Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0135
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
134

IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder

Der Verratsvorwurf wurde auch Rothad von Soissons gemacht und auch
beim Prozess gegen Wenilo von Sens spielte er eine große Rolle. Wenilo von Sens
wurde aber, obwohl die Vorwürfe gegen ihn insgesamt sehr viel gravierender
waren (er hatte den Bruder Karls des Kahlen in das Westreich eingeladen), nicht
geblendet, ja noch nicht einmal abgesetzt. Es muss offenbleiben, warum Karl der
Kahle in zwei vergleichbaren Situationen völlig unterschiedlich agierte.
Der Klerus der Diözese von Laon hat Hinkmar von Laon etwa an vielen
Stellen in dem Konflikt vertraut und ihn unterstützt. Als Karl der Kahle ver-
suchte, Hinkmar von Laon mit Gewalt vor sein Gericht bringen zu lassen, setzten
sich die Geistlichen der Kathedrale zusammen mit ihrem Bischof an den Altar
und verhinderten so die Verschleppung des Bischofs. Hinkmar von Laons
Strategie bei der Verhängung des Interdikts ist hier bereits betont worden. Er
antizipierte das Verhalten des Königs und des Metropoliten. Deswegen arran-
gierte er diese Maßnahme des automatischen Interdikts, das im Falle seiner
Verhaftung in Kraft getreten war, ohne dass es dazu einer erneuten Verkündi-
gung von seiner Seite bedarf. Hinkmar von Laon rechnete mit seiner Verhaftung.
Er kannte die Verfahrensformen und wusste, dass er handlungsunfähig gemacht
werden sollte (vielleicht war er auch von Rothad von Soissons über das übliche
Verfahren Karls und Hinkmars informiert worden). Er ließ quasi einen Auto-
matismus laufen. Der Klerus seiner Diözese hatte den Beschluss über dieses
automatische Interdikt unterschrieben. Wir wissen davon erst aus einem nach-
träglichen Bericht Hinkmars von Reims, der eindeutig negativ gefärbt ist
(Hinkmar von Laon ließ Klerus „zusammentreiben"). Aber ob der Klerus tat-
sächlich dazu gezwungen worden ist, bleibt fraglich. Nicht nur die vorherige
Unterstützung des Bischofs im Konflikt mit König Karl, sondern auch die wei-
terhin vorhandene Unterstützung in der Diözese auch nach der Absetzung und
Blendung spricht dagegen. Denn Hinkmar hatte auch 878 noch Freunde und
Anhänger, die sich für eine Rehabilitierung einsetzten und ihn bei dem Ritual in
der Kathedrale von Laon zum Altar geleiteten und stützen. Wer zu diesen
Freunden gehörte, ist aber nicht bekannt. Hinkmar von Reims nennt in den
Annalen keine Namen, warum sollten es aber nicht Teile des Klerus von Laon
gewesen sein? Der Klerus muss in diesem Fall gespalten gewesen sein, denn eine
Delegation aus Laon hatte sich beim Metropoliten Hinkmar von Reims über die
Folgen des Interdikts beklagt und eine Gruppe von Klerikern aus Laon hatte
sogar eine Schrift gegen ihren Bischof verfasst. Es war ein Konflikt, der Partei-
bildungen nach sich zog. Es ging um Vorstellungen vom Bischofsamt und um
Zuständigkeiten im allgemeinen politischen Gesamtzusammenhang. Der Kon-
flikt zeigt daher das Ringen um diese Ordnung und wie die Ordnung durch
Performanz hergestellt wurde und zugleich versucht wurde, durch Speicherung
Dauerhaftigkeit über den Moment des „Aufführens" hinaus zu gewährleisten.
 
Annotationen