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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0018
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2. Forschungslage

17

rücken auch die Bischöfe in diesem Zusammenhang in den Fokus. Der Blick auf
die Bischöfe in der Politik des Frankenreiches hat sich in den letzten 15 Jahren
gemeinsam mit der Gesamtperspektive entscheidend gewandelt. In der älteren
deutschen und französischen Forschung wurden die Bischöfe, geprägt von den
Ansätzen der „Neuen Verfassungsgeschichte15", als Adlige im geistlichen Ge-
wand in einem auf persönlichen Bindungen beruhenden Verband (Personen-
verbandsstaat), der durch die Dichotomie von Adel und Königtum gekenn-
zeichnet war, gesehen. Ihre gesellschaftliche und politische Rolle definierte sich
in dieser Sichtweise durch ihre adlige Herkunft und ihre Stellung am Hof sowie
im Königsdienst16. Bischofsherrschaft und bischöfliche Handlungsspielräume
wurden vor allem als adlige Herrschaft aufgefasst; die Wahrnehmung allge-
meiner politischer Aufgaben hingegen wurde als Delegation durch den König
interpretiert. Doch diese Deutung verliert mehr und mehr ihre Dominanz. Seit
den 1980er Jahren erfolgte eine schrittweise Neubewertung der frühmittelalter-
lichen Politik, indem das Verhältnis von König und weltlichen und geistlichen
Großen und die politische Praxis der Frankenreiche unter anderen Prämissen
untersucht wurden. Besondere Impulse kamen hierzu aus der sozial-anthropo-
logisch inspirierten Forschung.
Wiederum angeregt durch diese anthropologischen Zugänge hat die an-
gelsächsische und französische Forschung den Blick früh auf die Rolle der Eliten
und die sogenannten „assembly politics" gelegt und die politische Partizipation
im Frankenreich sowie die Diskurse über normatives Handeln, den ideologi-
schen Unterbau der Gesellschaft und die Herstellung von Konsens untersucht17.

sehen und deutschen Kooperationen zu Eliten des Karolingerreiches und zur „Staatlichkeit" des

Frühmittelalters verwiesen. Vgl. bspw. die Bände zu den Eliten des Karolingerreiches, die aus

dem Forschungsprojekt „Les elites dans le haut moyen age occidental" hervorgegangen sind:

„La royaute et les elites dans l'Europe carolingienne"; „Les Elites au haut moyen äge. Crises et

renouvellements"; „Les elites et leurs espaces"; „Hierarchie et stratification sociale dans l'Oc-

cident medieval"; „La culture du haut moyen äge, une question d'elites?"; „Theorie und Praxis

frühmittelalterlicher Eliten". Vgl. außerdem zur „Staatlichkeit" die Beiträge der Sammelbände

„Der Frühmittelalterliche Staat" und „Staat im frühen Mittelalter".

15 Zum aktuellen Stand der deutschen Forschung vgl. Schneidmüller, Verfassungsgeschichte, bes.
S. 499 mit weiteren Literaturangaben und Patzold, Bischöfe im karolingischen Staat, S. 133-141
mit einer Verteidigung der Verwendung des „Staats"-Begriffs (Diskussion der Begriffe „Staat"
und „Herrschaft").

16 Prinz, Klerus und Krieg; auch Parisse, Prince laiques; Boshof, Kloster und Bischof; Schneider,
Erzbischof Fulco von Reims. Vgl. zur Forschungsgeschichte ausführlich Patzold, Episcopus,
S. 17-36 mit umfassender Nennung und Verarbeitung der Literatur. Obwohl Prinz noch stark
von einem Aristokraten im geistlichen Gewand ausging, so hat er doch lange vor Patzold bereits
nachgewiesen, dass das Phänomen eines „Reichsbischofs" — konstituiert durch Bindung der
Bischöfe an den Hof und die Wahrnehmung vielfältiger politischer Aufgaben — nicht erst mit
dem heute kritisch gesehenen sogenannten „ottonischen Reichskirchensystem", sondern bereits
zu karolingischer Zeit fassbar wird.

17 Für die deutsche Forschung vgl. den maßgeblichen Essay von Schneidmüller, Konsensuale
Herrschaft und vgl. auch bereits Hannig, Consensus. Aus der englischen Forschung sei beson-
ders auf die Arbeiten von Janet Nelson verwiesen, die viele Forschungen inspirierten. Vgl. etwa
die Zusammenfassung ihrer Forschungspositionen in Nelson, Kingship and Royal government.
 
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