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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0138
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2. Lothars Ansinnen und die Stellungnahmen der Bischöfe

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Eheunfähigkeit Theutbergas konnte die Ehe nicht weiterhin vollzogen wer-
den526.
Lothar präsentiert sich ab 860 als Sünder, der bei seinen Bischöfen Rat und
Hilfe sucht527. Er adaptiert somit das bischöfliche Modell, das den König als
sündhaften Menschen der Autorität der Bischöfe unterstellt528.
Doch es kam zu keiner Generalsynode unter Hinkmars Leitung. Theutberga
gelang die Flucht aus dem Kloster an den Hof Karls des Kahlen, der wie sein
Bruder Ludwig der Deutsche eigene Interessen in Lotharingien verfolgte.
Hinkmar unterstützte Karl fortan in seiner ablehnenden Haltung gegenüber
Lothars Scheidungsplänen529.
Im April 862 tagte erneut eine Synode in Aachen, die nur vom lothringischen
Episkopat besucht wurde530. Im Vorfeld der Synode hatte sich König Lothar II.
hilfesuchend mit einem Libellus proclamationis an seine Bischöfe gewandt.
Lothar sprach davon dass sein gefährdeter Körper und seine Seele zum Nutzen
der Heiligen Kirche und des Königreichs den Bischöfen anvertraut seien531.
Ehelicher Verkehr mit Theutberga sei ihm nun durch deren Sünden (Inzest)
verwehrt, aber eine Konkubine dürfe er als christlicher König auch nicht haben.
Die Bischöfe müssten also eine Lösung finden.
Die Bischöfe suchten nach Möglichkeiten, eine Scheidung und Wiederheirat
zu legitimieren. Sie entschieden mit Verweis auf Konzilsbeschlüsse und Bibel-
worte, dass Lothar eine Wiederheirat zugestanden werden sollte. Lothar wählte
Waldrada, die er noch im gleichen Jahr zur Königin krönen ließ532. Die Bischöfe
übernahmen in Aachen 862 zum Teil verfälschte Zitate Hinkmars aus seinem
Gutachten, um die Scheidungsabsicht ihres Königs zu untermauern. Sie stellten
aber auch die Unauflöslichkeit der Ehe in Frage und erlaubten Männern bei
Sexualvergehen ihrer Frauen grundsätzlich eine Wiederheirat533. Die Argu-
mentation der Bischöfe stand in kanonischer Hinsicht auf wackligen Füßen, wie

526 Vgl. Patzold, Verfahren, S. 398.

527 Vgl. Patzold, Verfahren, S. 398-400 interpretiert dies unter dem Gesichtspunkt eines „Rollen-
wechsels" innerhalb des Verfahrens: vom Ehemann und Herr seiner Familie hin zum sündhaften
König seit 860.

528 Vgl. auch die Argumentation Hinkmars in De Divortio zur Richtbarkeit des Königs und zum
Urteil der Bischöfe (Hinkmar, De Divortio, Interrogatio 6, S. 246).

529 Vgl. Böhringer, Einleitung, S. 19 mit der Warnung, die Entstehung von De Divortio zu sehr ex
eventu vorzunehmen und die Annexion des Mittelreiches als Absicht Hinkmars bei der Abfas-
sung anzusehen.

530 MGH Cone. IV, Nr. 9, S. 68-89. Die Teilnehmer sind in dem möglicherweise von Adventius von
Metz verfasstem Protokoll (c. 1, ebd. S. 71) genannt. Zu der Synode vgl. Hartmann, Synoden,
S. 278-280.

531 Ebd. S. 74f, s. bes. S. 75, 27-32: Et nunc, carissimi, nobis suppliciter vestram imploramus sanctitatem ac
pro illius amore, qui nos redemt, deprecamur, ut nostro pericula corporis et animae ad utilitatem sancte die
ecclesie et regni nobis commissi benigna caritate et devota fidelitate subvenire non differatis, quatinus de
prosperitate ac nostra erga vos promptissima devotione pariter nos in domino gaudeamus et exultemus.

532 Annales Bertiniani, S. 93 f.

533 Vgl. Ubl, Inzestgesetzgebung, S. 349.
 
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