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IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
kommunion gestattet. Nach erneuten Vergehen wurde er 2. von einem weltli-
chen Gericht zum Tode verurteilt, doch damit er Gelegenheit hatte, Buße zu tun,
wurde er 3. nicht hingerichtet, sondern geblendet. Die Bischöfe konnten ihn nicht
ein zweites Mal verurteilen, daher wurde er vor ein weltliches Gericht gestellt.
Hinkmar von Reims aber bezieht sich in seinen Annalen auf kirchliche Normen
und moralische Maßstäbe, wenn er festhält, dass Karlmanns Todesstrafe in eine
Blendung umgewandelt wurde, damit Karlmann Buße tun kann. Karlmann wird
nicht als Verbrecher, als aufständischer Sohn charakterisiert, sondern als Sünder,
der Buße tun und Vergebung erhalten kann511.
Auch im Fall des Hinkmar von Laon wurde über die korrekte Anwendung
verschiedener Normen diskutiert, Karl der Kahle und Hinkmar von Reims
stimmten bei der Beurteilung dieses Falls im Jahr 869 überein, in einer Phase, in
der sich die beiden langsam wieder annähern, nachdem sie in der Zeit zuvor u. a.
wegen ihrer Haltung gegenüber den Eboklerikern entzweit waren512. Aber sie
verfolgten nach wie vor verschiedene Interessen und nehmen unterschiedliche
Perspektiven ein. Karl urteilte über Hinkmar von Laon als Rebellen gegen die
politische Ordnung, seine Strafe der Blendung ist ein klares Signal auch an den
Laienadel. Die Verhandlungen wurden öffentlich auf politischen Versammlun-
gen mit geistlichen und weltlichen Teilnehmern geführt. Diese Versammlungen
stehen auch bei der Darstellung Hinkmars von Reims in den Annalen im Mit-
telpunkt. Doch die hier präsentierte Perspektive ist nur eine mögliche und
zudem stark verkürzte Sicht. Es ist eine zumindest für die Jahre 870/71 durch-
komponierte Darstellung, die sich in starkem Maße von der Darstellung des
Falles in den Rechtstexten unterscheidet.
Hinkmar von Reims hielt sich mit Ausführungen zu kirchenrechtlichen
Fragen sehr zurück, die Streitschriften spielen keine Rolle. König und Bischof als
diejenigen, die für das Wohl des Reiches und des christlichen Volkes verant-
wortlich sind, Hinkmar selbst als erfolgreicher Konfliktmanager -das ist sein
Fokus in diesem Fall. Bei der Rehabilitierung Hinkmars von Laon 878 konnte er
gelassen bleiben, er war als Berater Ludwigs des Stammlers fest etabliert und
eine kirchenrechtliche Wiederaufnahme des Verfahrens wurde nicht diskutiert.
Aber über den Konfliktverlauf erfahren wir aus der Historiographie nichts.
Der eigentümliche Charakter des Kriegs der Texte bleibt verborgen. Über die
Verwendung der Schriftstücke in Ritualen und auf Versammlungen, geheimen
Verhandlungen u. a. können wir Rückschlüsse vor allem aus Bemerkungen in
Synodalakten, Narrationes und Streitschriften sowie Briefen gewinnen. Hink-
mar von Laon selbst sah offenbar vor allem seinen Onkel als Antriebskraft in dem
Konflikt und für ihn stand wohl der Kampf um die Geltungskraft des pseudo-
isidorischen Rechts im Vordergrund. Daher wollte er auch die Schrift, in der er
seinen Klerus auf dieses Recht hat durch Unterschrift verpflichten lassen, geheim
halten und bei sich behalten, da das Schriftstück selbst über eine Geltungsmacht
511 Annales Bertiniani, ed. Grat, S. 189 f. ad. a. 873.
512 Patzold, Episcopus, S. 400-402.
IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
kommunion gestattet. Nach erneuten Vergehen wurde er 2. von einem weltli-
chen Gericht zum Tode verurteilt, doch damit er Gelegenheit hatte, Buße zu tun,
wurde er 3. nicht hingerichtet, sondern geblendet. Die Bischöfe konnten ihn nicht
ein zweites Mal verurteilen, daher wurde er vor ein weltliches Gericht gestellt.
Hinkmar von Reims aber bezieht sich in seinen Annalen auf kirchliche Normen
und moralische Maßstäbe, wenn er festhält, dass Karlmanns Todesstrafe in eine
Blendung umgewandelt wurde, damit Karlmann Buße tun kann. Karlmann wird
nicht als Verbrecher, als aufständischer Sohn charakterisiert, sondern als Sünder,
der Buße tun und Vergebung erhalten kann511.
Auch im Fall des Hinkmar von Laon wurde über die korrekte Anwendung
verschiedener Normen diskutiert, Karl der Kahle und Hinkmar von Reims
stimmten bei der Beurteilung dieses Falls im Jahr 869 überein, in einer Phase, in
der sich die beiden langsam wieder annähern, nachdem sie in der Zeit zuvor u. a.
wegen ihrer Haltung gegenüber den Eboklerikern entzweit waren512. Aber sie
verfolgten nach wie vor verschiedene Interessen und nehmen unterschiedliche
Perspektiven ein. Karl urteilte über Hinkmar von Laon als Rebellen gegen die
politische Ordnung, seine Strafe der Blendung ist ein klares Signal auch an den
Laienadel. Die Verhandlungen wurden öffentlich auf politischen Versammlun-
gen mit geistlichen und weltlichen Teilnehmern geführt. Diese Versammlungen
stehen auch bei der Darstellung Hinkmars von Reims in den Annalen im Mit-
telpunkt. Doch die hier präsentierte Perspektive ist nur eine mögliche und
zudem stark verkürzte Sicht. Es ist eine zumindest für die Jahre 870/71 durch-
komponierte Darstellung, die sich in starkem Maße von der Darstellung des
Falles in den Rechtstexten unterscheidet.
Hinkmar von Reims hielt sich mit Ausführungen zu kirchenrechtlichen
Fragen sehr zurück, die Streitschriften spielen keine Rolle. König und Bischof als
diejenigen, die für das Wohl des Reiches und des christlichen Volkes verant-
wortlich sind, Hinkmar selbst als erfolgreicher Konfliktmanager -das ist sein
Fokus in diesem Fall. Bei der Rehabilitierung Hinkmars von Laon 878 konnte er
gelassen bleiben, er war als Berater Ludwigs des Stammlers fest etabliert und
eine kirchenrechtliche Wiederaufnahme des Verfahrens wurde nicht diskutiert.
Aber über den Konfliktverlauf erfahren wir aus der Historiographie nichts.
Der eigentümliche Charakter des Kriegs der Texte bleibt verborgen. Über die
Verwendung der Schriftstücke in Ritualen und auf Versammlungen, geheimen
Verhandlungen u. a. können wir Rückschlüsse vor allem aus Bemerkungen in
Synodalakten, Narrationes und Streitschriften sowie Briefen gewinnen. Hink-
mar von Laon selbst sah offenbar vor allem seinen Onkel als Antriebskraft in dem
Konflikt und für ihn stand wohl der Kampf um die Geltungskraft des pseudo-
isidorischen Rechts im Vordergrund. Daher wollte er auch die Schrift, in der er
seinen Klerus auf dieses Recht hat durch Unterschrift verpflichten lassen, geheim
halten und bei sich behalten, da das Schriftstück selbst über eine Geltungsmacht
511 Annales Bertiniani, ed. Grat, S. 189 f. ad. a. 873.
512 Patzold, Episcopus, S. 400-402.