156 V. Bischofsabsetzung durch den Papst: Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier 863
Nikoalus I. setzte sich massiv für Rothad ein, dieselben Bischöfe, die sich
später über päpstliche Hybris beschweren sollten, hatten ihn hier selbst gerufen.
Der Fall Rothads von Soissons gab Nikolaus I. Gelegenheit, seinen Jurisdikti-
onsprimat gegenüber den fränkischen Bischöfen zur Geltung zu bringen636. In
diesem Zusammenhang ist vermutlich die Bitte Hinkmars um die Bestätigung
des Privilegs Benedikts III. zu sehen, dass ihm das Recht verlieh, nur vor dem
Papst verklagt und alleine von diesem gerichtet werden zu können. Sie ist vor
dem Hintergrund von Spannungen im westfränkischen Primat zu verstehen.
Gunthar und Thietgaud hingegen betonten stets die Zuständigkeit von Synoden
ihrer Amtsbrüder in ihrer Angelegenheit.
Hinkmar dürfte also ein gespanntes Verhältnis zu Gunthar und Thietgaud
gehabt haben, das wohl schwerer wog, als eine mögliche alte Verbundenheit
über Hilduin von St. Denis.
Hinkmar hatte auch ohne Zweifel ein komplexes Verhältnis zu Nikolaus I.,
der ihn nicht nur im Ebo-Fall vor dem Druck der Ebo-Kleriker zur Rechtfertigung
zwang, sondern auch das Urteil gegen Rothad von Soissons kassierte und den
Bischof gegen das Urteil einer Provinzialsynode und gegen Hinkmars Willen
wieder einsetzte637. Als „Verbündeten" Nikolaus I. im Fall Gunthars von Köln
darf man ihn aus diesem Grund sicher nicht bezeichnen638.
Aus welchen Gründen hätte Hinkmar sich für Gunthar einsetzen sollen? Es
bleibt nur noch die bischöfliche Solidarität als Motiv — und zwar völlig unab-
hängig von persönlichen Erwägungen. Doch weder ein Agieren für Gunthar
noch ein Abweisen der Bitte ist nachweisbar. Der Verweis auf die bischöfliche
Solidarität war jedenfalls genau die Taktik, die Gunthar wählte, wie eine Analyse
des Begleitbriefs an Hinkmar zeigt. Gunthar erwähnt die Unterstützung aller!
Bischöfe (gemeint sind die Teilnehmer von Pavia639) und die Zustimmung des
Kaisers und der Kaiserin. Zum Schluss ruft er Hinkmar als seinen pater und
ebenso die Brüder und Mitbischöfe auf, sich zu erinnern, dass unter Brüdern
636 Scholz, Politik, S. 195 verweist auf den immer wieder zitierten Fall des geisteskranken Bischofs
Herman von Nevers, der in diesem Zusammenhang wenig ergiebig sei, da sich aus den Briefen
Nikolaus I. keine Haltung des Papstes zur rechtlichen Regelung von Bischofsabsetzungen ab-
leiten ließe.
637 Annales Bertinaini ad. 865, S. 119: Nikolaus habe nach Hinkmar ein rechtmäßiges Urteil einer
Provinzialsynode ignoriert und Rothad eigenmächtig wieder eingesetzt. Dieses Vorgehen im
Falle Rothads wird aber nicht in Beziehung gesetzt zum Vorgehen gegen Gunthar und Thiet-
gaud.
638 Vgl. Ziemann, Dom-Handschrift, S. 117: „Verbündete besaß Papst Nikolaus I. hingegen im
westfränkischen Erzbischof Hinkmar von Reims und dem westfränkischen König Karl dem
Kahlen".
639 So auch Hartmann, Cone. IV, S. 192 Anm. 11. Auf der Synode von Pavia nahmen keine loth-
ringischen oder fränkischen Bischöfe teil. Ludwig II. versammelte dort die Bischöfe der Lom-
bardei und der Provence. Im Synodalschreiben werden die Erzbischöfe Tado von Mailand,
Rotland von Arles und Arpert von Embrun erwähnt (Ebd., S. 188).
