter nicht ausgeführt. Doch bestimmt der Ansatz schon klar ihr Profil. Auffallend
ist es, daß dieses beim Ansetzen an die Hochwand nach unten umbiegt. Dieses Motiv mag aus dem Gefühl
heraus entstanden sein, daß sich die lastenden Kräfte an dieser Stelle spalten, zum Teil nach unten weiter-
führen, zum Teil nach der Seite über den Strebebogen abgeleitet werden. Diese Stelle, an der der Strebe-
pfeiler ansitzt, hat nirgends eine reine künstlerische Lösung gefunden. In Köln z. B. wird diese Stelle
durch einen kleinen Spitzbogen, der von dem Pfeiler nach der Wand führt, verdeckt. Die mangelhafte
künstlerische Ausgestaltung dieser Stelle mag ihre Ursache darin haben, daß hier Kräfte wirksam sind,
die wohl dem Verstände leicht begreifbar, aber nicht sinnlich nachfühlbar sind.
Uber die Strebebögen sagt Schmidt1: »Über die Form der eigentlichen Bögen mit ihren Profilen
existiert kein Zweifel, da ihre Ansätze sowohl an der Wand als auch an den vollendeten Strebepfeilern
genau markiert sind. Auch die Neigung der gradlinigen Abdeckung dieser Bögen und das Deckprofil mit
den Wasserrinnen ist gegeben. Nur die künstlerische Gestalt des ganzen Systems müßte künstlerisch ent-
wickelt werden. Zur Motivierung der hier gewählten Formen muß zunächst angeführt werden, daß nach
statischen Gesetzen die geschlossene Wandart die einzig richtige und vollkommene ist und daß es vom
technischen Standpunkt geradezu undenkbar ist, das geradlinige Deckgesims als isolierte Körper — und
höchstens durch vertikale Stützen mit dem Boden verbunden — zu behandeln. Zieht man ferner in Er-
wägung, daß durch diese Deckgesimse die Ableitung des Wassers stattfindet, dasselbe also die denkbar
größte Stabilität haben muß, so kann es fast keinem Zweifel unterliegen, daß die projektierte Form (die
auch bei der Restaurierung ausgeführt wurde) ursprünglich beabsichtigt war. Es sprechen für diese Auf-
fassung übrigens die Formen der Strebebögen in Straßburg und Freiburg, welchen sodann auch das Motiv
des eingesetzten und durchbrochenen Dreipasses entnommen ist, aus welchem Motiv sich allerdings im
Laufe eines weiteren Jahrhunderts jene luftigen, durchbrochenen Strebesysteme entwickelt haben, wie solche
an spätgotischen Kathedralen häufig vorkommen.
Um jeden Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme zu beseitigen, muß nur noch ein Umstand
beleuchtet werden, welcher bisher zu der entgegengesetzten Annahme Veranlassung gab. Wie aus den bei-
liegenden Tafeln ersichtlich ist, sind die zur Aufnahme der Strebewände bestimmten Wandpfeiler des
Mittelschiffs scharfkantig stehen geblieben, scheinbar jeden weiteren Anschluß abweisend. Nun ist zu wissen
notwendig, daß es eine beliebte Baupraxis des alten Meisters war, ähnliche Anschlüsse erst bei der Aus-
führung selbst zu vollziehen, und eine weitere Betrachtung derselben Tafeln, noch mehr aber des Baues
1 Schmidt a. a. O. S. 16.
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mit Blendmaßwerk, Giebeln und Fialen geschmückt, tragen sie nicht wenig dazu bei, den Eindruck des
überschwenglichen Reichtums, den die Fassade erweckt, zu verstärken. Das Unwahrscheinliche und Märchen-
hafte dieser Pracht wird vielleicht besonders dadurch unterstützt, daß die Strebepfeiler im Kapellengeschoß
gar nicht zur Wirkung kommen, vor den Seitenschiffen schmale, streng vertikal gegliederte Pfeiler sind
und sich erst darüber zu dieser breiten, überreichen Form entfalten. Gerade das Unorganische dieser Bil-
dung macht ihren Reiz aus. Ein Vergleich der Profile und das Vorkommen der Kleeblattbögen in der
späten Form des Blendmaßwerks sprechen eindeutig für eine spätere Entstehungszeit dieser Teile der
Strebepfeiler. Auch die Ansätze der Strebebögen an der Hochwand gehören noch zum ursprünglichen
Langhausbau. Man kann sie auf alten Photographien (Abb. 10) gut erkennen. Die Strebebögen (Abb. 29)
selbst wurden im Mittelalter nicht ausgeführt. Doch bestimmt der Ansatz schon klar ihr Profil. Auffallend
ist es, daß dieses beim Ansetzen an die Hochwand nach unten umbiegt. Dieses Motiv mag aus dem Gefühl
heraus entstanden sein, daß sich die lastenden Kräfte an dieser Stelle spalten, zum Teil nach unten weiter-
führen, zum Teil nach der Seite über den Strebebogen abgeleitet werden. Diese Stelle, an der der Strebe-
pfeiler ansitzt, hat nirgends eine reine künstlerische Lösung gefunden. In Köln z. B. wird diese Stelle
durch einen kleinen Spitzbogen, der von dem Pfeiler nach der Wand führt, verdeckt. Die mangelhafte
künstlerische Ausgestaltung dieser Stelle mag ihre Ursache darin haben, daß hier Kräfte wirksam sind,
die wohl dem Verstände leicht begreifbar, aber nicht sinnlich nachfühlbar sind.
Uber die Strebebögen sagt Schmidt1: »Über die Form der eigentlichen Bögen mit ihren Profilen
existiert kein Zweifel, da ihre Ansätze sowohl an der Wand als auch an den vollendeten Strebepfeilern
genau markiert sind. Auch die Neigung der gradlinigen Abdeckung dieser Bögen und das Deckprofil mit
den Wasserrinnen ist gegeben. Nur die künstlerische Gestalt des ganzen Systems müßte künstlerisch ent-
wickelt werden. Zur Motivierung der hier gewählten Formen muß zunächst angeführt werden, daß nach
statischen Gesetzen die geschlossene Wandart die einzig richtige und vollkommene ist und daß es vom
technischen Standpunkt geradezu undenkbar ist, das geradlinige Deckgesims als isolierte Körper — und
höchstens durch vertikale Stützen mit dem Boden verbunden — zu behandeln. Zieht man ferner in Er-
wägung, daß durch diese Deckgesimse die Ableitung des Wassers stattfindet, dasselbe also die denkbar
größte Stabilität haben muß, so kann es fast keinem Zweifel unterliegen, daß die projektierte Form (die
auch bei der Restaurierung ausgeführt wurde) ursprünglich beabsichtigt war. Es sprechen für diese Auf-
fassung übrigens die Formen der Strebebögen in Straßburg und Freiburg, welchen sodann auch das Motiv
des eingesetzten und durchbrochenen Dreipasses entnommen ist, aus welchem Motiv sich allerdings im
Laufe eines weiteren Jahrhunderts jene luftigen, durchbrochenen Strebesysteme entwickelt haben, wie solche
an spätgotischen Kathedralen häufig vorkommen.
Um jeden Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme zu beseitigen, muß nur noch ein Umstand
beleuchtet werden, welcher bisher zu der entgegengesetzten Annahme Veranlassung gab. Wie aus den bei-
liegenden Tafeln ersichtlich ist, sind die zur Aufnahme der Strebewände bestimmten Wandpfeiler des
Mittelschiffs scharfkantig stehen geblieben, scheinbar jeden weiteren Anschluß abweisend. Nun ist zu wissen
notwendig, daß es eine beliebte Baupraxis des alten Meisters war, ähnliche Anschlüsse erst bei der Aus-
führung selbst zu vollziehen, und eine weitere Betrachtung derselben Tafeln, noch mehr aber des Baues
1 Schmidt a. a. O. S. 16.
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