Nikoalus I. setzte sich massiv für Rothad ein, dieselben Bischöfe, die sich
später über päpstliche Hybris beschweren sollten, hatten ihn hier selbst gerufen.
Der Fall Rothads von Soissons gab Nikolaus I. Gelegenheit, seinen Jurisdikti-
onsprimat gegenüber den fränkischen Bischöfen zur Geltung zu bringen636. In
diesem Zusammenhang ist vermutlich die Bitte Hinkmars um die Bestätigung
des Privilegs Benedikts III. zu sehen, dass ihm das Recht verlieh, nur vor dem
Papst verklagt und alleine von diesem gerichtet werden zu können. Sie ist vor
dem Hintergrund von Spannungen im westfränkischen Primat zu verstehen.
Gunthar und Thietgaud hingegen betonten stets die Zuständigkeit von Synoden
ihrer Amtsbrüder in ihrer Angelegenheit.
Hinkmar dürfte also ein gespanntes Verhältnis zu Gunthar und Thietgaud
gehabt haben, das wohl schwerer wog, als eine mögliche alte Verbundenheit
über Hilduin von St. Denis.
Hinkmar hatte auch ohne Zweifel ein komplexes Verhältnis zu Nikolaus I.,
der ihn nicht nur im Ebo-Fall vor dem Druck der Ebo-Kleriker zur Rechtfertigung
zwang, sondern auch das Urteil gegen Rothad von Soissons kassierte und den
Bischof gegen das Urteil einer Provinzialsynode und gegen Hinkmars Willen
wieder einsetzte637. Als „Verbündeten" Nikolaus I. im Fall Gunthars von Köln
darf man ihn aus diesem Grund sicher nicht bezeichnen638.
Aus welchen Gründen hätte Hinkmar sich für Gunthar einsetzen sollen? Es
bleibt nur noch die bischöfliche Solidarität als Motiv — und zwar völlig unab-
hängig von persönlichen Erwägungen. Doch weder ein Agieren für Gunthar
noch ein Abweisen der Bitte ist nachweisbar. Der Verweis auf die bischöfliche
Solidarität war jedenfalls genau die Taktik, die Gunthar wählte, wie eine Analyse
des Begleitbriefs an Hinkmar zeigt. Gunthar erwähnt die Unterstützung aller!
Bischöfe (gemeint sind die Teilnehmer von Pavia639) und die Zustimmung des
Kaisers und der Kaiserin. Zum Schluss ruft er Hinkmar als seinen pater und
ebenso die Brüder und Mitbischöfe auf, sich zu erinnern, dass unter Brüdern
636 Scholz, Politik, S. 195 verweist auf den immer wieder zitierten Fall des geisteskranken Bischofs
Herman von Nevers, der in diesem Zusammenhang wenig ergiebig sei, da sich aus den Briefen
Nikolaus I. keine Haltung des Papstes zur rechtlichen Regelung von Bischofsabsetzungen ab-
leiten ließe.
637 Annales Bertinaini ad. 865, S. 119: Nikolaus habe nach Hinkmar ein rechtmäßiges Urteil einer
Provinzialsynode ignoriert und Rothad eigenmächtig wieder eingesetzt. Dieses Vorgehen im
Falle Rothads wird aber nicht in Beziehung gesetzt zum Vorgehen gegen Gunthar und Thiet-
gaud.
638 Vgl. Ziemann, Dom-Handschrift, S. 117: „Verbündete besaß Papst Nikolaus I. hingegen im
westfränkischen Erzbischof Hinkmar von Reims und dem westfränkischen König Karl dem
Kahlen".
639 So auch Hartmann, Cone. IV, S. 192 Anm. 11. Auf der Synode von Pavia nahmen keine loth-
ringischen oder fränkischen Bischöfe teil. Ludwig II. versammelte dort die Bischöfe der Lom-
bardei und der Provence. Im Synodalschreiben werden die Erzbischöfe Tado von Mailand,
Rotland von Arles und Arpert von Embrun erwähnt (Ebd., S. 188).